NS-Geschichte:Luftschutz und Coca-Cola

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Eine Schau des Berliner Stadtmuseums erkundet die trügerische Normalität in der Reichshauptstadt des Jahres 1937. Das ist auf alle Fälle eine historische Ausstellung, die man gesehen haben sollte.

Von Jens Bisky

Die Hauptstadt wollte selbstverständlich München übertreffen, wo der "Tag der deutschen Kunst" im Juli mit einem großen Aufmarsch gefeiert worden war. Der Festzug zum Stadtjubiläum musste "möglichst pompös", noch pompöser werden, und so zog am 15. August 1937 eine historische Parade vom Lehrter Bahnhof über Mitte, Friedrichshain - damals "Horst-Wessel-Stadt" - und Kreuzberg bis nach Treptow hinaus. Dass es immer wieder regnete, hielt Spektakel und Zuschauer nicht auf. Eine ganze Woche war der Stadtgeschichte und einem recht glanzlosen Anfangsdatum, der ersten urkundlichen Erwähnung 1237, gewidmet, mit einer Freigeländeschau am Funkturm, Festspielen im Olympiastadion, mit allerlei Rummel.

Es gab Arbeit, viele Feste und Propagandaausstellungen - und Übungen für den Krieg

Im Zentrum der Inszenierungen standen die "germanische Vorgeschichte" des Siedlungsraums, die "deutsche Stadtgründung", das märkische Mittelalter, die preußischen Freiheitskriege, Bismarck-Zeit, die Weltkriegsregimenter und die nationalsozialistische Volksgemeinschaft. Das Wilhelminische Kaiserreich und die Weimarer Republik, jene Epochen, in denen Berlin zu einer Großstadt wurde, jene Zeiten, aus denen so vieles stammt, was bis heute gut funktioniert in Berlin, dienten vor allem zur Glorifizierung der Gegenwart. Wie diese aussah, zeigt die Ausstellung "Berlin 1937" im Märkischen Museum. Sie behandelt den Alltag eines Jahres, das im Rückblick ein friedliches gewesen zu sein scheint. "In den Grenzen von 1937" lautet eine stehende Wendung, als habe in diesem Jahr Vorkriegsnormalität geherrscht.

Seit dem Olympiasommer 1936 bauten Häftlinge im Norden Berlins das KZ Sachsenhausen, die Legion Condor flog Angriffe gegen das republikanische Spanien und bombardierte im April Guernica, im September kam Mussolini zu Besuch, der in Abessinien Fässer mit Senfgas abwerfen ließ. Aber gab es nicht auch Gründe für die Zeitstimmung, nun gehe es aufwärts, werde es besser? Es gab Arbeit, die politische Zerrissenheit war ebenso Vergangenheit wie der von niemandem geliebte Versailler Vertrag. Der technische Fortschritt begeisterte mit Rundfunk, Fernsehen, Luftfahrt.

Der Kurator Gernot Schaulinski hat darauf verzichtet, allzu Bekanntes, Allgemeinplätze zu illustrieren. Er stellt einzelne Alltagsgegenstände, Dokumente, Kunstwerke vor. Eine Coca-Cola-Flasche vermutet man nicht sofort im Alltag des Dritten Reiches. Zu sehen ist eine der Coca-Cola GmbH in Berlin Lichterfelde mit der Bodenprägung "Ruhrglas 37".

Der Absatz der Limonade im Reich konnte bis 1939 auf 4,5 Millionen Kästen erhöht werden. Coca-Cola war Sponsor der Olympischen Spiele gewesen und belieferte auch die Nürnberger Reichsparteitage der NSDAP. Eine Schreibmaschine wird gezeigt, auf der Taste für die Fünf findet sich auch das SS-Sonderzeichen, eine Normalität, die den NS-Staat ebenso stabilisiert haben dürfte wie das Mitmachen der Funktionseliten, die Zustimmung etwa der Hälfte der Deutschen, die Indifferenz vieler anderer und der Terror.

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(Foto: Harry Croner/Stadtmuseum Berlin)

Beflaggung und Dekorationsbauten in der Straße Unter den Linden anlässlich des Staatsbesuchs von Benito Mussolini im September 1937.

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(Foto: Oliver Ziebe/Stadtmuseum Berlin)

August Wilhelm Dressler, "Die Verlobten", 1925/1950.

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(Foto: Oliver Ziebe/Stadtmuseum Berlin)

Seiten der antisemitischen Wochenzeitung "Der Stürmer", 13. Jahrgang, Nr. 20, Mai 1935, auf einer in Berlin-Schmöckwitz gefundenen Tafel.

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(Foto: Harry Croner/Stadtmuseum Berlin)

Berlin in Großbuchstaben auf dem Messegelände, 1937.

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(Foto: Oliver Ziebe/Stadtmuseum Berlin)

SS-Runenzeichen auf der Tastatur einer Schreibmaschine aus der Kaserne der "Leibstandarte SS Adolf Hitler" in Berlin-Lichterfelde, 1933-1936.

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(Foto: Michael Setzpfandt/Stadtmuseum Berlin)

NSU Motorenwerke Neckarsulm, Motorrad NSU 251 OSL, 1937.

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(Foto: Michael Setzpfandt/Stadtmuseum Berlin)

Butterdose, 1930er-Jahre.

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(Foto: Harry Croner/Stadtmuseum Berlin)

Zielrichterturm am Ausgang der Avus-Nordkurve nahe dem Berliner Messegelände, 1937.

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(Foto: Oliver Ziebe/Stadtmuseum Berlin)

Rundfunkempfänger der Deutschen Arbeitsfront DAF 1011, 1935, C. Lorenz AG, Berlin.

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(Foto: Oliver Ziebe/Stadtmuseum Berlin)

Gedenkmedaille des jüdischen Aufbringungswerkes der Jüdischen Gemeinde zu Berlin anlässlich des 500. Geburtstages des spanisch-jüdischen Philosophen und Staatsmannes Isaak Abravanel, 1937, gefertigt vom Bildhauer Walter Cohn.

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(Foto: Harry Croner/Stadtmuseum Berlin)

Passanten am Leipziger Platz mit dem Kaufhaus Wertheim im Hintergrund, 1937.

Ungläubig bestaunt man die Filmaufnahmen des Berliner Sommers. Man weiß ja, was auf diesen Sommer folgt. Und dann steht da eine Bank "nur für Arier". Knapp wird über jedes Objekt informiert. Zu einer Stürmer-Tafel aus Berlin-Schmöckwitz findet man ein Foto aus dem Wartesaal der städtischen Freibank im Berliner Schlachthof. Nicht nur Hakenkreuzfahnen hängen da, auch Wandmalereien mit großflächigen antisemitischen Karikaturen und Jugendlichen vor einem Stürmer-Kasten.

Der Berliner Maler Otto Nagel wurde 1937 verhaftet, ins KZ Sachsenhausen verschleppt, nach wenigen Tagen kam er wieder frei und fertigte - zwei Stunden nach seiner Entlassung - ein Selbstporträt, Pastell auf Packpapier, der Hintergrund mit weißer Farbe abgesetzt. Er trägt Anzug und Hemd, die Haare kurz geschoren, ein Bild, in dem die einen eine Demonstration der Würde, die anderen eine Anklage sehen mögen. Die Ausstellung überlässt dies den Besuchern, weitere Bilder rekapitulieren Nagels Überleben im Dritten Reich.

Um etwas zu verdienen, gab er Malunterricht, auf einer Teilnehmerkarte aus dem März 1937 haben er und seine Frau unterschrieben. Ein Foto aus dem Jahr 1942 zeigt ihn mit Staffelei in einer Berliner Straße, er zeichnete und malte damals Hunderte Stadtlandschaften. Später, in der DDR, war er so anerkannt wie sein Kollege, der Bildhauer Fritz Cremer. 1937 schuf Cremer das Relief "Trauernde Frauen", auch dafür erhielt er den Preis der Preußischen Kunstakademie, aber das Werk wurde nicht ausgestellt. Heute kennt man es unter dem Titel "Gestapo": Frauen, die auf Nachrichten über das Schicksal der Verhafteten warten.

Limonadenflasche der Coca-Cola GmbH in Berlin-Lichterfelde mit Bodenprägung "Ruhrglas 37". (Foto: Oliver Ziebe/Stadtmuseum Berlin)

Die Ausstellung zeigt auch, wie sich Paul Spies, der 2016 aus Amsterdam als Direktor ans Stadtmuseum kam, dessen weitere Arbeit vorstellt. Er will die Sammlungen präsentieren, in Objektgeschichten Geschichte erzählen, klar und kräftig, will ein Haus für die Erinnerungen der Berliner einrichten. Auf dem Weg dahin gelingt ihm bisher ziemlich viel, mehr als anderen Kulturmanagern, die nach Berlin gerufen wurden. Obwohl die historistische Stimmungsarchitektur des Märkischen Museums für ein solches Vorhaben schlecht geeignet ist, gehört "Berlin 1937" zu den historischen Ausstellungen, die man in diesem Jahr gesehen haben sollte. Sie übt die Skepsis gegenüber dem Augenschein, gegenüber den Selbstverständlichkeiten. Diesen Blick können Städtebewohner und Zeitgenossen gut brauchen, denn selbstverständlich im Sinne von gegeben, gesichert ist wenig im Leben einer großen Stadt. Berlin erscheint in diesem Rückblick sehr modern, festlich, vorwärtsgewandt und voller dramatischer Verschiebungen zugleich. Juden, Avantgardekunst, Kommunisten, Sozialdemokraten und einige mehr verschwinden aus der Öffentlichkeit, auch rauchende Frauen sieht man seltener.

Vier Hebel hat die schwere Tür zum Luftschutzraum, die nun in der Ausstellung steht, alle vier müssen nach unten zeigen, um abzuschließen. Im September 1937 wurde das in großem Maßstab geübt. Die Berliner, schrieb das Berliner Tageblatt in naiv aufgekratztem Ton, zeigten "mustergültige Disziplin", nur an einer Stelle hätten zwei Bomben ihr Ziel erreicht, "sie forderten etwa 150 'Tote' und 'Verletzte'".

Auch diese Übungstoten prägten Berliner Normalität 1937.

Berlin 1937. Im Schatten von morgen. Märkisches Museum, Am Köllnischen Park 5. Bis 14. Januar . Der Katalog kostet 18,90 Euro.

© SZ vom 06.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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