Oper:Traum des Schneemädchens

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Die hinreißende Aida Garifullina triumphiert mit Nikolaj Rimski-Korsakows Neuinszenierung "Fille de neige", das Mädchen aus Schnee, in Paris.

Von Reinhard J. Brembeck

Mittsommernacht irgendwo in den russischen Wäldern. Zwischen den Kiefern stehen Bungalows und ein Caravan. Einige Dutzend vorwiegend junger Menschen haben sich hier getroffen, um in Folklorekostümen ein bisschen Altrussland zu beschwören und den Sommerbeginn zu zelebrieren. Ihr Chef ist ein nicht immer nur gemütlicher Alter, der sich als Hobbymaler produziert und den Zaren gibt, obwohl er allenfalls zum Popanz taugt. Das Ganze wirkt unbedarft wie eine Mischung aus Pfadfinderei und Heimatverein, gute Laune und Optimismus haben oberste Priorität.

Snegourotschka hat keins von beidem. Sie ist jung und hübsch, aber genauso schüchtern und also Außenseiterin. In der Pariser Neuinszenierung der gleichnamigen, 1882 herausgekommenen und nur selten gespielten Oper von Nikolaj Rimski-Korsakow gibt Aida Garifullina die Snegourotschka, die - so heißt das Stück in Paris - "Fille de neige", das Mädchen aus Schnee. Aida Garifullina, die gerade zu einer ganz großen Karriere abhebt, bedeutet Natürlichkeit, ganz großen Charme und noch viel größeres Glück. Ihre Stimme schwingt sich völlig frei und ohne Angst auf, sie zeichnet die Phrasen fein, beweglich und mit lockenden Pastelltönen. Melancholie ist ihr genauso wenig fremd wie Schmerz, Jauchzen, Zweifel, Düsternis, Naivität.

Melancholie ist Aida Garifullina genauso wenig fremd wie Jauchzen, Zweifel, Düsternis

In ihrem weißen Unschuldskleid streift Aida Garifullinas Snegourotschka durch das vergnügliche Treiben auf dem Camp, von all dem angelockt, aber immer reserviert. Nur wenn sie sich unbeobachtet glaubt, dann glühen ihre Phrasen von jener Leidenschaft, die sie ihrem Idol Lel erst ganz am Ende und viel zu spät von Angesicht zu Angesicht zu gestehen wagt. Lel, das ist der langhaarige Vorsänger der Mittsommernächtler, Lel ist Popidol und Frauenliebling. Seine Lieder sind so ganz anders als die der anderen in dieser Oper. Sie sind ein Überbleibsel alter mittelalterlicher und folkloristischer Tonsysteme, voller Melancholie, Schlichtheit und Sehnsucht. Aus ihnen klingt das Versprechen auf jenes fiktive Leben im Einklang mit der Natur, das hier alle suchen.

Völlig verloren: Aida Grifullina als Snegourotschka. (Foto: Elisa Haberer)

An der Pariser Bastille-Oper gibt nicht wie üblich eine Altistin den Lel, sondern der Countertenor Yuriy Mynenko. Countertenöre sind in der Barockoper Standard, in romantischen Opern aber bejubelte Sensation. Die Entscheidung für den so charmant wie sicher und tonschön singenden Mynenko ist ein grandioser Coup. Unterstreicht dessen Falsettieren in der hohen Lage doch Lels Ausnahmerolle als Künstler in der Gemeinschaft.

Snegourotschka wie Lel sind Außenseiter. Sie wären das perfekte Paar. Doch während sie nur Lel will, will er die ganze Gesellschaft. Mit der schüchternen Snegourotschka, die noch halb Kind und erst halb Frau ist, kann er nichts anfangen. Er erobert stattdessen die erotisch erfahrene Koupava, die Martina Serafin als eine handfest im Leben stehende Frau zeichnet, die auch die Herrin sein will über ihre Sexualität. Weshalb sie auch von dem Geldsack und Obermacho Mizguir umgehend abserviert wird, als er Snegourotschka erstmals sieht.

So ein zart errötendes Mädchen, das ist so ganz nach dem Geschmack dieses Alpha-Stiers, dessen Monster-Ego Thomas Johannes Mayer passend ungehobelt hinklotzt. Dass er zuletzt, als ihm die fragile Snegourotschka unter den Händen wegstirbt, Selbstmord begeht, ist weniger Liebesbeweis als Trotzreaktion. Unbeeindruckt davon geht die Gute-Laune-Show im Wald weiter, Lel singt seine finale Sonnenbeschwörung, und der Chor stimmt, wie immer sensibel zurückhaltend von Dirigent Mikhail Tatarnikov angeleitet, jubelnd mit ein.

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Der Regisseur und Ausstatter Dmitri Tcherniakov gehört wie Romeo Castellucci, Calixto Bieito, Krzysztof Warlikowski und Christoph Marthaler zu jenen seltenen und deshalb überaus erfolgreichen Opernmachern, die die alten Stücke stets in ein absolut heutiges Setting hinüberträumen. Wobei Tcherniakov oft und auch jetzt wieder in Paris ein Faible hat für sektiererische Aussteiger-Communitys mit einem esoterischen Einschlag. Bei seinen Aktualisierungen nimmt Tcherniakov in Kauf, dass nicht alle szenischen Vorgaben der Partituren bruchlos ins Heute überführt werden können.

So kann er wenig damit anfangen, dass das Schneemädchen Snegourotschka am Schluss einfach schmilzt, und zudem die Tochter von Père Gel (Vater Frost) und Dame Printemps (Frau Frühling) ist. Das macht wenig, zumal diese meteorologischen Phänomene sowieso nur als Erzählung funktionieren können, nie und nimmer aber in der bildersüchtigen Oper. Also bleibt bei Dmitri Tcherniakov nur die gemeinschaftgefährdende Rolle dieser seltsamen Familie als untergründiger Störfaktor.

Wo ein Altmeister des Regietheaters wie Peter Konwitschny aufklärerisch laut Einspruch erhoben hätte gegen soziale und politische Missstände, wo er analytisch scharf gegen Unterdrückung, Verführbarkeit und Patriarchalismus polemisiert hätte, da wird Tcherniakov nachdenklich und umgibt all diese Fragen mit einem Geheimnis. Das alles andere als rätselhaft ist. Nur muss der Zuschauer bei Tcherniakov selbst weiterdenken, was es mit dieser Wellness- und Gute-Laune-Gesellschaft auf sich hat, ob sie gut oder böse oder eine gehirngewaschene Truppe Orwell'scher Prägung ist. Während die große unglückliche Liebe von Aida Garifullinas Snegourotschka zu Yuriy Mynenkos Lel den Zuschauern noch sehr lange als ganz großer Operntraum erhalten bleiben wird.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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