Pro & Contra: Was nützen Appelle von Künstlern?:Erfolg braucht mehr als Masse

Large-Scale Protest March For An Open Society

In Berlin demonstrierten im Oktober Zehntausende gegen Rassismus und Rechtsruck.

(Foto: Getty Images)

Wer den Rechten etwas entgegensetzen will, darf sich nicht aufs Bewahren beschränken. Es braucht Visionen für künftige Generationen. Ein Contra.

Von Ekaterina Kel

Weniges wirkt wohliger als die Versicherung, dass man nicht allein ist. "Wir sind viele" - dieser Satz erschafft erstens eine virtuelle Gemeinschaft und lässt zweitens einen gedanklichen Raum entstehen, in dem eine Veränderung möglich ist. Im Fall der gerade sehr zahlreichen Appelle, Hashtags und Unterschriftenkampagnen klingt dies in vielen Formeln an. Sie beschwören eine Gemeinschaft, die sie immer wieder neu erschaffen. Die Menschen rücken zusammen, formen eine Gruppe. Aber tun sie auch einen Schritt nach vorn?

In den vergangenen Wochen sind in Berlin, München und anderen Städten Tausende auf die Straße gegangen. Kulturschaffende kamen hinzu, formulieren Appelle, fordern Signale gegen Hass und Rassismus. Nun auch die Nobelpreisträger, die gegen strategische Desinformation wettern. Intellektuelle schaffen Aufmerksamkeit, die Vielen hören ihnen zu. Aber reicht das?

Es ist erfreulich, dass sich viele Menschen mobilisieren lassen, dass sie nicht schweigen, während die Rechten an Stimmen gewinnen. Aber wofür stehen sie? Nicht nur als Gegenkraft zu den Rechten, sondern mit eigenen Ideen? Sie brauchen eine eindeutige, ja politische Richtung.

"Wir sind viele" ist ein Songtitel sowohl von Tocotronic, der linksintellektuellen Band schlechthin, als auch von der Gruppe Frei.Wild, die wegen ihrer Nähe zum rechten Milieu umstritten ist. Die Aussage allein sagt also wenig. Sie benötigt eine Idee.

Die Mehrheit sucht in der Mitte der Gesellschaft Halt. Dort, wo es kein Risiko gibt.

Wenn die Vielen keine Forderungen aufstellen, wie das Zusammenleben besser organisiert werden kann, wie soziale Ungleichheit, horrende Mieten, Klimawandel oder Diskriminierung bekämpft werden können, bleibt es nur bei dieser Erklärung: Gemeinsam sind wir stark. Und dann? Während die Rechten immer neue Strategien finden, um sich als die Underdogs zu inszenieren, während sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, sie seien die einzigen, die etwas verändern wollen, sucht die Mehrheit in der Mitte der Gesellschaft ihren Halt. Dort, wo es kein Risiko gibt - aber viel zu bewahren.

Dieser Impuls wird umso stärker, je mehr man Bewahrenswertes bedroht sieht. Die Rechtspopulisten rütteln an den Grundfesten der Demokratie? Die Vielen wollen das Demokratiebewusstsein stärken. Die Europakritiker stellen die Europäische Union infrage? Die Vielen hüllen sich in EU-Flaggen. Auf der Seite von "Pulse of Europe", einer Pro-Europa-Bewegung, steht: "Es geht um nichts Geringeres als die Bewahrung eines Bündnisses zur Sicherung des Friedens." Demokratie, Frieden - ja, klar, wer wäre nicht dafür? Aber die Forderung nach Bewahrung allein ist noch nicht emanzipatorisch. Sie ist nicht einmal liberal: conservare ist Lateinisch für die Ordnung aufrechterhalten. Gewiss, wenn der Veränderungsdruck von rechts kommt, um zu zerstören, was man für richtig hält - Meinungsfreiheit, Pluralismus - dann sollten Intellektuelle (nicht nur sie, aber sie gerade) für ihre Bewahrung eintreten. Nur wird eine defensive Haltung auf Dauer nicht reichen.

Deshalb muss man sich beim nächsten Appell die Frage stellen: Liegt der Erfolg bereits darin, dass möglichst viele sich beteiligen? Oder müsste man nicht vielmehr jede dieser Initiativen, auch jene von Kulturschaffenden, auf tragfähige Inhalte überprüfen? Auf die Fähigkeit von Künstlern, mit einer Zukunftsperspektive zu begeistern, einer Vision für die nächste Generation? Ihr Erfolg wird nachhallender sein, wenn man sich nicht nur mit ihrer Zahl, sondern auch mit ihren Vorschlägen auseinander setzen muss.

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