Pro & Contra: Was nützen Appelle von Künstlern?:Keine Wortmeldung ist folgenlos

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In Berlin demonstrierten im Oktober Zehntausende gegen Rassismus und Rechtsruck. (Foto: dpa)

Offene Briefe oder Manifeste von Intellektuellen werden oft belächelt. Dabei entwickelt politischer Einspruch den Diskurs weiter. Ein Pro.

Von Jörg Häntzschel

Im September forderten 290 Künstler Innenminister Horst Seehofer zum Rücktritt auf. Überschrieben haben sie ihren Appell mit "Würde, Verantwortung, Demokratie". Dutzende Kulturinstitutionen haben gerade die "Erklärung der Vielen" unterzeichnet "gegen Rassismus und andere Formen der Diskriminierung und für eine gerechte, offene und solidarische Gesellschaft". Ab dem 9. November soll sich die Erklärung, so heißt es, "in Aktionen, Veranstaltungen und Diskussionen artikulieren".

Man stöhnt ein bisschen angesichts all dieser Offenen Briefe, Appelle und Kampagnen. Rassismus? Sogar die AfD behauptet, dagegen zu sein. Was "Aktionen" angeht, so weiß man, dass sie oft das Gegenteil von konkreten Handlungen sind. Und wer startet solche Aufrufe? Immer dieselben.

Doch woher rührt eigentlich die Verächtlichkeit, mit der man diesen Appellen so oft begegnet? Bloß weil Menschen ihre üblichen Rollen verlassen, nur weil sie sich den Raum, in dem sie sprechen, selbst schaffen, weil sie fordern, statt nur zu meinen, wirft mancher ihnen Anmaßung und Wichtigtuerei vor. Was ist das für ein Demokratieverständnis?

Dass die Kampagnen mit kleinen gemeinsamen Nennern operieren, liegt in der Natur der Sache. Utopien oder Gesellschaftsanalysen werden anderswo formuliert. Hier geht es darum, möglichst viele zu mobilisieren. Der Preis dafür sind im schlechtesten Fall Forderungen, die so vage sind, dass sich ihr Inhalt beim Lesen verflüchtigt ("für eine offene Gesellschaft"); oder solche, die so eng zugeschnitten sind, dass sie unfreiwillig den Anschein erwecken, alles andere sei in bester Ordnung. Wie beim Seehofer-Appell, der beklagte, "dass der Bundesinnenminister fortwährend die Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung" sabotiere. Eine bessere Welt? Eine andere Regierung? Nein, diese Künstler wollen nur eine arbeitsfähige Regierung.

Am Montag forderten 12 Nobelpreisträger ganz konkret ein "Grundrecht auf verlässliche Informationen".

Wie brav, wie staatstragend könnte man einwenden. Aber immerhin gibt es diesen Appell, immerhin sind aus den 290 Unterzeichnern innerhalb von sieben Tagen 8700 geworden. Seehofer ist zwar noch im Amt, aber die Meinung dieser 8700 Menschen, von denen er sonst nicht wüsste, musste er zur Kenntnis nehmen. Es ist auch keineswegs so, dass die Appelle immer dieselben nichtssagenden Phrasen dreschen. Am 10. November etwa wollen die Initiatoren des "European Balcony Project" die "Europäische Republik" ausrufen. Sie meinen damit nicht weniger als ein "Europa ohne Nationen". Auch die am Montag vorgestellte Forderung von zwei Dutzend Nobelpreisträgern ist sehr konkret. Sie setzen sich für ein "Grundrecht auf verlässliche Informationen" ein.

Bringt nichts? Verpufft folgenlos? Man kann es so sehen - wenn man die gesellschaftliche Debatte für eine Maschine hält, die Meinungen zu politischen Ergebnissen verarbeitet. Tatsächlich handelt es sich um einen kakofonischen Chor aus Stimmen, die sich - jede einzeln und alle zusammen - laufend verändern, fortpflanzen und miteinander konkurrieren.

Auch wenn nicht alles durch den Lärm dringt, auch wenn nicht alle gleich laut sprechen: Was gesagt wurde, ist gesagt, der Diskurs hat sich weiterentwickelt. Ganz gleich, ob es ein Selbstgespräch ist, eine Unterhaltung in der U-Bahn oder ein öffentlicher Appell bekannter Intellektueller: Nicht immer, ganz selten nur, gelingt es mit diesen Wortmeldungen sofort, das erhoffte Ziel zu erreichen. Folgenlos aber sind sie nie.

© SZ vom 07.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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