Regie-Nachwuchs am Volkstheater:Gretchen rebelliert

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Das Theater will die Welt besser machen. Totale Gleichberechtigung aber gibt es bis heute an den wenigsten Häusern

Von Christiane Lutz

Kilian Engels windet sich. Sicher, er spricht gern über "Radikal jung", aber dann nicht so gern über die Frage, ob es totale Gleichberechtigung am Theater zwischen Männern und Frauen gibt. Dazu fehle ihm die Erfahrung, die ein Statement wirklich legitimiert. Verständlich. Aber Engels ist als Festival-Juror natürlich maßgeblich daran beteiligt, dass in diesem Jahr bei "Radikal jung" zum ersten Mal mehr Regisseurinnen als Regisseure eingeladen sind. Sechs um genau zu sein. Sechs von neun. Auch sieht es wenig nach Zufall aus, dass ausgerechnet in diesem Jahr der Name von "Festival für junge Regisseure" in "Festival für junge Regie" geändert wurde. Man braucht kein Statement von der Jury, um zu deuten, dass das eine bewusste Setzung ist. Eine Entscheidung für Regisseurinnen. Denn im Theater, so aufklärerisch und progressiv es auch daherkommt, geht es auch nicht anders zu, als bei konservativen Wirtschaftsunternehmen: Die wichtigen Entscheidungen treffen meistens die Männer. Noch.

Zahlen erklären das Problem natürlich nicht. Aber sie illustrieren es. Dabei muss man sich nicht weit weg bewegen, sondern kann in München bleiben: Keines der staatlichen und städtischen Häuser leitet in dieser Spielzeit eine Frau. Lediglich an der Schauburg wird sich von 2017/2018 an etwas ändern, dann wird Andrea Gronemeyer Intendantin sein. Residenztheater, Kammerspiele, Volkstheater: fest in männlicher Hand. Die Kammerspiele und das Residenztheater hatten sogar noch nie eine Intendantin. Auch auf den Spielplänen der Häuser stehen weniger Regisseurinnen als Regisseure, weniger Autorinnen als Autoren. Auf der Website der Kammerspiele sind alle Premieren der Spielzeit aufgelistet. Zehn sind von Frauen inszeniert, 16 von Männern. Schaut man genauer hin, welches tatsächliche groß produzierte Schauspiel-Premieren sind, bleiben nur die beiden Regisseurinnen Yael Ronen und Susanne Kennedy übrig. Künstlerinnen, die längst etabliert sind. Auf der Männerseite: Amir Reza Koohestani, Nicolas Stemann, Christopher Rüping, Christoph Marthaler, Ersan Mondtag, Felix Rothenhäusler. Auch am Residenztheater schaut es düster aus: 13 Premieren von Männern, fünf von Frauen. Am Volkstheater sind von insgesamt neun Inszenierungen drei von Frauen. Zufall?

Kilian Engels verweist für fundierte Aussagen zu dem Thema an zwei Regisseurinnen, die zum Festival kommen: Nora Abdel-Maksoud und Suna Gürler. Beide arbeiten am Maxim-Gorki Theater in Berlin, eines der wenigen deutschen Häuser, das von einer Frau geleitet wird, von Shermin Langhoff. Auch sie zögern, über Geschlechterungleichheit am Theater zu sprechen. Den Theatern pauschal Sexismus zu unterstellen, sei zu einfach. Abdel-Maksoud aber nennt es "strukturelle Benachteiligung", die Frauen am Theater erfahren. Sie und Suna Gürler haben den Regieberuf auch deshalb gewählt, weil sie gelangweilt waren von den Frauenfiguren, die man ihnen im Theater vorsetzte. "Charakteramputiert", beschreibt Suna Gürler diese Figuren. Nora Abdel-Maksoud, selbst gelernte Schauspielerin, legte sich einst mit einem Regisseur an, weil sie sich nicht auf der Bühne ausziehen wollte. So entschied sie, eigene Texte zu schreiben und zu inszenieren. Ihre Frauenfiguren sind äußerst schräg, oft sehr lustig. Sie lässt auch mal 60-jährige alte Männerfiguren von zierlichen Schauspielerinnen spielen. "The Making of", ihr Stück bei "Radikal jung", ist eine Recherche über Geschlechterklischees im Film-Geschäft. Die, so Abdel-Maksoud, übrigens Männer und Frauen betreffen: "Frauen sollen einen haarlosen Kinderkörper haben, Männer um jeden Preis alles Weibliche vermeiden".

Suna Gürler ist mit "Stören" beim Festival, ebenfalls ein eigener Text über Frauen in Opferrollen. "Frau sein ist oft wie eine Hemmung", sagt sie, "es gibt so viele Regeln, die man einhalten muss. Das fängt schon bei der Körperhaltung an." Daher will sie ihre Schauspielerinnen dazu bringen, auf der Bühne zu schwitzen, stark zu sein, blöd zu sein, unschön zu sein. So, wie in Sebastian Nüblings Inszenierung "Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen" von Sibylle Berg, in dem die beiden Frauen im Schlabberlook spielen dürfen. "Warum", fällt Suna Gürler da auf, "müssen Schauspielerinnen im Theater eigentlich fast immer Kleidchen und Pumps tragen?" Warum das alles so ist, können die beiden nur mutmaßen. Wenig weibliche Vorbilder. Wenig familienfreundliche Strukturen. Was es nicht gibt, kann es nicht geben.

Das Theater ist nicht besser als die Gesellschaft, die es abbildet. Gesellschaftliche Strukturen spiegeln sich auch in Strukturen der Theater wieder, gerade, wenn es um Deutungshoheit geht. Dass es überhaupt eine Nachricht wert ist, dass bei "Radikal jung" mehr Regisseurinnen eingeladen sind, belegt bereits, dass es eben noch keine absolute Gleichheit gibt. Die Jury von "Radikal jung" hat sich entschieden, die Arbeit von vielen Regisseurinnen sichtbar zu machen. Wer lang übersehen wurde, muss eben vermehrt ins Rampenlicht geschubst werden. Bald wird das vielleicht nicht mehr nötig sein.

© SZ vom 28.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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