"Odd Future" in Hamburg:Mini-Show in Voll-Playback

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Sie haben wegweisende Hip-Hop-Alben vorgelegt, doch bei ihrem Konzert in Hamburg blieben "Odd Future" den Nachweis schuldig, dass sie ihre Songs adäquat auf die Bühne bringen können. Stattdessen schrien alle durcheinander und nach einer Stunde war schon Schluss. Was für ein Glück. Und was für eine Schande.

Jens-Christian Rabe, Hamburg

Es gab ein paar sehr gute Gründe, am Montag im Hamburger Docks das Konzert des zehn- bis zwölfköpfigen amerikanischen Hip-Hop-Kollektivs OFWGKTA (oder "Odd Future Wolf Gang Kill Them All" oder auch Odd Future Wolf Gang Kill Them All Don't Give a Fuck Loiter Squad oder einfach Odd Future) zu besuchen.

Odd Future in Concert: Fünf bis vierzehn pubertierende Rapper, die durcheinander schreien. (Foto: dpa)

Mit dem 1994 geborenen Earl Sweatshirt gehört der Gruppe zum Beispiel DAS neue Rap-Wunderkind an. Dem unwesentlich älteren Anführer und Chef-Nihilisten Tyler, The Creator gelang mit seinem düsteren Soloalbum "Goblin" eines der wenigen wegweisenden Hip-Hop-Alben des vergangenen Jahres (neben dem Odd-Future-Album "12 Odd Future Songs" natürlich). Und mit Frank Ocean ist auch noch der Soul-Sänger der Stunde Teil des Kollektivs, der mit "Channel Orange" gerade etwas geschafft hat, was eigentlich niemand mehr für möglich gehalten hatte: Er hat dem mit einfallslosen elektronischen Stimmmanipulationen und stumpfen Kirmes-Techno-Beats fast zugrunde gerichteten R&B den Weg in die Zukunft gewiesen.

Die Musikindustrie wiederum war ganz aufrichtig entzückt, weil das Phänomen schon eines war, bevor sie Geld dafür ausgeben musste. Das wichtigste Branchenmagazin, Billboard, schrieb in einer Titelgeschichte, dass das Kollektiv aus Los Angeles "die Zukunft des Popgeschäfts sein könnte".

Clevere Selbstvermarktung mit ständigem Twitter-/Tumblr-/Facebook-Vollkontakt, eine grelle, eher an den geltenden Hipster- und Skater-Codes als an der klassischen Bling-Bling-Ästhetik des Rap orientierte Garderobe und nicht zuletzt Tyler, The Creators so verspielt-versponnenes wie stimmiges Artwork hatten der Gruppe jedenfalls schon massenhaft Fans verschafft, bevor die auch nur für einen Song bezahlen musste.

Der T-Shirt-Verkauf ist längst kaum unwichtiger als die Musik. Und der Store-Manager Lucas Vercetti ist nicht einfach ein Angestellter, sondern Quasi-Mitglied der Gruppe.

Von den Eltern zum Bösewicht gemacht

Abgesehen davon gelang es ihnen, die im Rap oft obligatorischen Gewalt- und Vergewaltigungsfantasien so gewissenhaft zu überreizen, dass sich sogar einige provoziert fühlten, die sich eigentlich von nichts mehr provozieren lassen: die Schlaumeier der großen Pop-Blogs etwa.

Die dachten plötzlich ernsthaft darüber nach, ob ein Rap-Song über die Möglichkeit, sagen wir: einem Katholiken mit einer Säge im Gesäß herumzustochern, ab einem gewissen Punkt nicht ausnahmsweise doch einmal genau dasselbe sein könnte wie der reale Vollzug dieses blutigen Gedankens. Und sei er auch noch so formvollendet frisch formuliert.

Earl Sweatshirts Eltern übrigens, eine Jura-Professorin an der UCLA und ein südafrikanischer Dichter und Polit-Aktivist, waren auch ernsthaft besorgt, schickten ihren Sohn zwischenzeitlich in ein Besserungs-Camp nach Samoa. Was für ein Eigentor. Und was für ein Geschenk. Rappern aus dem Bildungsbürgertum wird es meist schwerer gemacht, als glaubwürdiger Bösewicht zu gelten. Zumal wenn sie wie Earl Sweatshirt nicht aussehen wie das Rap-Monster schlechthin, sondern eher wie der hilfsbereite Computerbastler von nebenan.

So weit, so perfekt. Die Provokation ist eine Kunst, die man so virtuos nur schmerzfrei perfektionieren kann, wenn man noch genau weiß, wie es ist, wenn einem neue Haare wachsen und man nicht alte verliert. Aber so ausführlich erzählen muss man das alles, weil es in einem so absurden Gegensatz steht zu dem, was am Montag in Hamburg zu sehen war.

Darüber, dass Frank Ocean nicht dabei war, konnte man noch leicht hinwegsehen. Damit war nicht zu rechnen gewesen. Er steckt mitten in der Vermarktung seines eigenen Meisterwerks. Die Abwesenheit von Earl Sweatshirt war schon eine Enttäuschung. Aber gut. Die Eltern.

Immerhin Tyler, The Creator ließ sich blicken und war wie die Kollegen Hodgy Beats, Left Brain, Domo Genesis und Mike G auch bestens gelaunt. Offensichtlich hatte sich jedoch kein Einziger auch nur einen halben Gedanken darüber gemacht, was sie eigentlich da auf der Bühne machen wollten - außer zu ihrer Musik ununterbrochen wild herumzuhampeln und ab und zu mit Anlauf ins Publikum zu springen.

Viele Tracks liefen mit Voll-Playback, das heißt inklusive der Raps. Und gerne versammelten sich wie bei einer improvisierten Abschlussparty einer Klassenfahrt alle hinter dem Pult mit dem einen Laptop und versuchten, das nächste Stück zum Laufen zu bringen.

Allenfalls bei Mike G hatte man den Eindruck, dass er in der Lage ist, auch live gut zu rappen. Tyler, The Creators so eindrucksvoll tiefe Stimme blühte nur bei den Zwischenansagen auf. Nicht einmal seine Hits "Yonkers" oder "Sandwitches" konnte er einigermaßen adäquat aufführen. Manchmal war er gar nicht mehr zu hören.

Viel Zeit für T-Shirt-Käufe

Eigentlich schrien bei diesen Konzert nur ununterbrochen fünf bis vierzehn pubertierende Rapper durcheinander und ruinierten so auch noch ihre besten Songs. Das brillante "Forest Green" zum Beispiel war eine einzige Katastrophe. Und nach einer Stunde war schon Schluss. Was für ein Glück. Und was für eine Schande.

Den vielleicht 400 Hamburger Fans im nicht wirklich ausverkauften Docks war's, so schien es, fast egal. Die Bewerbungen zu sexuellen Gratis-Dienstleistungen hielten sich hinterher zwar eindeutig in Grenzen, aber mit dem lahmen Auftritt, der bei jeder mittelprächtigen Rockband mindestens zu einem minutenlangen Pfeifkonzert geführt hätte, waren sie ganz offenbar doch zufrieden.

Hatten sie eben noch ein bisschen Zeit, ein T-Shirt zu kaufen. Viele tauschten sich draußen noch sehr angeregt darüber aus, wie UN-FASS-BAR nassgeschwitzt sie seien. Und einige wurden dann von ihrer Mutter abgeholt. Sei's drum. Wenn eine Mini Playback Show so endet, kann man ja auch zufrieden sein. Irgendwie.

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