Rutger Bregmans Sachbuch "Wenn das Wasser kommt":Drei Meter, ist das viel?

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Bollwerk mit begrenztem Nutzen: Etwa ein Viertel der Niederlande liegt unter dem Meeresspiegel. Tausende Kilometer Deiche und Schleusen, hier die Maeslant Barrier nahe Rotterdam, schützen das Land vor Überflutungen. (Foto: Cor Mulder/dpa)

Der niederländische Historiker Rutger Bregman warnt Holland und Deutschland vor dem Anstieg des Meeresspiegels - und vor ihrer Katastrophenblindheit.

Von Niklas Elsenbruch

Der Meeresspiegel steigt? Aber das wissen wir doch. Oder? Um wie viel noch mal bis wann genau? Im schlimmsten Fall um drei Meter bis 2100 und fünf bis acht Meter ein Jahrhundert später. Das sagen die Prognosen des Königlich-Niederländischen Meteorologischen Instituts, und wurden diese bislang korrigiert, dann immer nur nach oben.

Drei Meter, ist das viel? Der niederländische Historiker und Publizist Rutger Bregman, der einem größeren Publikum bekannt wurde, als er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2019 in einer viel beachteten Rede die Steuervermeidungsstrategien der Reichen anprangerte, sagt es in seinem neuen Buch "Wenn das Wasser kommt" so: Die Deltawerke in den Niederlanden, das weltgrößte Schutzsystem gegen Hochwasser, "sind für einen Meeresspiegelanstieg von 40 Zentimetern ausgelegt". Deutschland verfügt über keine vergleichbare Infrastruktur.

Das Problem liegt damit auf der Hand und zugleich die Frage: Was tun wir und unsere Regierungen, um den Anstieg zu minimieren und seinen Folgen vorzubeugen? In Bregmans Worten: Warum tun wir nicht viel mehr?

An der deutschen Küste kann schon heute das Regenwasser teilweise nicht mehr natürlich abfließen, weil das Meer jenseits der Deiche höher liegt als das Binnenland

Der 33-Jährige fokussiert sich in dem schmalen, wasserblauen Band auf diesen einen Aspekt des Klimawandels und beschränkt sich auf dessen Bedeutung für die Niederlande und Deutschland. Natürlich ist das Problem globaler Natur. Andere Länder sind weit akuter betroffen, etwa die langsam verschwindenden Malediven, deren Landfläche zu 80 Prozent unter dem Meeresspiegel liegt.

Doch Bregman ist Pragmatiker genug um zu wissen, dass seine Leser nichts so sehr tangiert wie das Auftauchen einer Gefahr am eigenen Küstenstreifen. Wer sich das Buch an einem ausgedehnten Abend in der Badewanne vornimmt, stößt bald auf eine unschöne Gleichzeitigkeit: "Die Randstad - in der mehr als acht Millionen Menschen leben - ist eine riesige Badewanne, die jedes Jahr weiter in den Boden sinkt, während das Wasser steigt."

Rutger Bregman (mit Susanne Götze): Wenn das Wasser kommt. Essay. Aus dem Niederländischen von Ulrich Faure. Rowohlt, Hamburg 2021. 63 Seiten, 8 Euro. (Foto: N/A)

An der deutschen Küste kann schon heute das Regenwasser teilweise nicht mehr natürlich abfließen, weil das Meer jenseits der Deiche höher liegt als das Binnenland. Hier helfen Pumpstationen aus - mit beachtlichem Energieaufwand.

Die Niederlande müssten bei einem Anstieg des Meeresspiegels um zwei Meter "die größten Pumpstationen der Welt bauen und 24 Stunden am Tag das Wasser aus den Flüssen hinauf ins Meer pumpen". Dafür benötigten sie 25-mal so viel Sand zur Verstärkung der Küsten wie heute. "Schließlich läge eine Flotte von Baggerschiffen permanent in der Nordsee, um unaufhörlich Sand an die Küste zu spucken."

Bas Jonkman, Professor für Hydrotechnik an der Technischen Universität Delft, sinniert in Bregmans Buch bereits über künstliche Inseln vor der niederländischen Küste, die sich als Wellenbrecher zu einem Ringdeich verbinden ließen.

Der Landschaftsökologe Michael Kleyer von der Universität Oldenburg hält so kostspieligen Entwürfen entgegen: "Wir dürfen das Meer nicht nur aussperren, sondern müssen ihm Raum geben." Dies bedeute für die Menschen den Rückzug von der Küste, um etwa Salzwiesen als Überschwemmungsgebiete entstehen zu lassen. Der Fachbegriff dafür existiert schon: managed retreat.

Wie die Politik diese beiden Ansätze auch gewichtet, betont Bregman, es sei vor allem rasches Handeln geboten. Zu häufig reagierten wir erst im Ernstfall. Dies illustriert sein Rückgriff auf den Ingenieur Johan van Veen: Als selbsternannter "Dr. Kassandra" wurde dieser 20 Jahre lang für seine Warnungen vor einer Flutkatastrophe in den Niederlanden verlacht - ehe 1953 bei der schwersten Nordsee-Sturmflut des Jahrhunderts die Dämme brachen und 100 000 Menschen aus ihren Häusern fliehen mussten. Im Anschluss setzte die Regierung in Windeseile seine Pläne zum Bau der Deltawerke um.

Im benachbarten Deutschland geschah derweil: nichts. Erst die Sturmflut von 1962 rüttelte Politik und Öffentlichkeit wach. Und heute, fast 60 Jahre später? Kassandras haben wir mehr als genug, ob in Gestalt von Wissenschaftlern oder der Hochwasserkatastrophe des vergangenen Sommers in Westdeutschland. Es könnte an der Zeit sein, auf sie hören.

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