Pop:Immer anders

Lesezeit: 2 Min.

Das neue Album der großartigen Berliner Rockband "Mutter" macht seinem Titel alle Ehre: Es heißt "Der Traum vom Anderssein" und feiert das Wechselspiel zwischen Urkraft und Feinsinn, körperlichem Rock und melodiösem Pop.

Von Martin Pfnür

Unberechenbarkeit kann sich im Pop- und Rock-Segment sowohl als Fluch als auch als Segen erweisen. Fluch, weil es letztlich natürlich ums Geldverdienen geht, was sich mit einem griffigen Trademark-Sound sehr viel einfacher bewerkstelligen lässt. Segen, weil die Unberechenbarkeit für nicht wenige Musiker und Rezipienten zu den Kernattributen künstlerischer Selbstverwirklichung respektive Größe zählt. Und groß ist oft der, dem der Markt und seine Mechanismen eher egal sind.

In diesem Spannungsfeld lässt sich auch die Geschichte der Berliner Band Mutter verorten. Eine Band, der man seit ihrer Gründung als Nachfolgeformation der Noiserock-Truppe Campingsex vor 31 Jahren mangels Erfolg immer wieder mal eine Verweigerungshaltung attestiert - und die im Grunde doch nichts anderes macht, als sich mit jedem Album neu in ihrer Gewichtung zwischen walzendem Schwermetall und hübschen Melodien, zwischen Urkraft und Feinsinn auszuloten. Er wisse schon, dass es besser sei, wenn man sich "bis zum Erbrechen" wiederholt, sagt Sänger und Urmitglied Max Müller: "Ich kann das aber nicht, weil ich mich selbst damit wahnsinnig langweilen würde. Man wiederholt sich ja sowieso, aber in dem Rahmen will ich es halt total ausschöpfen."

Bis heute erstaunlich variabel geblieben: die Berliner Band "Mutter" um Sänger Max Müller (rechts). (Foto: Jens Sage)

Was Müller mit "total ausschöpfen" meint, erschließt sich schnell, wenn man "Der Traum vom Anderssein" (Die Eigene Gesellschaft/Hanseplatte), das neue Album seiner Band, hört. Da wird man durch knüppelharte Krautrock-Repetitionsschlaufen ("Glauben nicht wissen") geschleust, gefolgt von bleischweren Metal-Drones ("Menschen werden alt und dann sterben sie"), zu denen die meist kaum verständliche Stimme Müllers mehr als Instrument denn als Singstimme erklingt.

Dieses Mäandern zwischen den Extremen ist es wohl, an dem sich bei Mutter die Geister scheiden. Während der Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen oder der ehemalige Blumfeld-Genius Jochen Distelmeyer nicht müde werden, die Band zu preisen, fällt ihr in sich geschlossenes Universum für Fans deutschen Diskurs-Rocks eher zu breitbeinig und existenziell, für den gemeinen Heavy-Rock-Hörer wiederum zu subtil und intellektuell aufgeladen aus. Dabei liegt ihr Reiz ja gerade im lustvollen Wechselspiel zwischen der unmittelbaren Körperlichkeit des Rock und der Melodieverliebtheit des Pop, wie sich auf dem neuen Album exemplarisch zeigt.

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Hat man sich nämlich erst mal von der Heftigkeit der ersten beiden Stücke durchrütteln lassen, erstrahlt ein ruhiger, gravitätisch angebahnter Song wie "So bist du" umso wahrhaftiger. Müller formt mit klarer Stimme Sätze, die sich bei aller Abstraktion auch als vergiftete Spitzen gegen das Postfaktische begreifen lassen. "Jede kleine Gewissheit / es könnte so gewesen sein / macht dich froh", singt er da. Oder, möglicherweise in Richtung Donald Trump: "Und wieso soll ich ihm sagen / dass er lügt / wenn er so glücklich damit ist."

Es folgen Songs, die das Spektrum des Quintetts wunderbar abdecken. Etwa so brachial-hypnotische Groove-Monster wie "Geh zurück" oder "Kravmann", bei denen Müller seine Stimme durch das Tonhöhen-Korrekturprogramm Auto-Tune jagt. Oder eben der Titelsong, dessen hymnische Pop-Grandezza in einem Satz mündet, der die ganze Lächerlichkeit kontemporärer Individualisierungs-Zwänge mal eben kurz verräumt: "Der Traum vom Anderssein / macht uns soooo gleiiiich." Mutter, so viel ist sicher, werden trotzdem immer anders bleiben.

© SZ vom 06.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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