Noch ehe der junge Mann den Raum betritt, rangeln die Fotografen bereits um die besten Plätze. Joshua Wong, der wenig später durch die Tür der Bundespressekonferenz tritt, wirkt umso ruhiger. Beinahe staatsmännisch tritt der 22-Jährige am Mittwoch im grauen Anzug auf das Podium. Er schaut zunächst abwechselnd nach links und nach rechts, damit alle Kameras ihn erwischen. Als er dann sitzt, nimmt er erst einmal einen Schluck Wasser und legt sich einen Zettel zurecht. Dann redet er. 15, 20 Minuten lang, ohne dass es jemand wagt, ihn zu unterbrechen. Manchmal klingen seine Sätze pathetisch: "Hongkong ist das neue Berlin in einem neuen Kalten Krieg," sagt er über die Proteste in der Sonderverwaltungszone. Was dort passiert, geht die ganze Welt an, will er damit sagen.
Seit Wochen gehen in Hongkong Hunderttausende Menschen auf die Straße. Es ist eine Bewegung, die keinen Anführer will, keinen Anführer hat; Wong ist dennoch als eine Art Sprecher der Zornigen nach Berlin gekommen. Die ersten Wochen, als die Proteste um das Auslieferungsabkommen mit China gerade erst begonnen hatten, saß der 22-Jährige noch im Gefängnis. Zwei Monate musste er wegen Missachtung des Gerichts absitzen. Die Vorwürfe stammten immer noch aus der Zeit der Regenschirmbewegung von 2014. Die Prozesse gegen die führenden Köpfe der Bewegung waren damals für viele Menschen das erste Zeichen dafür, dass sich etwas veränderte in ihrer Stadt, im stolzen Hongkong, in dem es lange Freiheiten und Rechte gab, die Peking seinen eigenen Bürgern nie zugestanden hat.
Dicke Brille, strubbelige Haare und ein Gespür dafür, im richtigen Moment die richtigen Worte zu finden: Das zeichnet Wong aus. Mit zwölf Jahren organisierte er erstmals Proteste in seiner Heimat, damals ging es gegen ein neues Schulfach, das den jungen Hongkongern Treue zur kommunistischen Partei vermitteln sollte. Am Mittwoch sagt er: "Wir werden niemals schweigen". Man werde kämpfen bis zum letzten Tag. David gegen Goliath, schreiben die Medien; das Unmögliche möglich machen, nennt Joshua Wong das. An diesem Vormittag wirkt es, als bräuchte die Protestbewegung jemanden wie ihn vielleicht gar nicht so sehr in Hongkong, sondern vielmehr in Deutschland, wo man sich schwertut bei der Suche nach dem richtigen Umgang mit der aufsteigenden Wirtschaftsmacht. China ist ein Land, das viel verspricht, aber wenig hält, das überall mitspielt, aber immer wieder Regeln bricht. Joshua Wong aus dem kleinen Hongkong steht auch für diesen weltweiten Konflikt. Wong sieht sich selber gar nicht als Sprecher der Proteste in Hongkong, in Berlin wird er es zwangsläufig. Außenminister Heiko Maas lässt sich dort mit ihm ablichten. Christian Lindner lädt ihn zum Kaffeetrinken ein. Die Grünen-Politikerin Margarete Bause posiert mit ihm mit passenden grünen Regenschirmen.
Erreicht hat Wong in seiner kurzen Zeit in Deutschland vor allem eins: Peking ist so richtig sauer. Oder "stark unzufrieden", wie man das im chinesischen Außenministerium nennt. Deutschland habe sich mit dem Besuch entschieden, "Separatisten die Einreise zu gestatten", so der Vorwurf. Für China ist das ein "Akt der Respektlosigkeit". Mehrmals soll Peking Berlin dazu gedrängt haben, dem Hongkonger Aktivisten die Einreise zu verweigern. Dort wollte man aber nicht hören. Deshalb hat China den deutschen Botschafter in Peking einbestellt. Der "Zwischenfall", wie es der chinesische Botschafter in Berlin nennt, werde zudem negative Konsequenzen für die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und China haben.
"Glory to Hongkong"
Die Reaktionen zeigen, wie sehr die chinesische Regierung derzeit unter Druck steht. Vor einer Woche hat die Hongkonger Regierung die Rücknahme des Gesetzesentwurfs für das geplante Auslieferungsabkommen angekündigt. Geholfen hat das wenig. Die scheinbar versöhnliche Geste beeindruckt die meisten Demonstranten kaum: zu wenig und zu spät, sagen die Hongkonger. Sie pochen auf die vier verbleibenden Forderungen, darunter eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt und eine Reform des Hongkonger Wahlsystems. Außerdem sollen Festgenommene freigelassen und die Demonstrationen nicht mehr Aufstände genannt werden.
Jeden Tag gibt es in der Stadt weitere Demonstrationen. Viele Universitätsstudenten und Schüler streiken. Am Sonntag könnten erneut Hunderttausende auf die Straße gehen. Bei einem Fußballspiel am Dienstagabend buhten die Zuschauer, als die chinesische Nationalhymne lief. Tausende drehten dem Spielfeld ihren Rücken zu. Später sangen die Fußballfans "Glory to Hongkong" - ein eigens für die Bewegung komponiertes Lied, das in der Stadt inzwischen als inoffizielle Hymne gehandelt wird. Es ist diese Art des Protests, die kaum daran glauben lässt, dass sich die Lage in der Stadt bald beruhigen könnte.