Almodóvar sollte sein Hirn unbedingt der Wissenschaft vermachen, denn für die Vernetzung von Ratio und Emotion muss es in seinem Kopf eine sechsspurige Autobahn geben, die zu einem Kongresszentrum der Phantasie führt. "La piel que habito/Die Haut, in der ich lebe" ist sein neuer Film, den er in Cannes im Wettbewerb zeigte - und er hat ihn vollgepackt mit Einfällen und Gedankengängen.
Es geht um einen traurigen Frankenstein und sein wunderschönes Monster. Ein Horrorthriller, sagt Almodóvar - spannend wie ein Thriller ist "La piel que habito" allemal, der Schrecken aber ist subtil. Wenn Almodóvar Bösewichter zeichnet, haben sie immer noch ein menschliches Antlitz.
Antonio Banderas, dessen Karriere in den Achtzigern bei Almodóvar begann, spielt den Schönheitschirurgen Robert, der, nachdem er Frau und Tochter verloren hat, eine unverwundbare Frau sich erschafft, die er ohne Angst lieben kann. Er hat Vera, seiner Kreatur, eine künstliche Haut transplantiert, die weich ist, makellos und feuerfest, und nun lebt sie eingesperrt in seinem Haus und vertreibt sich die Zeit mit Yogaübungen.
Nach und nach rollt die Geschichte auf, wie es dazu kommen konnte, wie alles seinen Anfang nahm, als eine Mutter ein Kind aufzog und seinen Bruder weggab, was dann über fantastische Verästelungen irgendwann dazu führt, dass Robert das rachsüchtige Experiment beginnt, bei dem Vera entsteht - er gibt einem Mann, den er hasst, das Gesicht seiner toten Frau.
Wie oft bei Almodóvar steckt "La piel que habito" voller Zitate, von Hitchcock über "Arsen und Spitzenhäubchen" bis zu Aldrichs "Vera Cruz", und er streift dabei von einem Gedanken zum nächsten: Genetik und Schönheitschirurgie und die Frage, wie sehr der Mensch von seinem Körper bestimmt ist.
Was genau formt einen Charakter, und was macht eine Frau aus - der Körper, die Hormone, die Definition, die sich selbst wählt? Mit Yoga, hört Vera in einer Fernsehsendung, reicht man an etwas im Inneren heran, dass unzerstörbar ist. Ein Augenblick des leisen Horrors: Sie fängt gleich an zu üben.