Er spüre viel Respekt vor Sängern, bekannte Frank Castorf vor seiner ersten Berliner Opernpremiere im Zeitungsgespräch: "Die Entäußerung des Menschen beim Singen, durch den Atem - das ist eine eigene und hohe Kunstform." Davor habe er "große Hochachtung als Schauspielregisseur". Das mag dem einstigen Berliner Volksbühnenchef schon bei seiner ersten Opernregie, Giuseppe Verdis "Otello" in Basel, so gekommen sein. Mit dem Bayreuther "Ring" von Richard Wagner machten er und Bühnenbildner Aleksandar Denic 2013 Musiktheaterfurore.
Die Brutalität des Lebens, die Gräuel des Kriegs, die düstere Ambivalenz der Liebe - keine Verdi-Oper stellt die menschliche Existenz so grob, fast roh aus wie "La forza del destino". Die zwei Mal drei gestoßenen Bläserfanfaren der Ouvertüre läuten gnadenlos die "Macht des Schicksals" ein. Und keine Verdi-Oper hat eine so brutale, verstörende Handlung vorzuweisen wie die 1862 für St. Petersburg geschaffene, sieben Jahre später für Mailand revidierte Schauergeschichte nach dem Drama "Don Alvaro o la Fuerza del sino" des spanischen Schriftstellers und Politikers Ángel de Saavedra. Eine private Liebestragödie wird mit dem Spanischen Erbfolgekrieg im 18. Jahrhundert verknüpft.
Mit Video Design und Live Kamera findet Castorf zu Verdis Zentralthema, der tödlich "unmöglichen" Liebe
Schon bei der Ouvertüre wird deutlich, wo und wann Castorf die in Spanien und Italien verortete Geschichte spielen lässt: im Faschismus von General Franco, Mussolini und Hitler. Was die Handlung nicht entzerrt, die nur durch einen Zufall dramatisch in Gang kommt: Mit einem versehentlich abgefeuerten Schuss tötet Don Alvaro zu Beginn den Marchese di Calatrava, den Vater der geliebten Donna Leonora, mit der er die Flucht ergreift. Beide werden getrennt, sie entweicht ins Kloster, er irrt durch die Welt. Leonoras Bruder Don Carlo kennt nur ein Ziel: Rache für den Vatermord, die Vernichtung des getrennten Liebespaars erzwingen. Das Volk und die "Zigeunerin" Preziosilla feiern enthemmt den Krieg, die Insassen des Klosters ihren Gott. Das Ende der düstersten Verdi-Oper heißt Tod.
Dass Castorf und Denic das Szenario im Zweiten Weltkrieg verorten, bringt nur oberflächlich historische Aktualisierung. Aleksandar Denics hypertrophe Drehbühne aus Holztreppen, Bretterschuppen und allerlei Gerümpel, später einer barocken Kirchenfassade, erreicht kaum die Zielgenauigkeit prägnanter, die Interpretation vertiefender Bilder, wie sie seine Bayreuther "Ring"-Welt hervorbringen konnte. Auf seiner Bühne herrscht Düsternis, agieren nur verhuscht die Darsteller, die psychologisch nicht ausgeleuchtet werden. Vor allem dominieren die von Castorf obsessiv gesetzten Videobilder.
Videodesign und Livekamera definieren die Aufführung. Mithilfe des flimmernden Mediums findet Castorf zur Oper eines wilden Kriegs, des Sterbens und, Verdis Zentralthema, der tödlich "unmöglichen" Liebe. Seine Verehrung der Sänger führt wohl dazu, dass er einerseits, von der virtuosen Wimmelbühne fasziniert, auf eine schlüssige Personenregie verzichten zu können glaubt. Dass er andererseits aber die Sänger mittels Livekameras in indiskreten Großaufnahmen zeigt - mit lyrisch grotesken Mimiken des Singens.
Video sticht Oper aus? Regisseurin Katie Mitchell, gerade mit Virginia Woolf an der Schaubühne, geht mit Livevideos inhaltlich subtiler um. Castorfs Projektionslust indes führt nahezu manisch die Lustqual blutender Körper vor, erbarmungslose Szenen aus dem Operationssaal eines Lazaretts, einen blutbeschmierten Epilepsietänzer im Dauereinsatz. Dazwischen gibt es, nahe bei Verdis kritischem Bewusstsein, antiklerikale Fantasien. Und es gibt Slapstick, eine Spaghetti-Essenverabreichung. Nur zum Chor, dem kriegslüsternen Akteur der Landleute, Soldaten oder Mönche, findet Castorf kaum Verbindung.
Die Berliner Buhchöre und Ovationen nimmt Frank Castorf freudig spöttelnd entgegen
"Ich bin der Engel der Verzweiflung. Mit meinen Händen teile ich den Rausch aus, die Betäubung, das Vergessen, Lust und Qual der Leiber." Heiner Müllers Prosa, mit Verdi kurzgeschlossen, markiert perfekt Castorfs ästhetische Existenzlage. Und für den vom Faschismus über den Kommunismus zum Katholizismus gewanderten Italiener Curzio Malaparte und dessen Roman "Die Haut" (1949) empfindet der Regisseur eine Verehrung eigener Art. Als ein hier rezitierter Malaparte-Text die Verdi-Oper fast kapert, gehen einem protestierenden Teil des Publikums, das die Aufführung gefährdet, die Nerven durch.
Es ehrt Castorf, dass er dem politisch-philosophischen Aspekt dieser Oper mit Ingrimm dienen will, mit den Mitteln der Populärkultur, des Trash. Da trifft er auf den politisierten Komponisten eines zerklüftet-wüsten Stücks: "Wenn es Krieg gibt, dann bin ich wahrlich in der vordersten Linie", prophezeit Verdi im Brief von 1866.
Verdis Musik interessiert Castorf leider wenig, umso lieber vertraut er, zu Recht, den Künsten der von ihm so bewunderten Sänger. Der Dirigent Jordi Bernàcer inspiriert das hochkarätige Ensemble, leitet das Orchester des Hauses solide. María José Siris düster gleißender Sopran befeuert die Leonora delikat, Russell Thomas' fein abgestufter Heldentenor verkörpert den Alvaro, Markus Brücks viriler Bariton den Vaterrächer Carlo. Der Preziosilla gibt Agunda Kulaeva schillernde Größe, Marco Mimica und Misha Kiria singen die beiden Klosterbrüder Guardiano und Melitone.
Auf die Berliner Buhchöre und Ovationen reagiert Frank Castorf wie schon auch beim Bayreuther "Ring": Beides nimmt er freudig spöttelnd entgegen.