Popkolumne:Algorithmusgefiedel

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Neue von "Sudan Archives", Michael Kiwanuka und "Yeah Is What We Have" - sowie die Antwort auf die Frage, warum der DJ Nina Kraviz kulturelle Aneignung vorgeworfen wird.

Von Juliane Liebert

Stephen Morris, ein britischer Geiger, der schon David Bowie und Stevie Wonder bei Konzerten begleitete, hat seine Violine im Zug vergessen. Das Instrument soll 310 Jahre alt und 290 000 Euro wert sein. Womöglich ist es aber auch bloß von einem dieser jüngeren Popmenschen mit Starambitionen geklaut worden. Von Angel Olsen etwa oder von Lana Del Rey - ohne Geige läuft schließlich nichts mehr, das hat sich rumgesprochen.

(Foto: N/A)

Auch Sudan Archives ist da ganz vorne mit dabei, die amerikanische Geigerin heißt bürgerlich Brittney Denise Parks. Auf ihrem neuen Album "Athena" verbindet sie Streicher und blaskapellenhafte Retortentöne zu einem fiedelnden Algorithmus. Das klingt eigen, aber auch sehr eingängig. Ihr Song "Black Vivaldi Sonata" hat auf jeden Fall Chancen auf den Songtitel des Jahres. Durch den Computerreißwolf gejagte Geräusche mit Geige. Überall Geigen! Ein einziges Gegeige allerorten! In "Did you know" ist sie eifersüchtig, dass sie ihren Lover mit einer anderen gesehen hat. Die Arme! Dazu hüpft ihre gesampelte Violine. Die Synthies werden immer dramatischer. Dieser supersmarte R'n'B trägt zwar nicht über 14 Songs, "Honey" oder "Pelicans In The Summer" können aber nicht schaden, so kurz vor dem November.

(Foto: N/A)

Nina Kraviz schlägt sich unterdessen mit Twitter herum. Indem sie ein Foto von sich mit Cornrows postete, löste sie einen Shitstorm aus. Wieder geht es um den Vorwurf der kulturellen Aneignung: Weiße schlügen Profit aus der Kultur diskriminierter Schwarzer. Anstatt sich postwendend für unabsichtlich verletzte Gefühle zu entschuldigen, wie in solchen Fällen inzwischen üblich, wies sie darauf hin, dass die am Kopf anliegenden Zöpfe nicht nur in afrikanischen Kulturen geflochten werden und sie als aus Sibirien stammende Russin eigentlich auch keine weiße Europäerin sei. Es half nicht. Unterdessen haben 700 Musiker einen offenen Brief unterzeichnet, der zum Boykott Amazons aufruft und das Unternehmen auffordert, alle Geschäftsverbindung zur amerikanischen Einwanderungsbehörde und dem Militär zu kappen. Ganz großen Namen sind bisher nicht dabei. Aber mit The Black Madonna immerhin eine international erfolgreiche DJ.

(Foto: N/A)

Wenn schon Fiedeln, dann auch Chöre: Der Opener von Michael Kiwanukas drittem Album "Kiwanuka" beginnt mit schönen Ennio-Morricone-Westernmusik-Gedächtnis-Chören. Über einem stoisch schmutzigen Bass scheppert das Schlagzeug an den richtigen Stellen. Seine Stimme hat eine jugendliche Glätte und leichte Froschigkeit, mit einer Minimaldosis Rauheit irgendwo im Hintergrund. Er braucht keinen Firlefanz, sondern nimmt sich eine simple Popkadenz wie in "I've Been Dazed" und baut den Song nach allen Regeln der Kunst zur Pop-Oper aus, die er in erhabenen Soundflächen aus Hall und Tremoloflimmern zum Himmel fahren lässt. Manches rauscht ein wenig zu leicht durchs Ohr, "Piano Joint" etwa, dessen Intro-Part aber mit satten Retro-Chören sehr stimmungsvoll ist. Trotzdem schön, wie lang das Klavier am Anfang innehält. "Hero" klingt wie von einem beschädigten Band gezogen und mausert sich dann zum funkigen Drei-Akkord-Rockhit. Immer wieder baut Kiwanuka in seine Tracks Ambient-Inseln ein oder Passagen, die wie archäologische Fundstücke aus der Geschichte der Schwarzen Musik wirken. Die Platte hat einen an rauen Herbstabenden wärmenden Sound, der bis in die einzelnen Effekte hinein mit Tradition spielt, aber ganz und gar heutig-hochauflösend ist. Bloß zum Ende hin wird's arg gefühlig. Aber ist ja auch Soul.

(Foto: N/A)

Yeah Is What We Have machen auf ihrem Debüt "What We Have" launigen, melodiösen Indie-Pop-Rock mit leichtem Retrofaktor. Sie klingen angenehm merkwürdig. Etwas übersteuert rappelndes Kunstschlagzeug und kaum akustischer Raum. Wie in einer zu vollen Garage, wo der Krempel jedes Geräusch schluckt. Andererseits scheint die Musik eigentlich eher auf Popglanz bedacht. Man ist nicht ganz sicher, ob dieser Widerspruch gewollt ist oder nur das Geld fehlte. Manchmal singen sie wie die Beatles aus der Konservendose. In anderen Momenten glaubt man Brian Wilson zu hören, der zwischen elektrischen Instrumenten zu ertrinken droht und um Hilfe ruft.

Zuletzt darf an dieser Stelle natürlich nur ein Letztes nicht fehlen: Grüße und Lob an die schwedischen Techno-Tüftler SHXCXCHCXSH. Sie haben sich für ihr neues Album doch tatsächlich in HSXCHCXCXHS umbenannt.

© SZ vom 30.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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