Plattenkabinett:Und jetzt alle: Fli-Fli-Fla-Fla-Flaschenpfand!

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Andreas Dorau liefert schon im Januar den Ohrwurm des Jahres. (Foto: Sönke Held/Bureau B)

Andreas Dorau liefert im Januar den Ohrwurm des Jahres. Mogwai kann einem nur das Angebot vermiesen, sich den Hintern mit Wasser reinigen zu lassen. Und eine der seltsamsten Bands der Welt kommt aus Mülheim an der Ruhr. Neue Alben im "Plattenkabinett", der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Sebastian Gierke

Andreas Dorau - Aus der Bibliothèque

Vorsicht, dringende Warnung. Wer jetzt weiter liest, der läuft Gefahr, den Rest des Tages, ach, den Rest seines Lebens Flaschenpfand im Ohr zu haben. Wer jetzt weiter liest, der wird womöglich folgende Worte im Bett seinem Partner oder im Meeting seinem Chef unbewusst vorsummen: "8, 15, 25 Cent/ein jeder diese Zahlen kennt/die Kinder rufen im ganzen Land/Fli-Fli-Fla-Fla-Flaschenpfand".

Sie sind noch da? Sie gehen das Risiko ein? Sehr gut. Dann erzähle ich Ihnen, dass diese grenzdebilen Zeilen von Andreas Dorau stammen. Aus dessen Song "Flaschenpfand", der mit seinem Beach-Boys-Refrain wie ein Kinderlied klingt, aus dem neuen Album "Aus der Bibliothèque". Schon jetzt ist das Lied einer der Ohrwürmer des Jahres 2014. ( Mehr zum Phänomen Ohrwurm finden Sie in diesem Text.)

Dorau wird am 19. Januar 50 Jahre alt. Und das feiert er nicht nur mit dem neuen Album "Aus der Bibliothèque", auf dem "Flaschenpfand" zu finden ist, sondern auch mit einer zweiteiligen Werkschau. Dorau ist ein Held der Neuen Deutschen Welle, hat als 15-Jähriger mit "Fred vom Jupiter" einen irren Über-Hit gelandet und seitdem vorgetäuschten Dilettantismus und kindische Albernheiten zu Kunst gemacht.

Mit "Aus der Bibliothèque" ist ihm noch einmal ein Geniestreich gelungen. Und das, weil man nicht genau weiß, was diese Lieder, die "Hühnerposten", "Stählerner Adler" oder "Faul und bequem" heißen, von einem wollen. Denn nur dann ist die Musik interessant genug, um nicht zur Nebensache zu werden. Es ist das ewige Spiel zwischen Konvention und Experiment, das Dorau spielt. Dorau ist Trash, klar. Er ist auch dekadent. Zusammen mit der Band Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen hat er wieder Schlager aufgenommen, aber subversive Schlager. Dorau musiziert, um das Musizieren der Lüge zu überführen, besingt beispielsweise in "Tannenduft" zur lieblich-beatelesken Melodie den Hamburger Serienmörder Fritz Honka. Einen genauen Plan hat er immer, wenn der aber nicht aufgeht, hat er nichts dagegen.

Es ist die Methode der kalkulierten Übertreibung, mit der es Dorau gelingt, hin und wieder ein Krümelchen Wahrheit aufleuchten zu lassen. Dorau, die moderne Alice im feindseligen Wunderland einer abgetakelten Moderne. Was anderes ist der Flaschensammler, als ein untrügliches Zeichen für das Auseinanderbrechen der Gesellschaft? Für den immer größer werdenden Abstand zwischen oben und unten?

In diesem Sinne! Alle: "Fli-Fli-Fla-Fla-Flaschenpfand".

Wäre das Album ein Schauspieler, es wäre Charlie Chaplin.

Am besten hört man das Album beim Rumstehen an einem alten Autoscooter.

Wenn das Album ein Getränk wäre, es wäre Bitterlimonade in einer Champagnerflasche.

Falls Sie die Playlist nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

"Das WC, das Sie mit Wasser reinigt." Ein Satz, wie eine richtig miese Krankheit. Es gibt wenig schlimmere Sätze. Warum? Es hat wohl was mit dem Zusammenspiel von Banalität und Intimität zu tun. Der Satz ist jedenfalls so schlimm, dass er, zum falschen Zeitpunkt zu Gehör gebracht, schwerwiegende Folgen haben kann. Wenn er zum Beispiel in dem Moment fällt, da gerade das neue Mogwai Album "Rave Tapes" läuft.

Genau das ist mir beim Hören des Albums passiert. Irgendein saudummer Zufall! Zu viele Browser-Fenster am Computer offen und in irgendeinem läuft dann diese Werbung und irgendjemand sagt mit einer dieser sehr gereinigten Werbe-Stimmen: "Das WC, das Sie mit Wasser reinigt", während Mogwai gerade ...

Es ist schrecklich. Denn der Satz wird jetzt für immer mit dieser Platte verbunden sein. Warum? Es hat wohl etwas mit dem Zusammenspiel von Banalität und Intimität zu tun. Das beherrschen Mogwai, bandgewordenes schottisches Denkmal, wie wenige andere Gruppen - womit ihre Musik die größtmögliche Distanz zum WC-Satz aufweist. Legt man jetzt beides übereinander, klingt das Ergebnis unerträglich.

Was allerdings sowohl der WC-Satz als auch "Rave Tapes" beweisen: Worte sind nicht die einzig denkbare Form von Intelligenz. Mogwai verzichten auf ihrem achten Studioalbum wieder weitgehend darauf. Das Album, erschienen auf dem bandeigenen Label "Rock Action", klingt dabei runder, weicher, bildmächtiger als die Vorgängerplatten. Die Musik fließt, quillt auf und fällt wieder in sich zusammen. Pulsierende Soundflächen, oft elektronisch erzeugt, komplexe musikalische Texturen. Und darüber, meist zurückhaltend, aber immer effektvoll: die Gitarre. "Rave Tapes" ist ein Soundtrack für den Zustand zwischen Leben und Traum. Das Album kann aber auch schlicht die akustische Gleitcreme für den sonntäglichen Putznachmittag mit anschließend Kaffee und Kuchen sein. Das geht, weil der Musik zwar volle Aufmerksamkeit nicht schadet, sie braucht sie aber nicht. Für Art-Rock nicht selbstverständlich, finden Mogwai die Balance: Nicht zu viel Leidenschaft, aber auch nicht zu wenig. Sinn für das Wichtige. Sinn für das Richtige.

Wenn nur nicht im Hintergrund ständig die Klospülung liefe.

Wäre das Album ein Schauspieler, es wäre Daniel Day-Lewis.

Am besten hört man das Album in der Nacht auf einem verlassenen Highway.

Wenn das Album ein Getränk wäre, es wäre 30 Jahre alter schottischer Whiskey.

Falls Sie die Playlist nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Bohren

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Gore

So wie die Worte des Bandnamens nur langsam aus dem Computermonitor tropfen, so tropfen die einzelnen Töne, Akkorde, die diese, man darf es sagen, Kultband seit fast 20 Jahren aufnimmt, nur g-a-n-z langsam aus den Boxen ihrer Hörer.

Bohren & der Club of Gore sind eine der seltsamsten Bands der Welt. Sie haben die Langsamkeit zum Prinzip erhoben. Auch auf ihrem achten Album "Piano Nights" arbeiten sie an der Perfektionierung dieses Prinzips. Wobei, Langsamkeit ist völlig untertrieben. Den Beinahe-Stillstand haben sie zum Prinzip gemacht. Die Band aus Mülheim an der Ruhr spielt jeden Ton. Und spielt ihn. Und spielt ihn. Und spielt ihn. Und wenn der nächste kommt, dann spielt sie ihn meist immer noch.

Die Akkorde stehen, werden nur graduell weiterentwickelt. Darüber ein paar schwebende Klaviertöne oder ein Saxofon. Der Drummer tupft mehr als dass er schlägt, meist mit dem Besen. Ein Rhythmus ist da, aber er ist nicht mehr spürbar. Larghissimo. Grave. Zu langsam für jedes Metronom.

Manche unterstellen der Band deshalb Scharlatanerie. Bohren & der Club of Gore hätten sich einfach etwas Extremes ausgedacht, sagen sie, etwas Quatschiges, irgendetwas, das als sonische Antihaltung Eindruck macht, besonders ist. Das aber, kuckt man genauer hin, eigentlich nur Konzeptkitsch ist, ein Trick, hinter dem nichts als Langeweile steckt.

Für die, die auch im Alltag immer mitrasen, einfach so aus Trägheit, mag das so wirken. Dabei ist die Entdeckung der Langsamkeit mit Bohren & der Club of Gore eine Erlösung. Die Musik auf "Piano Nights" ist dabei nicht traurig, nicht einmal, wie bei früheren Alben der Band, besonders gravitätisch oder düster. Sie ist langsam und deshalb transparent. Sie besitzt eine ungeheure Entwicklungsspannung. Suspense-Musik. Musik als Versuch, die Zeit zu bannen. Musik, die einen glauben macht, die Zeit stünde still. Und man könnte sich in ihr bewegen. Jeder Augenblick eine Ewigkeit - und damit eben doch ein Trick. Ein ganz fabelhafter.

Wäre das Album ein Schauspieler, es wäre Vincent Gallo.

Am besten hört man das Album an einem freien langen Wochenende alleine zu Hause.

Wenn das Album ein Getränk wäre, es wäre Rotwein, verabreicht über einen Tropf.

Bohren & der Club of Gore - "Piano Nights" erscheint am 24. Januar 2014.

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