Und schon wieder geraten Herr Hase und sein Kumpel Richard in ein haarsträubendes Abenteuer. Ganz so fantastisch wie in "Das grüne Unkraut" (2019) mit seinem postapokalyptischen Setting wird es nicht. Aber "Bekehrungswahn & lebende Tote", das dritte der "Neuen Abenteuer von Herrn Hase", ist mindestens so beunruhigend wie sein Vorgänger, weil das "Böse" hier so unscheinbar und gleichzeitig realistisch ist ( Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt, Berlin 2021. 48 Seiten, 13 Euro).
Es ist ein bebrilltes, glatzköpfiges Männchen, das zur gefährlichen Bedrohung für unsere Freunde wird. Im Auftrag der Regierung soll dieser Mann in einem Provinznest einen "Atheisten-Tempel" errichten, Herr Hase und Richard assistieren. "Der Atheist 'glaubt', dass es keinen Gott gibt. Er glaubt!", predigt der Regierungsbeamte. "Die Anerkennung des Atheismus wird erweisen, dass dieser Weg ebenso edel und respektabel ist wie sämtlicher legaler Aberglaube ..."
Schon die früheren Abenteuer von Herrn Hase zeichnete eine so komische wie kluge Mischung aus politischen und philosophischen Betrachtungen und aberwitzigem Blödsinn aus. "Bekehrungswahn & lebende Tote" ist nicht der beste Band der Reihe, aber auch er hat diesen abgründigen Witz. Während Herr Hase und Richard den Regierungsbeamten zunehmend widerwillig unterstützen, arbeiten sie an der Entwicklung einer Fernsehserie mit Zombies, die Auto fahren. Klar, dass die beiden Plot-Linien zusammenfinden, dass die "Gläubigen", die es in diesem Comic schließlich gibt, sich wie Besessene, ja "lebende Tote" aufführen (und natürlich motorisiert sind).
Gruseliger noch als dieser Mob aber ist der Beamte, ein scheinbarer Biedermann, der inmitten antropomorpher Tierfiguren als Einziger "menschlich" wirkt. Er vertritt auf den ersten Blick liberale, humanistische Positionen, erweist sich jedoch als gefährlicher Menschenfänger, der weder vor Manipulation noch Erpressung und roher Gewalt zurückschreckt. Sein "Glaube" wirkt in sich vollkommen schlüssig - dabei ist der Mann vollkommen verrückt. Martina Knoben
The Notwist
Wenn in der Zukunft Kunstkritiker und Geisteswissenschaftler die Musik dieser Seuchenzeit zu einer Gattung stampfen, zum Beispiel zur Strömung des Pandemismus, des Modern New Wave, oder der Neuen Deutschen Einsamkeit, könnte sich "Vertigo Days" ( Morr Music) als ein Hauptwerk dieser Epoche herausstellen.
Fast nervig fundamentalistisch zieht sich der Albumtitel um die schwindeligen Tage durch die 14 Lieder. Es hallt, wabert, verschwimmt und verklingt. Jemand klimpert beim ersten Song "Into Love" auf einem alten Klavier, es raschelt im Hintergrund, als schleiche man durch eine leer stehende Holzhütte im Wald, die man gerade entdeckt hat. Schön (diese Ruhe, dieser Frieden), aber doch auch gruselig (wo sind eigentlich alle?). Man schaut sich ein bisschen um, spielt etwas an, nimmt ein paar staubige Gegenstände in die Hand, öffnet dann wieder die moosbewachsene Tür nach draußen, aber der Wald ist verschwunden. Dafür strahlen tausend Sterne aus dem All. Schwebe-Sound, helle Synthies funkeln, und auch im Weltraum ist alles verschallert.
The Notwist wissen, wie sich das anhört, wenn nichts mehr da ist, wo es hingehört. Und sie wissen auch, wie man das sagen muss: "Now that you know the stars ain't fixed / the roads ain't straight" - und nur weil du weißt, wie sehr es wehtut, wird es dich nicht davon abhalten, dich wieder zu verlieben. Diese auktoriale Besserwisserei (ja ja, er hat ja recht), vorgetragen mit der vernünftigen Stimme von Markus Acher, könnte das Album als ehrgeizige Auftragsarbeit ("Schreibe den Sound zur Situation") unsympathisch machen - wenn nicht so viel Wärme zwischen dem Elektropop und Krautrockschwurbel steckte. Dafür sorgen minimale Streicher, sanfte Bläser, Folk-Liebeleien mit Tamburin und Gitarrenzupfer und die Abgeklärtheit, mit der The Notwist durchs Album führen. Keiner geht verloren in diesem verspulten Konzeptwerk. Auch nicht bei Sprachwechsel in den asiatischen Raum. Zum ersten Mal experimentiert die seit Urzeiten (also 30 Jahren) existierende Weilheimer Band mit nicht englischsprachigen Lyrics und singt mit der Avantgarde-Pop-Künstlerin Saya Ueno auf Japanisch über Schiffe, Häfen, Sehnsucht, und bestimmt auch die Liebe. Und betont damit tröstend unaufdringlich, dass eben nicht nur ein Virus keine Grenzen kennt. Marlene Knobloch
Städel-Gespräche
Derzeit wird ja viel gesprochen in der zeitgenössischen Kunst. Die Museen sind zu, die Kuratoren sitzen in Ausstellungen, die niemand besuchen darf - und damit wenigstens irgendwas zu sehen ist, weicht man aus ins Digitale, hält die Kamera auf das Unglück und befragt den Künstler. Das Format, das der Pandemie standhält, sind die Vorträge der Städelschule. Die Frankfurter Akademie gilt als eine der wichtigsten Ausbildungsstätten überhaupt, weil sie früh darauf setzte, dass Künstler am besten von Künstlern lernen. Zum pädagogischen Programm gehört deswegen eine Vortragsreihe. Diese kann man über die Homepage auch online hören, mit Künstlerinnen wie Henrike Naumann, The Otolith Group oder Keith Piper. Sie sprechen über ihre Arbeit, über die Kunst und über die Gegenwart. Und nicht über geschlossene Ausstellungen. Catrin Lorch
Casa Batlló
Unter den Dingen, die einem fehlen können im Lockdown, ist irgendwo auch dieses nur halb bewusste, mehr oder weniger sanft geführte Wandeln durch Kulturdenkmäler, entlang von Pfeilen und Schildern, bei dem man Schönes sieht, das eigene Entscheidenmüssen (wo jetzt weiter?) aber angenehm suspendiert ist. Durch die Casa Batlló in Barcelona, eines der irrsten Gebäude von Antoni Gaudí, kann man in einer guten virtuellen Tour solchermaßen schweben. Durch organisch anmutende Räume, vorbei an bunten Bleiglasfenstern und herrlichen Fensterrahmen im üppigen Gaudí-Jugendstil. Das Erlebnis kommt dem echten, real-touristischen so nah, weil die Tour nichts auslässt: Nicht den Giftshop, nicht die Toilettentür auf dem Gang und, zum Glück, auch nicht die Dachterrasse mit Blick über die nächtliche Großstadt unter fremdem, südlichem Himmel. Dort erwacht man dann sehr angenehm aus der Trance der langen, pfeilgeführten Tour. Kathleen Hildebrand
Kuss-Hilfe
Ziemlich viel Aufwand für eine Kussverhinderung, den Julie Gayet da treibt (die später bekannter wurde, als ein Leibwächter von Frankreichs Präsident Hollande Croissants an ihre Haustür brachte). Gayet spielt Émilie, Émilie lernt in einer fremden Stadt Gabriel kennen, beide sind gebunden, aber in diesem Moment scheint das weit weg. Und während sie erwägen, sich zu küssen, erzählt Émilie gewissermaßen als Entscheidungshilfe die erbauliche Geschichte einer Bekannten, die ihrem besten Freund selbstlos zärtlich aus einer erotischen Notlage half. Mit fatalen Konsequenzen und einer unerwarteten Auflösung. Wird Émilie den Kuss wirklich verhindern mit dieser tugendhaften Geschichte? Das Genre romantische Komödie kommt bei dem 1970 in Marseille geborenen Emmanuel Mouret mit Rohmer'scher Poesie daher, seine Figuren aber sind galante Liebestrottel, die ständig in unmögliche Händel verstrickt sind, die männliche Hauptrolle spielt er gern gleich selber. Fünf Mouret-Filme, darunter "Küss mich - bitte!" hat Arte jetzt in der Mediathek. Schmatz! Claudia Tieschky