Hongkong ist das neue Berlin, erklärte der Aktivist Joshua Wong vor zwei Wochen bei seiner Reise nach Deutschland. Außenminister Heiko Maas ließ sich damals mit dem 22-Jährigen ablichten. Man schien im Auswärtigen Amt zu unterstützen, was der Bürgerrechtler zu sagen hatte. Einen anderen Eindruck vermittelt nun ein Kulturfest, dass das deutsche Generalkonsulat im November mit dem Goethe-Institut, der Berliner Tourismusagentur Visit Berlin und einem Kulturzentrum in Hongkong veranstalten. 14 Tage dauert das "Projekt Berlin", für das viele Künstler und Musiker aus Deutschland einfliegen. Ende Januar liefen die Vorbereitungen im Generalkonsulat unter dem Projektnamen "Berlin-Woche zum 30-jährigen Mauerfall." Auch im Juni lautete das Stichwort zum Festival in der deutschen Vertretung noch "Thema Mauerfall". Nun aber, knapp einen Monat vor der Veranstaltung, wird weder auf der Internetseite des Festivals noch in den Programmheften der Jahrestag erwähnt.
Dabei soll bei dem Festival die Berliner Mauer ein zweites Mal fallen. Co-Organisator ist das Tai Kwun Centre for Heritage & Arts. Das Zentrum ist in den Räumen eines ehemaligen Gefängnisses untergebracht, im Hof steht noch die Mauer, die über die Jahre immer höher gebaut wurde, um die Menschen an der Flucht zu hindern. Jeden Abend wird die Berliner Kunstgruppe Lichtpiraten um sechs Uhr abends diese Gefängnismauer visuell zum Einsturz bringen. Ausbruch aus dem Gefängnis, heißt das Projekt. Auch am 9. November ist eine Show geplant. Zeitgleich finden in Deutschland die Feiern zum Mauerfall statt. Caren Müller von den Lichtpiraten bestätigt, dass die Lichtkünstler für ein Festival anlässlich des Mauerfalls angefragt worden seien.
Hongkong-Aktivist in Berlin:Das Gesicht des Konflikts
Während in Berlin der Aktivist Joshua Wong als Idol der Proteste gefeiert wird, schadet die Krise Präsident Xi in Peking schwer.
Anders stellen es nun aber die Organisatoren da. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, dass es sich "gerade nicht" um eine politische oder historische Veranstaltung handele. Der Zeitraum biete "den zeitlichen Rahmen - nicht jedoch den Anlass." Geschäftsführer Burkhard Kieker von der Berliner Tourismusagentur Visit Berlin spricht von einem Zufall. Am gleichen Tag beginnt die Berliner Festivalwoche. An sieben Tagen und sieben Orten sind Aktionen in der Hauptstadt geplant. Will man Kieker glauben, hat die fast gleichnamige Berliner Woche in Hongkong aber nichts damit zu tun. Das Kulturfest dort sei lediglich eine Promo-Aktion. "Das hätte zu jeder anderen Zeit im Jahr stattfinden können." Zudem sei sich Kieker sicher, dass der Generalkonsul "die Thematik" entsprechend "sensibel" behandeln werde.
Mit Thematik meint Kieker die seit über vier Monaten anhaltenden Proteste in der Stadt. Die Demonstranten fordern von China, die der Bevölkerung bei der Übergabe 1997 zugesicherten freiheitlichen Grundrechte zu achten. Viele Demonstranten suchen in ihrem Kampf um die Freiheit Vorbilder friedlicher Revolutionen im Ausland. Der Mauerfall in Deutschland - genauer gesagt die Feier des Mauerfalls - könnte falsche Assoziationen auslösen, sagt jemand aus dem Umfeld der Organisatoren. Das zumindest soll die Furcht beim Tai Kwun Centre for Heritage & Arts gewesen sein. Direktor Tim Calnin sagt, dass die Idee für das Festival zwischen ihm und dem deutschen Generalkonsul Dieter Lamlé vor zwei Jahren bei einem Mittagessen entstanden sei. Der Jahrestag des Mauerfalls sei nur beim ersten Essen Thema gewesen. Finanziert wird das Zentrum vom Hong Kong Jockey Club. Im Vorstand des Vereins sitzen einflussreiche Geschäftsmänner der Stadt. Die enge Beziehung zwischen den Hongkonger Tycoons und Peking ist bekannt. Viele haben sich gegen die Proteste ausgesprochen.
Einer der eingeladenen Gäste ist der ehemalige Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit. Lamlé und er kennen sich gut. Der Diplomat war sein Protokollchef in Berlin. Damals feierte die Hauptstadt 25 Jahre Mauerfall. In einem Abschiedsinterview mit der Berliner Morgenpost zog Lamlé 2015 Bilanz. Die Mauerfall-Feierlichkeiten hätten ihn in seiner Zeit "besonders gefreut". Aus seinem Umkreis heißt es, dass er sich fünf Jahre später eine Wiederholung der Veranstaltung in Hongkong gewünscht hätte - eben bevor die Proteste losgingen. Das Auswärtige Amt bestätigt, dass die Einladung Wowereits durch das Generalkonsulat in Hongkong erfolgte. Ursprünglich sollte der Politiker im Tai Kwun auftreten. Er sei ausgeladen worden, sagt ein Organisator. Ein Auftritt von ihm sei nie geplant gewesen, sagt Tai Kwun-Direktor Calnin: "Wir lassen das künstlerische Programm für sich sprechen." In welchem Rahmen Wowereit nun überhaupt noch am Programm mitwirkt, wollte das Auswärtige Amt nicht kommentieren. Wowereit reagierte auf eine Anfrage der SZ nicht.
Die Leiterin des Goethe-Instituts Almuth Meyer-Zollitsch ist die Einzige, die die Vorgänge klar benennt. Von Anfang an habe das Tai-Kwun-Center einen thematisch breiten Ansatz für das Festival gehabt. Es sei nie nur um den Mauerfall, sondern um die vielfältige Geschichte und Kunstszene Berlins gegangen. Aber klar sei: Im Laufe der Proteste habe sich der Fokus vom Thema Mauerfall wegbewegt. Sie betont, dass das Institut sein Programm nicht angepasst hat. Schaut man sich die Liste der Filme an, die das Goethe-Institut zeigen wird, wirkt das glaubwürdig. Darunter sind "Bornholmer Straße", "Good Bye, Lenin!" und "Das Leben der Anderen".
Es soll noch eine weitere Absage gegeben haben: die von Regierungschefin Carrie Lam. Im Mai wurde der Generalkonsul einbestellt, nachdem bekannt wurde, dass zwei Hongkonger in Deutschland politisches Asyl gewährt bekommen hatten. Danach soll Lam ihre Absage geschickt haben. Auch nach dem Treffen von Maas und Wong musste der deutsche Botschafter in Peking antreten. Bei der Spurensuche in Hongkong hört man Sätze wie: Bei China müsse man eben vorsichtig sein, unter dem Radar bleiben, überlegen, was Peking toleriere - und was nicht.
Eine Re-Inszenierung des Mauerfalls scheint in die zweite Kategorie zu gehören.