Phrasenmäher:Menschenmögliches

In ihrer Neujahsransprache sagte die Bundeskanzlerin, da die Erderwärmung von Menschen verursacht sei, müssten wir auch "alles Menschenmögliche" unternehmen, um diese Menschheitsheraus­forderung zu bewältigen. Was heißt das?

Von ALEX RÜHLE

In ihrer Neujahrsansprache sagte Angela Merkel, "die Erderwärmung" sei "von Menschen verursacht. Also müssen wir auch alles Menschenmögliche unternehmen, um diese Menschheitsherausforderung zu bewältigen". Der Satz ist insofern erstaunlich, als Angela Merkel seit 14 Jahren Kanzlerin ist. Sie hat in dieser Zeit nur alles Merkelmögliche getan, um die Fossilwirtschaft zu schützen, eine Energiewende zu verhindern und die Verkehrspolitik im Sinne der Autolobby zu gestalten. Noch rätselhafter wirkt der Satz, wenn man sich anschaut, wie Merkel im September vergangenen Jahres das sogenannte Klimapaket gegen dessen Kritiker verteidigte. Sie sagte da, Politik sei "das, was möglich ist". Soll heißen: Mehr geht halt nicht fürs Klima. Was also ist der Unterschied zwischen dem politisch Möglichen und allem Menschenmöglichen? Ist alles Menschenmögliche ein außerpolitischer Superlativ des Möglichen? Im Sinne eines Notstandspotenzialis? Bisher haben wir ja nur alles Mögliche probiert. Jetzt aber kommt alles Menschenmögliche!

Oder ist Merkels Gerede von allem Menschenmöglichen eine rhetorische Mogelpackung? Versteckt sich in dieser vermeintlich so emphatischen Phrase am Ende die laue Kapitulation, das Eingeständnis, dass fürs Klima längst schon kein Mensch mehr etwas tun kann? So wie Goethe sich in "Wilhelm Merkels Lehrjahre" wunderte: "Wie sonderbar ist es, dass dem Menschen nicht allein so manches Unmögliche, sondern auch so manches Mögliche versagt ist."

© SZ vom 02.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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