Klassik:Blut und Wollust

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Sara Jakubiak triumphiert als Protagonistin in Riccardo Zandonais selten gespielter Liebestragödie "Francesca da Rimini" an der Deutschen Oper Berlin.

Von Julia Spinola

Die Gewalt ist allgegenwärtig in Johannes Leiackers Einheitsbühnenbild für Riccardo Zandonais selten gespielte Oper "Francesca da Rimini" an der Deutschen Oper Berlin. Sie lauert hinter der edlen Blumentapete der Eingangshalle des italienischen Palazzos und tobt auf der großzügigen Veranda, die den Blick auf ein barockes Landschaftsidyll freigibt. Wer sich als Straßenmusiker in Jeans und Lederjacke hier hineinverirrt, um den Frauen der Familie ein Ständchen zu halten, wird sogleich von einer Schar Anzug tragender Brüder, Onkel und Cousins nach versierter Mafiaart blutig geschlagen. Hier wartet die schöne Francesca darauf, als Luxuspfand im Krieg zweier verfeindeter Familien verheiratet zu werden. Und wenn sich ihre kleine Schwester Samaritana im Bademantel und mit blutunterlaufenen Augen beim Abschied ängstlich an sie klammert, ahnt man das alltägliche Ausmaß männlicher Gewalt, das in diesem Haus regiert und dem die Kleine fortan noch schutzloser ausgeliefert sein wird.

Zandonais 1914 uraufgeführter fünfaktiger "Francesca da Rimini" hängt der Ruf eines schwülstigen Schauerdramas an, was wohl hauptsächlich der präfaschistischen Überwältigungsästhetik des italienischen Dichterfürsten Gabriele D'Annunzio anzulasten ist, der die literarische Vorlage schuf. D'Annunzio ließ sich zu seinem gleichnamigen Schauspiel von der berühmten Episode aus Dantes "Göttlicher Komödie" inspirieren. Befeuert von seiner Liebe zu Eleonora Duse huldigte er in seinem rund 4000 Verse umfassenden "Poem aus Blut und Wollust" einem sprachlichen Übermenschen-Pathos, das auch zahlreiche Anspielungen auf Wagners "Tristan" realisiert. Der Dramatiker Luigi Pirandello bekannte nach der Uraufführung 1902 voller Abscheu, noch nie so sehr im Theater gelitten zu haben.

Christof Loy inszeniert einen Mafia-Thriller, dem man sogar vor dem Bildschirm von der ersten bis zur letzten Szene gebannt folgt

In Zandonais Oper aber ist bei aller musikalischen Farbigkeit und Klangwucht von D'Annunzios dekadenter Selbstverliebtheit nichts mehr zur spüren. Denn der große italienische Verleger Tito Ricordi hat D'Annunzios Schauspiel mit sicherem Theaterinstinkt auf etwa ein Viertel der Verse gekürzt. Zandonai schrieb dazu eine Musik, die trotz einer Fülle stilistischer Einflüsse wie aus einem Guss erscheint und von der ersten bis zur letzten Note einen beinahe atemlosen, in großen sinfonischen Bögen entwickelten Sog entfaltet. Vom schwebenden Fin-de-Siècle-Glitzer und dem luxurierenden Kolorit des französischen Impressionismus bis hin zu den harten veristischen Klangballungen der Kampfszenen scheint in dieser Partitur alles im Dienst einer präzisen musikalischen Charakterisierungskunst zu stehen. Dabei ist Zandonais Musik trotz vereinzelter Reminiszenzen vom Überredungswillen eines Richard Wagner ebenso weit entfernt wie von den talmihaften künstlichen Paradiesen Franz Schrekers oder Wolfgang Korngolds. An Puccinis "Tosca" erinnert die dunkle Grundierung und an Debussy die kristalline Klarheit noch im Überfluss sinnlicher Reize. Das Orchester der Deutschen Oper wächst in dieser Premiere vor leerem Saal über sich hinaus und bringt mit Carlo Rizzi am Pult den Facettenreichtum dieser Musik wie mit brennendem Atem zum Leuchten.

Auch der Regisseur Christof Loy hat lieber genau in diese Partitur hineingehorcht, statt sich von D'Annunzios Schwulst verwirren zu lassen. Er inszeniert einen Mafia-Thriller, dem man sogar vor dem Bildschirm von der ersten bis zur letzten Szene gebannt folgt - dies nicht zuletzt auch dank einer klugen und diskreten Kameraführung, die im Bewusstsein verschwindet, statt sich unentwegt in den Vordergrund zu spielen. Der Stream ist auf der Internetplattform Takt 1 abrufbar. Live wird die Produktion aller Voraussicht nach im Rahmen des Berliner Pilotprojekts zur Wiedereröffnung der Bühnen am 4. April im Haus der Deutschen Oper zu erleben sein.

Schon die detailgenaue Kopie von Claude Lorrains Gemälde "Morgen. Landschaft mit Jakob, Rachel und Lea am Brunnen", das auf Leiackers Bühne hinter dem alten Glas der prächtigen Terrassentüren zu erkennen ist, liefert eine, freilich auf Anhieb kaum zu entschlüsselnde Anspielung auf das zentrale Motiv des Ehebetrugs. Während es in der biblischen Geschichte der Mann ist, dem in der Hochzeitsnacht statt der begehrten Rachel die hässlichere Schwester Leah untergejubelt wird, trifft der Betrug in der Oper die Frau. Der schöne Paolo tritt als Brautwerber auf, der sich Francesca als Bräutigam präsentiert. Verheiratet wird sie indes mit dessen hässlichem Bruder Giovanni, und die Tragödie nimmt ihren Lauf. Vor dem Hintergrund des bis auf die heimische Veranda dringenden blutigen Clan-Krieges, Folterungen im Nebenzimmer und der argwöhnischen Bespitzelung durch den sadistischen dritten Bruder Malatestino entspinnt sich die verbotene Liebe zwischen Francesca und Paolo. Am Ende stehen Eifersucht, Verrat und das obligate finale Gemetzel, bei dem Giovanni Francesca und Paolo ersticht.

Dass dieser Plot berührt und mitreißt, liegt an Loys psychologisch ausgefeilter Personenführung, die bis in die kleinste Nebenrolle hinein von auch schauspielerisch begabten Sängerdarstellern so beglaubigt wird, dass sogar die filmische Nahaufnahme funktioniert. Als leicht nervöse, rotblonde Schönheit à la Isabelle Huppert schlägt die amerikanische Sopranistin Sara Jakubiak in der Titelpartie alle weiteren Agierenden in ihren Bann. Wie mühelos sie ihren farbenreichen jugendlich-dramatischen Sopran von zartester Emphase zu brennender Leuchtkraft führen kann, das war an der Deutschen Oper bereits 2017 in Loys Inszenierung der Korngold-Oper "Das Wunder der Heliane" zu bestaunen. Jonathan Tetelman verführt sie als Latin Lover Paolo mit dunkel gefärbtem Tenortimbre, während Ivan Inverardi sie in der Partie des Ehemanns Giovanni mit baritonaler Härte und einem an die Hässlichkeit Steve Bannons gemahnenden Äußeren zu disziplinieren versucht. Charles Workman beglaubigt die sadistische Verschlagenheit des einäugigen Malatestino bis in die gleißenden Höhen seines Tenors hinein. Aus dem insgesamt hochklassigen Premierenensemble seien noch Meechot Marrero als samtstimmige Biancafiore und Samuel Dale Johnson in der kleinen Basspartie des Ostasio hervorgehoben. Alle zusammen boten sie die vielleicht beste Stream-Premiere dieser elenden Seuchenzeit.

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