Salman Rushdie in Berlin:Von der Notwendigkeit, über Religion lachen zu dürfen

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"Ich fühle mich nicht wie die Freiheitsstatue": In Berlin erzählt Salman Rushdie mit britischem Humor von seinem Leben nach der Fatwa. Jede Religion müsse sich beleidigen lassen, findet er - und empfiehlt Muslimen, in Sachen Satire von den Mormonen zu lernen. Auch zur Feigheit westlicher Regierungen hat er Anekdoten parat.

Jannis Brühl, Berlin

Salman Rushdie am 1. Oktober in Berlin. (Foto: AFP)

Es gibt zwei Sorten von Türstehern: die respekteinflößenden und die furchteinflößenden. Für die zweite Sorte hat man sich bei Bertelsmann entschieden. Er steht mit Kollegen vor der Repräsentanz des Verlages mit der schönen Adresse Unter den Linden 1. Er ist zwei Mann in einem. Hier kommt niemand auf die Idee, Unsinn zu machen. Das ist den Gästen aus Medien- und Verlagsbranche nur recht.

Denn die Treppen aus dem ersten Stock läuft ein untersetzter, freundlich lächelnder Mann hinunter. Er ist die Ruhe selbst. Wer ihn ermordet, den erwarten Millionen Dollar. Salman Rushdie ist nach Berlin gekommen, um seine Autobiographie Joseph Anton vorzustellen. Eigentlich sind die Fotografen aber wegen eines anderen Buches gekommen.

Rushdie machte 1988 in seinem Roman Die Satanischen Verse den Propheten Mohammed unter dem Namen Mahound zu einer literarischen Figur. Der Schriftsteller griff in dem Buch eine umstrittene Legende aus der islamischen Überlieferung auf. Demnach soll der Prophet Mohammed zwischenzeitlich und unter diabolischem Einfluss andere Gottheiten neben Allah anerkannt haben, dies dann aber wieder zurückgezogen haben.

In anderen Passagen ließ Rushdie Prostituierte in Mekka auftreten, die sich zum Vergnügen ihrer Kunden die Namen der Ehefrauen des Propheten geben. Muslimische Scharfmacher sprachen von Blasphemie - in den meisten Fällen, ohne das Buch gelesen zu haben. Ayatollah Khomeini, geistiges Oberhaupt Irans, rief Muslime per fatwa auf, Rushdie zu ermorden. Buchläden brannten, Rushdies japanischer Übersetzer wurde ermordet. Von 1989 bis 1998 lebte der Autor im Untergrund.

Der Fall des heute 65-Jährigen steht exemplarisch für die Spannung zwischen Moderne und religiöser Wut, die auf Worte mit Morden antwortet. "Mittelalterlicher Verbrechen" wie Blasphemie und Ketzerei sah er sich beschuldigt, sagt er.

Meinungsfreiheit in Person

Rushdie ist für viele die personifizierte Meinungsfreiheit. Er tut, als wäre ihm das Unrecht: "Ich fühle mich nicht als Ikone. Ich fühle mich nicht wie die Freiheitsstatue", sagt er auf dem Podium, wo er neben Moderator Frank Schirrmacher sitzt. Doch der Schriftsteller Rushdie ist längst hinter dem Gejagten Rushdie verschwunden. Joseph Anton - die Autobiographie trägt den Namen, den Rushdie im Untergrund benutzte - behandelt nur sein Post- fatwa-Leben. Sie beginnt nicht mit Kindheitserinnerungen oder ersten Schreibversuchen in Cambridge, sondern mit dem Anruf einer Reporterin im Jahr 1989, die ihm mitteilt, dass ihn der Ayatollah zum Tode verurteilt hat. Wenn Random-House-Verleger Klaus Eck in seinen einführenden Worten sagt, dass eine iranische Stiftung das Kopfgeld auf Rushdie vor wenigen Tagen nochmals erhöht hat, klingt das fast ein wenig stolz. Zumindest aber soll es die Bedeutung des Gastes unterstreichen.

Er wird unter den Drohungen seine Meinung nicht ändern, das ist die Botschaft bei diesem Auftritt. "Islamophobie"? Mit dem Begriff habe er Probleme. "Es ist für mich völlig legitim, eine Idee nicht zu mögen, sogar, wenn es eine Religion ist." Auch er ist ein Kulturkrieger, mit dem Unterschied, dass er um sein eigenes Leben gekämpft hat. Er habe sich Fragen gestellt wie: "Muss mein Sohn lügen, wenn ihn Freunde fragen, wo sein Vater wohnt?"

Gerne beschreibt er seine Geschichte als erstes Scharmützel im globalen Konflikt zwischen westlicher Demokratie und islamistischem Fanatismus, von Die Satanischen Verse über den 11. September bis zur Gewalt nach dem kürzlich veröffentlichten Anti-Mohammed-Film. Religion müsse Kritik aushalten: "Über den Papst stehen jeden Tag irgendwelche Witze in den Zeitungen, ohne dass Katholiken deshalb die Welt in die Luft sprengen." Die Umdeutung von Religionsfreiheit in Freiheit von säkularem Spott akzeptiert Rushdie nicht.

Er empfiehlt Muslimen, sich ein Beispiel an den amerikanischen Mormonen zu nehmen. Deren Führer hätten sich alle das Spott-Musical Book of Mormon angesehen, das sich die Macher der Zeichentrickserie South Park ausgedacht haben.

Ob die iranische Regierung denn je versucht habe, mit ihm Kontakt aufzunehmen, fragt Schirrmacher. "Nein", sagt Rushdie, "sie haben nur versucht, mich zu töten, aber das ist ja auch eine Form der Kontaktaufnahme."

Dänischer Feta für Iran

Rushdie erzählt auch von der Feigheit von Regierungen in einer Zeit, als das Wort "Menschenrechte" in der internationalen Politik selten vorkam, und noch viel weniger, wenn es um einen wichtigen Handelspartner ging.

Er habe einmal beim damaligen deutschen Außenminister Klaus Kinkel vorgesprochen, sagt Rushdie. Der habe Iran für den Mordaufruf nicht sanktionieren wollen und ihm nur entgegnet: "Wir werden die Außenpolitik Deutschlands nicht für einen Mann ändern." Rushdie erinnert die Gäste auch daran, wie nah der iranische Staatsterror den Deutschen gekommen sei: Beim Mykonos-Attentat wurden 1992 iranisch-kurdische Oppositionelle in einem Berliner Restaurant ermordet.

In Dänemark - einem Land, das später durch die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in der Zeitung Jyllands-Posten seine eigenen Erfahrungen mit der Beleidigungstoleranz in islamischen Ländern machen sollte - traf Rushdie auf ähnlichen Widerstand, erzählt er. Vor allem für dänischen Feta sei der Iran ein wichtiges Exportziel gewesen. Auch die Regierung in Kopenhagen habe nicht auf ihn gehört: "Sie mussten sich zwischen Käse und Menschenrechten entscheiden. Sie haben den Käse gewählt."

Er reflektiert die Tragik seiner Geschichte mit leisem britischen Humor: "Ich gehe in einen Buchladen und sehe vieles, was mich beleidigt. Aber ich brenne nicht den Laden nieder." Da spricht der literarische Ästhet, nicht der unfreiwillig politisch aktive Schriftsteller.

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