Peter Gabriels Album "New Blood":So schade, wenn er versinkt in Geigen

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Peter Gabriel ist einer der größten Rockkünstler aller Zeiten. Als Sänger von Genesis schrieb er Musikgeschichte. Jetzt legt er eine Sammlung großer, aber alter Songs vor. Es ist eine Eigenblutspende, er covert sich selbst. Das ist gefährlich.

Bernd Graff

Es ging auch schon in die Hose. Beziehungsweise in den Anzug. Mein Gott, ging das in den Anzug! Es gibt ein Youtube-Video von diesem Charity-Konzert im Oktober 1990 in Chile. Peter Gabriel ist da vierzig Jahre alt. Er steht auf der Bühne, rechts von ihm Sinead O'Connor, neben ihr Sting. Ja, der immer aalglatte Police-Sting, der hier aussieht wie die Schaufensterpuppen-Ausgabe eines studierten Taxifahrers. Unbedingt ZDF-tauglich.

Man muss das nicht Kitsch nennen, er bleibt authentisch: Peter Gabriel auf der Bühne. (Foto: AP)

Sinead sieht aus wie ein Kaffeesack in Fair-Trade-Läden, Peter Gabriel aber schießt den Vogel ab. Er trägt das, was Eishockey-Schiedsrichter tragen, nur ohne Schlittschuhe: eine Art Zebrastreifenblouson mit fettem schwarzem Längsstrich zu weißer Karottenhose. Alles viel zu weit und blousonnig, sein noch junger Schmerbauch steht raus. Die drei versuchen, "Don't give up", den Gabriel-Song von der 86er-Platte "So" zu singen, den der ehemalige Lead-Sänger und Kopf der Band Genesis damals mit der eurythmischen Sirene Kate Bush eingespielt hatte. Im Wortsinn: Sie versuchen, zu singen.

Gabriel verpasst mehrfach seinen Einsatz, Sinead liest den Text mehr ab, als dass sie ihn singt. Und Sting schrammelt ein wenig im Schatten. Es ist optisch und musikalisch ein Verbrechen an der Menschlichkeit, das da 8.04 Minuten lang begangen wurde. Damals im Oktober '90. Ein Erdbeben in Chile.

Ziemlich genau 21 Jahre später erscheint "Don't Give Up!" wieder auf einem Peter-Gabriel-Album. "New Blood" heißt es. Aber es enthält nur altes. Denn es sind Blutkonserven aus 30 Jahren Peter-Gabriel-Schaffen, die der Künstler gerade mit großem Orchester eingespielt hat (Foto: RealWorld/EMI). Gabriel stand in den Siebzigern mit Genesis für etwas, was man "Progressive Rock" nannte, damit war flamboyantes Operettensurrogat für den Tante-Emma-Musikladen gemeint. Inzwischen muss man ihn, der hervorragend Querflöte spielt, wohl einen Welt-Musik-Künstler nennen. Denn er versteht es wie kein Zweiter, eklektizistisch Musik und Rhythmen aus aller Herren Länder zusammenzutragen und sie, immer ein wenig zu generös ausstaffiert mit Violinen-Pein und seinem bemerkenswerten Angst-Timbre in der Stimme, in die Chart-Tauglichkeit zu heben.

"New Blood" folgt denn auch auf "Scratch My Back", ein experimentelles Projekt aus dem letzten Jahr, in dem Peter Gabriel Cover-Versionen einiger Gassenhauer von David Bowie, Paul Simon, David Byrne, Lou Reed, Arcade Fire, Radiohead, Regina Spektor, Neil Young und anderen zu orchestralem Aplomb verhalf. Auf "New Blood" macht er nun dasselbe mit Gabriel-Liedern. Er covert sich selber.

Eine Eigenblutspende gewissermaßen, die einigen der teilweise 30 Jahre alten Songs tatsächlich zu mehr Sauerstoff verhilft. Und das, obwohl auf alles verzichtet wird, was aus Rocksongs Rocksongs macht. Es gibt keine Drumms, keinen Bass, keine E- oder Sonstwie-Gitarren. Nur Hörner, Trompeten, Klavier, Flöten, Klarinetten, viel zu viele Geigen - und diese im Laufe der Jahre beeindruckend zwischen Bariton und Bass gesunkene Stimme: immer noch vibrierend, immer noch flehend und leicht wehklagend - unverkennbar Peter Gabriel.

Die Frauen-Parts in einzelnen Songs übernehmen seine Tochter Melanie Gabriel und die norwegische Sängerin Ane Brun. Die Tochter macht aus "Downside Up" eine Überraschung. Ane Brun ist eine klare Klagemauer-Fehlbesetzung für "Don't Give Up!".

Gabriel, bald 62, hatte immer einen Hang zur opulenten Geste. Mittlerweile hat er etwas Buddhahaftes, Statuarisches. Er inszeniert sich als Klassiker. Dazu vertraut er jetzt dem großen romantischen Erzählorchester - etwas Bruckner, etwas Wagner und Tschaikowsky - und seiner dominanten Stimme, die mal aus dem gereifteren Bauch rollt und grollt, mal schreit, dann wieder flüstert und haucht, aber immer gepresst jammert und Ausdruck sucht für kreatürliches Leid. Man muss das nicht Kitsch oder " manieriert" nennen, er bleibt authentisch und alles ist wohl auch so gemeint. Und Stücke wie "Solsbury Hill", "Red Rain" oder "Mercy Street" gewinnen dabei tatsächlich an Düsternis und schwarzem Volumen.

Der nun in der Philharmonie angekommene Peter Gabriel hat zu Recht zahlreiche Preise für sein Werk erhalten. Es wäre aber sehr schade, seine unverwechselbare Stimme künftig nur noch in Geigen versinken zu hören.

© SZ vom 21.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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