Roman: Katerina:Wo das Leben begann

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"Alles ist noch wie früher, nur die Menschen sind nicht mehr da." Aharon Appelfeld beschwört in "Katerina" eine Welt herauf, in der er als Kind den Holocaust erlebt und überlebt hat.

Ulrich Baron

Inmitten einer Idylle erinnert sich eine bald Achtzigjährige an die Tragödie ihres Lebens: Ende des 19. Jahrhunderts verlässt die Ukrainerin Katerina ihr liebloses Elternhaus, geht in die Stadt, landet dort in der Gosse. Schließlich aber findet sie Arbeit als Dienstmädchen einer jüdischen Familie. Nach einem Pogrom lebt sie wieder auf der Straße, lernt den Juden Sami kennen, bekommt einen Sohn, Benjamin. Nach dessen Ermordung wird sie zur Furie, landet im Gefängnis, kehrt als alte Frau auf den verfallenen Hof zurück, wo ihr Leben begonnen hatte.

Als ich noch jung war: Eine bald Achtzigjährige erinnert sich an die Tragödie ihres Lebens in Aharon Appelfelds Roman Katerina. (Foto: Rowolth Verlag)

Auch in diesem Roman aus dem Jahre 1992 beschwört der 1932 in Czernowitz geborene Aharon Appelfeld eine Welt herauf, in der er als Kind den Holocaust erlebt und überlebt hat. Sein Versuch, die jüdischen Traditionen Osteuropas aus Sicht einer Nichtjüdin aufleben zu lassen, führt hier freilich zu erzählerischen Inkohärenzen und auch zu einer Überfrachtung dieser Ich-Erzählung mit kulturellen Detailinformationen.

Da sind dann zum einen der beinahe alttestamentliche Cantus firmus der Rahmenhandlung und die Reflexionen jüdischer Gebräuche, da sind zum anderen drastische szenische Beschreibungen, die beide der Erzählerin zugeschrieben werden. Auf eine sprachlich feinfühlige Reminiszenz jüdischer Feiertage, die den Duft des Pessach-Festes heraufbeschwört, folgt unmittelbar ein Schock: "Am zweiten Pessachtag wurde mein Hausherr mitten auf der Straße umgebracht."

Diese Dissonanz gibt zwar den jähen Gewaltakt wieder, doch solch abrupter Wechsel zu grausamstem Realismus stört den Eindruck, dem Erinnerungsstrom einer alten Frau zu folgen, die all das weit hinter sich gelassen hat. "Alles ist noch wie früher", sagt Katerina, nachdem sie das Licht über dem blau glitzernden Pruth beschrieben hat, das Grün der Hügel und die Bäume noch aus ihrer Kinderzeit, "nur die Menschen sind nicht mehr da." Die Geschichte und ihr Rahmen - sie passen nicht recht zusammen.

AHARON APPELFELD: Katerina. Roman. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Rowohlt Verlag, Berlin 2010. 254 Seiten, 19,95 Euro.

© SZ vom 13.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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