Niederländische Literatur:Kosmos und Kakteen

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"Ich beschließe für mich, dass der Kosmos eine Illusion ist . . .": "533 Tage" heißen Cees Nootebooms Berichte von seinen Streifzügen über die Insel Menorca. Sie sind Mitteilungen aus der Gedankenwelt des Autors.

Von Harald Eggebrecht

Cees Noteboom: 533 Tage. Berichte von einer Insel. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 256 Seiten, 22 Euro. E-Book 18,99 Euro. (Foto: verlag)

Im ersten Eindruck könnte man bei Cees Nootebooms Art, seine Beobachtungen und Nachdenkereien aufzuschreiben, auf die Idee kommen, eine fast nonchalante Absichtslosigkeit zu unterstellen. Denn auch dort, wo es in diesen Aufzeichnungen aus "533 Tagen" tiefsinniger zugeht, wirkt das Notierte entspannt, abschweifungsfreudig und assoziationsfreundlich.

Nooteboom hat diese ziemlich leichtfüßige Technik über eine Fülle von Büchern hin entwickelt, und es gibt Momente, in denen man den Stolz auf die scheinbare Lässigkeit dann doch merkt und als Prätention empfindet. Dennoch vermögen die "533 Tage" in ihrer unverstellten Weltoffenheit zu fesseln. Manchmal fühlt man sich wie in einer Art imaginärer Unterhaltung oder wie eingeladen, Nooteboom auf seinen Streifzügen über die Insel Menorca, auf der er zeitweilig wohnt, zu begleiten. Das betrachtende Streunen durch Blumengärten, durch Lektüren oder anderes, was auffallenswert erscheint, hat er zu einer etwas manierierten Kunst erhoben, die der Gefahr, beliebig zu werden, nicht immer ausweichen kann.

Also beugt er sich über Kakteen, sinniert Spinnen und Schildkröten nach, riskiert den Sprung zum großen Thema Europa oder blättert in Büchern ungarischer Autoren wie Miklós Banffy und Péter Esterházy, beide Nachkommen großer Adelsgeschlechter. Zunächst wundert er sich über das Solitäre der ungarischen Sprache, ihr Klang und Rhythmus erinnern ihn "noch am meisten an ein Maschinengewehr, das Geräusche von sich gibt, aber keinen tödlichen Schuss abfeuert, rekketekketek". Dann folgt ein scheinbar improvisierter kleiner Essay über Banffy und dessen Siebenbürgen-Trilogie, erschienen zwischen 1935 und 1940, die wiederum Esterházy in seinem Hauptwerk "Harmonia Cælestis" lobt.

Nooteboom charakterisiert die Unterschiedlichkeit der beiden Großromane, in denen der eine, Banffy, mit Wehmut das Verschwinden ungarischer Herrlichkeit und Macht schildert, während der andere, Esterházy, alle seine Ahnen zu seinem Vater erklärt, wodurch der erste Teil seiner "Harmonia Cælestis" die Form einer "historischen Wahnsinnsarie" annimmt. Nooteboom staunt: "Jedenfalls habe ich das Gefühl, dass dieses Buch nirgendwo sonst hätte geschrieben werden können als in Ungarn, als habe der ungarische Geist einen Hang zu einem seiltänzerischen Absurdismus, den es nirgendwo sonst gibt."

Natürlich denkt er auch über Idee, Form und Ertrag seiner "533 Tage"-Notate nach. Das wirkt dann wieder gerade im Bescheidenheitsgestus allzu selbstbezogen: "Seelenregungen und Gewissensforschung kommen in diesem Diario Novo nicht zur Sprache, das war nie meine Absicht, allein schon weil Scham und / oder Berechnung die Echtheit unmöglich machen würden." Nun, der Witz von zur Veröffentlichung bestimmten Tagebüchern liegt darin, das der Autor sich selbst und seine Gedankenwelt für so interessant hält, dass er davon Mitteilung machen muss. In der Tat liest sich dergleichen oft wesentlich anregender als die Anstrengungen, die der gleiche Schriftsteller in einem Roman unternimmt. In diesem Sinne nimmt man auch Nootebooms Größenvergleiche gelassen hin: "Ich beschließe für mich, dass der Kosmos eine Illusion ist, und verspüre die Anwandlung, wie ein polnischer Papst die Erde meines Gartens zu küssen."

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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