Pop:Wie ein kalter Stern

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Erklärtes Idol der Formation "Monkey House" sind "Steely Dan", die hier 2019 bei einem Konzert in London, England, zu sehen sind. (Foto: AP)

Die Formation "Monkey House" klärt auf dem Album "Friday" endgültig und präzise, wes Geistes Kind sie sind.

Von Thomas Steinfeld

Als Walter Becker und Donald Fagen, zwei amerikanische Musiker, die als Band unter dem Namen Steely Dan auftraten, im Herbst 1980 ein Album mit dem Titel "Goucho" veröffentlichten, schien sich ein großes künstlerisches Projekt erschöpft zu haben. Gewiss, auch ihre siebte Langspielplatte verkaufte sich glänzend. Und es waren auch nach wie vor die Elemente gegenwärtig, mit denen die beiden alle Kriterien für das, was bis dahin als Pop oder Rock gegolten hatte, gesprengt hatten: die vertrackten Harmonien, die ungeraden Takte, die komplizierten Arrangements. Doch empfanden etliche Kritiker die Musik als steril.

Dieser gleichsam moralische Einwand ging zwar an den Werken von Steely Dan vorbei. Aber er markierte dennoch, dass hier etwas zu Ende ging: Denn "kalt" war diese Musik immer schon gewesen. Die kleinen Meisterwerke waren als Spiegelungen einer amerikanischen Warenästhetik konzipiert: So wie der Flaneur des 19. Jahrhunderts an den Schaufenstern vorbeigegangen war, nicht als deren kritischer Betrachter, sondern als deren zur leibhaftigen Person gewordene Spiegelung, so zog die populäre Kultur des späten 20. Jahrhunderts durch diese Musik. Sie war als Dandyismus kalkuliert: Und dieser Dandyismus ist "strahlend schön", wie es bei Charles Baudelaire heißt, doch "ohne Wärme und voller Melancholie".

Die Pseudoband Steely Dan, im Jahr 1981 aufgelöst, wurde ein paar Jahre später wieder ins Leben gerufen. Es gab auch neue, erfolgreiche Alben. Walter Becker und Donald Fagen spielten Soloaufnahmen ein. Die britische Gruppe China Crisis bildete in den frühen Achtzigern sogar eine Art Wiedergänger, bei deutlich kleinerem Budget und geringerem Talent.

Doch es war, als wäre die prekäre Balance zwischen Mimesis (des öffentlichen Gefühls) und Verachtung (für alle Menschen, die daran glaubten), die Walter Becker und Donald Fagen in ihrem ersten Lauf kultiviert hatten, nur in einem bestimmten historischen Augenblick und für eine begrenzte Zeit möglich gewesen: in der zweiten Hälfte der Siebziger, als der Heroismus einer jugendlichen Revolte noch nicht ganz verschwunden war und die freie Marktwirtschaft noch nicht ganz gesiegt hatte. Walter Becker und Donald Fagen vermochten die Versatzstücke der populären Kultur auf eine Weise nachzuahmen, die in ihrer Perfektion die Originale übertraf und die, eben weil sie nur aus Nachahmung, nur aus konstruierten Effekten bestand, auf eine verführerische Art böse wirkte.

Erfolgreich im Pop ist nicht, wer Neues schafft, sondern wer bei Wiederholungen lebendig wirkt

Vor ein paar Tagen erschien ein Album, auf dem dieses Ineinander von Affirmation und Subversion, das bei Steely Dan einmalig errungen zu sein schien, unter veränderten Voraussetzungen wiederkehrt. Das Album trägt den Titel "Friday" (Alma Records); dargeboten wird diese Musik von einer Gruppe, die aus Toronto stammt, jetzt aber in Los Angeles lebt und sich Monkey House nennt, nach dem Titel eines Romans von Kurt Vonnegut. Für den Namen Steely Dan hatte William S. Borroughs Pate gestanden.

Ihr Anführer ist der Komponist, Pianist und Sänger Don Breithaupt, ein Mann, der sein Geld offenbar auch schon mit Weihnachtsliedern und Wohlfühlmusik verdient hat. Aus seiner Bewunderung für Steely Dan macht er keinen Hehl. In den Archiven des digitalen Netzes findet sich gar eine von ihm gesprochene, zweistündige Einführung in "Aja", das Album, das Steely Dan im Jahr 1977 veröffentlichten. Und tatsächlich klingt die Musik von Monkey House, als hätte man die künstlerischen Vorstellungen, die "Aja" zugrunde lagen, um vierzig Jahre in die Zukunft geschoben: die gleichen echsenhaften (eigentlich trägen, aber dann blitzschnell zuschnappenden) Rhythmen, ähnliche Melodien mit ähnlich vertrackten Harmonien, der gleiche Glanz, der gleiche, unbedingt vereinnahmende Groove.

Und immer sind da diese Bläser, der diabolische Chor aus synchron mit dem Kopf wackelnden Pustebacken, die dafür sorgen, dass die Verlierer, von denen die Texte erzählen, absolut sicher in die Hölle geleitet werden.

Seit vielen Jahren schon könnte man den Eindruck haben, die Entwicklung der populären Musik sei in den späten Siebzigern, frühen Achtzigern abgeschlossen gewesen, damals, als der Punk, der schon eine Wiederholung der frühen Sechziger gewesen war, seine Kraft verloren hatte und der jugendliche Aufstand in die Endlosschleife ging, doch meist als Pose und Dekor: Dass John Mayer, einer der begabtesten unter den Musikern, die um das Jahr 1980 geboren wurden, am Ende bei einer Nachfolgeorganisation der Grateful Dead landete und damit bei Musikern, die mindestens eine Generation älter als er selbst sind, erscheint in dieser Hinsicht als ebenso schlüssig wie der Umstand, dass eines der musikalisch gewagtesten Pop-Alben der vergangenen Jahre von einem Musiker vorgelegt wurde, der bei Veröffentlichung fast siebzig Jahre alt war: Das Album heißt "Black Star", der Musiker war David Bowie.

So eingeschlossen in ihre eigene, kurze Tradition scheint die populäre Musik zu sein, dass erfolgreich nicht wird, wer etwas Neues zu bieten hat, sondern wem es gelingt, in den Wiederholungen des Alten und Vertrauten noch einigermaßen lebendig zu wirken, wenigstens zum Schein.

Als Walter Becker und Donald Fagen das Album "Goucho" aufnahmen, brauchten sie dafür drei Jahre im Studio und mehr als drei Dutzend Mietmusiker, von den sich "Wendel", der elektronische und unbedingt taktfeste Schlagzeuger, als der nützlichste Mitarbeiter erwies. Es ist kaum vorstellbar, dass Don Breithaupt und Monkey House auf Herausforderungen dieser Art stießen: nicht nur, weil es heute viele Musiker gibt, die unter allen Umständen alles spielen können, nicht nur, weil es offenbar möglich ist, die Vokalgruppe Manhattan Transfer (in einem ebenso mitreißenden wie ironischen Stück namens "Jazz Life", das mit "Birdland", der Erkennungsmelodie von Manhattan Transfer, spielt) als Hintergrundchor zu engagieren, sondern vor allem, weil die Aufnahmetechnik in den vergangenen vier Jahrzehnten so große Fortschritte machte, dass sie das Déjà-vu, von dem auch diese Musik lebt, gleichsam von innen durchsticht. Der objektiven Unwahrscheinlichkeit des Neuen tritt hier ein frisches Altes entgegen, ein Schlag auf der kleinen Trommel zum Beispiel oder das Anreißen einer Gitarrensaite, das gerade mit rosigem Zausekopf aus dem Ei geschlüpft zu sein scheint.

Allerdings war das Déjà-vu immer schon die Ressource gewesen, aus der das Werk der Konzeptkunst, das Steely Dan genannt wurde, seine Kraft bezog. Die Kraft kam aus dem Wiedererkennen, aus dem leisen Schrecken darüber, dass all diese Techniken der Selbstvergewisserung und Selbstverschönerung, die in Wort und Ton vor dem Hörer ausgebreitet wurden, so unheimlich vertraut waren. In keinem Lied wurde diese dämonische Potenz deutlicher als in "Deacon Blues" aus dem Jahr 1977, dem Klagegesang eines notorischen Verlierers (und potenziellen Selbstmörders), der sich für seinen Untergang einen prächtigen "brandname" wünscht, so schön wie der Name, den die Sportmannschaften der Universität von Alabama tragen ("Crimson Tide"), und der davon träumt, ein großer Saxofonist zu sein - woraufhin ein rohes Saxofonsolo in das Stück hineinbläst, wie zum Hohn über die Selbsttäuschungen des Unglücksraben. Als wollte die Gruppe Monkey House eine Antwort auf "Deacon Blues" geben, befindet sich auf dem Album "Friday" ein Lied mit dem Titel "I'll Drive, You Chill", das einem ähnlichen Gegenstand gewidmet ist - in dem aber ein tiefgelegtes Gitarrensolo dafür sorgt, dass sich die Fluchtträume des Protagonisten schon mit dem ersten Ton als schales Recycling einer ebenso verbreiteten wie komplett schwachsinnigen Heldenfantasie entpuppen.

Wenn alles, was man gerade kennenlernt, sich im Handumdrehen als Wiederholung einer Angelegenheit herausstellt, die man schon kennt: Wie reagiert man darauf? Wenn alle Resignation schon vollzogen ist, bevor man weiß, worüber man resigniert: Was tut man dann? Und wenn das Wiedererkennen des Erkannten schon zu einer Kunstform geworden ist, wie es bei Steely Dan der Fall war: Wie kann dann noch eine intellektuelle Distanz entstehen, die nicht im Innersten kontaminiert wäre von dem, wovon man sich distanzieren will? Die Antwort, die Don Breithaupt und Monkey House auf diese Fragen geben, besteht darin, dass sie das Prinzip der dämonischen Wiederholung um eine Spiralwindung weiterdrehen: In ihrer Musik erkennt man etwas wieder (Steely Dan), was schon in einem Wiedererkennen bestand, und zwar mit einer handwerklichen Präzision, die das schon extrem hohe Niveau des Vorbilds noch einmal übertrifft. Etwas Neues entsteht dadurch nicht. Aber man sieht, wie bei Baudelaire, einen Stern fallen, strahlend schön, ohne Wärme, doch voller Melancholie.

© SZ vom 05.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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