Wanda und ich haben etwas gemeinsam, neben dem Hang zur Selbstzerstörung und dem Aufwachsen in Wien: Einer meiner beiden Verleger, der zerzauste Redelsteiner, ist der Gründer ihres ersten Labels Problembär Records, mittlerweile ihr Manager, und sie haben ihm neben Anerkennung großen Wohlstand beschert. Kennengelernt haben wir einander eines Abends in Redelsteiners rustikaler Essecke, als dieser zu einem Saufabend einlud, um uns einem Berliner Veranstalterfreund vorzuführen. Außerdem ließ er mir ausrichten, dass Sänger Marco als Sprachkunststudent einige gute Stipendientipps für mich hätte, was mir im Verlauf des Jahres mein erstes fettes staatliches Literaturstipendium verschafft hat.
Diese Egomanie macht aggressiv, lenkt einen aber auch davon ab, aus Langeweile zu sterben
Es wurden damals noch spanische Salzkartoffeln und warmes Dosenbier aufgetischt, statt Kaviar und literweise Schampus, und wir unterhielten und betranken uns eifrig in der illustren Männerrunde. Trotz aller Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft machten mich der seltsame Altherrenduktus des Sängers und seine dazu passenden Gesten schlückchenweise wahnsinniger. Seine Sprache war irgendwie gefärbt vom Soziolekt selbstzufriedener Vorstadtvillenbewohner, weswegen ich nach dem siebzehnten Viertel Weißwein etwas ungehalten wurde.
Marco sagte: "Ich wusste immer schon, dass ich mal was ganz Besonderes machen werde." Ich schaute ihn entgeistert an und sagte so was wie: "Oida, was stimmt nicht mit dir? Du redest, als hätten dir deine Eltern zu viel Spielzeug gekauft als Kind." Genau lässt sich die Situation nicht mehr rekonstruieren, weil wir alle bummzu waren, aber meine letzte Erinnerung ist, dass der Keyboarder, der mit den verrückten Augen, Marcos Ehre verteidigen wollte, wir uns mit geweiteten Nasenlöchern gegenüberstanden, ich so was rief wie: "Ich hau dir in die Pappn! Ich hab schon eine Messerstecherei überlebt, du Opfer!" und Redelsteiner uns alle am Kragen packte und aus seiner Wohnung warf.
Zwischen Begeisterung und Abscheu
Es war das letzte Mal, dass ich die Band live gesehen habe. Kurz darauf folgte ihr unfassbarer Senkrechtstart, und jetzt soll ausgerechnet ich über ihr neues Album "Bussi" (Universal) schreiben. Über die Band, die in mir und meinem gesamten Freundeskreis zwiespältige Gefühle auslöst, zwischen Begeisterung und Abscheu. Da ich keine Musikjournalistin bin und auch nicht weiß, ob ich sie liebe oder hasse, auf jeden Fall nichts dazwischen, frage ich ratlos eine Freundin im Stammbeisl um Rat. Als Reaktion erhalte ich entsetztes Kopfschütteln: "Bitte schreib auf jeden Fall, dass diese Band direkt aus der Hölle ist. Jedes Lied, das ich zufällig von ihnen gehört habe, verfolgt mich sogar im Schlaf. Sie fressen sich in dein Gehirn, ob du willst oder nicht. Marco Michael Wanda ist Satan, das Tier, der Beelzebub!"
Ohne einen Satz zu Papier zu bringen, lese ich den Rest der Nacht Interviews, in denen sich Marco großkotzig als Schamane bezeichnet, als spirituelle Leitfigur, die die Menschen verführt und in Rausch und Ekstase reißt. Es macht mich aggro. Es ist allerdings auch diese Art von pathologischer Egomanie, die Großes hervorbringt, die uns, wenn sie auf Talent trifft, davon ablenkt, aus Langweile zu sterben. Der Typ ist ein Sektenführer, und da er es selbst wirklich glaubt, glaubt auch das Publikum ihm. So funktionieren Sekten.
Nach jedem Reinhören in die Promo-CD habe ich gegen meinen Willen die hartnäckigsten Ohrwürmer meines Lebens. Vielleicht sind es tatsächlich nach schwarzen Bibeln konstruierte Zaubersprüche, die einen innerlich zersetzen, dunkle Flüche, die einem mit scheinbarem Gutelaunegedudel für immer eingesetzt werden. Amore. Eingängige Melodien, perfekt in den Rhythmus gesetzte Verse, Chöre, in Hingabe geschriene existenzialistische Allgemeinängste und Sehnsüchte, und diese Art von Rauheit in der Stimme, die automatisch emotionalisiert. Dazu gute Musiker - ein einfaches und doch schlau umgesetztes Konzept. "Ich trau mich nicht, ich selbst zu sein, manchmal bin ich dir so nah, sich trennen ist arg, Saufen tut gut, Gefühle bringen einen um."
All das, was sich pseudointellektuelle Diskurspopper mit gelangweilter Attitüde dann eher nicht trauen, wird hier mit Mut zur Peinlichkeit in die Massen gebrüllt, und Bauarbeiter fallen Philosophiestudenten in die Arme, gemeinsam schreien sie lachend mit Tränen in den Augen: "Ich hasse meine Exfreundin!" "Ich auch!" "Die dumme Hure!" "Scheiß auf alles!" "Amore!"
Die Sätze sitzen wie Werbeslogans, die Konzerte laden zum gemeinsamen Fallenlassen ein, mit einem Animator, der nicht davor zurückschreckt, "Jetzt geht's los!"-Choräle einzufordern wie DJ Ötzi. Dabei trägt er seine Lederjacke und eine Hose, die er nie wechselt und ich glaube auch nie wäscht. Das hat er sich so ausgedacht, sagt er, weil er es männlich findet wie Hemingway lesen, Schnaps trinken und fischen.
Genau diese Ästhetik ist es, die auch viele Menschen abstößt. Wenn Marco beim Konzert Fickbewegungen in die Luft macht, muss ich trotz aller Gänsehaut, die ich noch kurz davor hatte, erschrocken das Youtube-Video schließen. Das ist zu viel für die moderne Emanze, etwas zu viel Männlichkeit auf einmal. Ich rieche förmlich den Hodenschweiß, der sich tief ins Gewebe der ranzigen Hose eingefressen hat und mit Bukowski'schen Bierschissresten korrespondiert.
Ausgerechnet Ronja von Rönne darf im Video auftreten
Wanda repräsentieren die wilden Jungs, mit denen Musikjournalisten Mitte vierzig, die mittlerweile brav ihre Kreditraten überweisen, bevor sie Paul in die Waldorfschule bringen, gerne einen heben würden. Arge Typen, auf die man seine Sehnsucht nach wilder Promiskuität mit blutjungen Mädchen und Exzess projizieren kann. Ständig fällt in Artikeln über sie das Wort SEX. "Hallodris", "Strizzis", all diese Wörter, deren weibliches Pendant wohl "Nutte" wäre.
Obwohl Marco in seinen Literaturprofessor-Interviews meistens harte Arbeit, ein gedankliches Konzept, erschlagende Müdigkeit und das kontrollierter werdende Trinkverhalten betont, wird ihnen vor allem als impulsiven Prolljungs von der Straße auf die Schulter geklopft. Die Journalisten sehen in ihnen den letzten kraftvollen Brunftschrei, das letzte verzweifelte Schwanz-Rausholen, bevor das Matriarchat endgültig eingeläutet wird und die Gender-Diktatorinnen die Kastrationsbestecke wetzen.
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Auch die Frage, warum sie ausgerechnet Ronja von Rönne zur Hauptfigur ihres Videos "Bussi Baby" - der Song, bei dem einen am Oktoberfest zukünftig Männer in Lederhosen mit feuchten Schnurrbärten das Gesicht abschlabbern wollen werden, "weu es spüt es Bussi-Liadl!" - eingeladen haben, bleibt unbefriedigend beantwortet. Sie wäre eben die einzige junge, fesche Schauspielerin gewesen, die sich gemeldet hätte und reinpasste. Man habe halt nicht gewusst, dass Rönne eigentlich Autorin sei und dadurch bekannt wurde, dass sie sich mit einer Entsolidarisierungsaufforderung gegenüber Frisösen und ähnlich niedrig gestellten Frauen in die Herzen der NPD geschrieben hat und sich stellvertretend für Chauvi-Opas vor den Feministinnen ekelte. Irgendwas an dieser Geschichte geht einfach nicht auf.
Mittlerweile höre ich die CD sogar absichtlich und fühle mich wie 15: verzweifelt, frei, wild und traurig
Doch zurück zum Kern dieses Artikels, der Musik. Spätestens nach der Ansicht der Youtube-Videos haben sie mich leider erwischt. Sie haben mich erfolgreich gebrochen. Man darf sich nicht zu sehr auf die Affektiertheit der Interviews und die pubertäre Männlichkeitsidee konzentrieren, dann funktioniert's. Mittlerweile höre ich die CD sogar absichtlich, gehe durch die Straßen, singe "Die Flaaaaschen von geeestern", dabei mache ich Bewegungen mit den Armen, als würde ich fliegen. Ich fühle mich gelöst, möchte wieder 15 sein und Bierflaschen auf die Zuggleise eines aufgelassenen Dorfbahnhofs werfen, um mich verzweifelt und frei zu fühlen, wild und traurig.
"Ans, zwa, drei, vier, es ist so schön bei dir!"
Die satanischen Messen, die sie Konzerte nennen, haben mich überzeugt. Es ist ein Bierstadl mit anrührendem Wahrhaftigkeitsanspruch, die klare Poesie einfacher, unverblümter Sätze, wenn man sie laut genug schreit.
Nach sieben Bier tanzt sogar mein Freund Witzmann nackt durch die Wohnung und schreit "Ans, zwa, drei, vier, es ist so schön bei dir!", und ich bettel drum, nur noch einmal das Lied mit den Schwestern zu hören, um mich betrunken am Küchenboden zu wälzen. Wir schämen uns danach zwar immer etwas, waschen uns und versuchen uns mit Musik von My Bloody Valentine künstlerisch wieder zu reinigen, aber es hilft nichts: Die Sekte hat uns, der Medizinmann hat uns seine Dämonen eingetrieben.
Die Autorin lebt in Wien und ist vor allem bekannt für ihre Reportagen für Vice und de n Bayerischen Rundfunk. Ende Oktober erscheint ihr neues Buch "Fitness" (Redelsteiner Dahimène Edition). Bis Mitte Dezember ist sie auf Lesetour in Deutschland.