Neues Album von Noel Gallagher:Noel schlägt Haken

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Wenn der Refrain nur aus einem Ton besteht, ist der Trick, auf dem so lange herumzureiten, bis es klingt wie eine Melodie: Noel Gallagher. (Foto: Sour Mash)

Während Bruder Liam noch immer zornig Oasis hinterhertrauert, wagt Noel Gallagher auf seinem neuen Album "Who Built The Moon?" einen beherzten Schritt nach vorne.

Von Max Fellmann

Mann, Mann, Mann, diese Brüder! Dieses Geschimpfe, Gekeife, Gehasse. Noel und Liam Gallagher, ein einziges, endloses öffentliches Dauergerangel. Kein Sitcom-Autor könnte sich so etwas ausdenken. Liam beschimpft Noel als "Kartoffel," Noel nennt seinen Bruder einen Fall für den Arzt, Fluchereien auf Twitter, Retourkutschen in Interviews, es würde ganze Bücher füllen. Und eigentlich wäre das ja alles sehr unterhaltsam - wenn es nicht zugleich so traurig wäre. Denn dass der Streit der beiden überhaupt so viel öffentliche Resonanz hat, liegt ja nur daran, dass sie einst zusammen etwas geschaffen haben, was so vielen Menschen etwas bedeutet. Und dass es damit unwiederbringlich vorbei ist.

Wahrscheinlich müsste man Engländer und zwischen 1975 und 1985 geboren sein, um wirklich zu verstehen, welche Wucht, welche Wichtigkeit die Britpop-Könige von Oasis Mitte der Neunzigerjahre hatten. Für eine ganze Generation dort waren die Brüder Gallagher Gesandte. Erzengel, die herabkamen, um den Sound der großen Sechziger ( Beatles) mit der Attitüde der späten Siebziger ( Sex Pistols) zusammenzubringen, den perfekten Soundtrack für die Jahre des "Laddism" zu schaffen und England wieder zur Heimat des Pop und der Popkultur zu machen. Vor acht Jahren, da war ihre große Zeit längst vorbei, hatten die Streitereien der Brüder endgültig überhandgenommen, hinter der Bühne flogen Gitarren. Am 28. August 2009 verkündete Noel Gallagher seinen Abschied. Die Band war Geschichte.

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Seit diesem Tag geht das jetzt so hin und her, Bruder und Bruder, Hase und Igel, John und Paul: Wessen Wort gilt mehr in den Medien? (Noel) Wer haut die krasseren Sprüche raus? (Liam) Wer landet wieder Hits? (Noel) Wer bringt mehr von den alten Fans hinter sich? (Unentschieden mit Tendenz Noel) Die Rollen sind klar verteilt: Liam ist das verhaltensauffällige Großmaul, für immer verdammt zur jugendlichen Rotzpose. Noel der Elder Statesman, der tatsächlich etwas kann und entspannt auf seinen Katalog von Klassikern zurückblickt.

Die Fans im Netz fürchteten schon, er werde nur noch Elektro-Mist verzapfen

Vor allem aber will Noel, wichtiger Unterschied zu seinem Bruder, nicht einfach den alten Brei aufkochen. Er könnte ein "Wonderwall" nach dem anderen schreiben - aber er versucht, sich weiterzuentwickeln, wagt Neues, öffnet sich. Liam hat zwei mittelprächtige Alben mit den alten Oasis-Kollegen unter dem Bandnamen Beady Eye veröffentlicht, dann ein Solo-Album, alles eher voller müde Oasis-Aufgüsse. Noel dagegen hat auf seine bislang zwei Alben Musical-Chöre gepackt, schmierige Saxophone, sphärische Exkursionen. Er hat sich zu Schunkel-Momenten hinreißen lassen, für die er jeden anderen mit einem scharfen Pub-Spruch abgestraft hätte. Man kann darüber streiten, ob er immer richtig liegt, aber man muss ihm unbedingt zugute halten: Er tritt nicht auf der Stelle.

Und jetzt also wieder ein Hakenschlag: Für das neue Album "Who Built The Moon?" (Sour Mash Records) hat sich Noel Gallagher mit dem Produzenten David Holmes zusammengetan. Den kennt man als DJ, Sample-Jongleur und Arrangeur genialer Retro-Filmmusik ("Ocean's Eleven"). Schon als Gallagher das ankündigte, scharten sich die alten Oasis-Fans, ein eher konservatives Volk, ums digitale Lagerfeuer und murrten im Internet, jetzt sei es vorbei, bestimmt werde Gallagher nur noch Elektro-Mist verzapfen.

Aber schade, Holmes hört man diesem Album gar nicht so sehr an. Am ehesten findet sich sein Einfluss in den repetitiven Strukturen der Songs, Gallagher erlaubt sich mehr stoische Schleifen als bisher. Dabei hätte man meinen können, Holmes würde Gallagher lauter Samples unterjubeln, Sixties-Schnipsel, Beatles-Klavier oder so. Aber Noel Gallagher sampelt ja sowieso seit 25 Jahren, nur eben auf seine Weise - mit der Gitarre. Er ist berüchtigt für das schamlose Zitieren seiner Helden, "Don't Look Back In Anger" hatte das Intro von Lennons "Imagine", "Cigarettes And Alcohol" bediente sich bei "Get It On" von T.Rex. So geht es jetzt weiter: "Holy Mountain", die erste Single, beginnt wie der Plastic-Bertrand-Hit "Ça Plane Pour Moi" und verwandelt sich dann in ein frenetisches Hippie-Getümmel. Fans monieren, Stampfbeat und Blockflöte und ein Refrain voll Halleluja-Seligkeit, das sei doch alles arg weit weg von Oasis. Gallaghers Management äußerte die Sorge, die Single spalte seine Anhänger. Gallagher reagierte erfreut: "Das war meine Absicht. Die Hälfte sagt, das ist Mist, das kann doch nicht der Kerl sein, der "Live Forever" geschrieben hat - die andere Hälfte findet es fantastisch. In so einer Situation war ich noch nie!" Und ja, auch wenn man kein beinharter Oasis-Fan ist, staunt man erst mal über dieses "Holy Mountain". Ein ziemlicher plumper Anbagger-Song ("Hold up, pretty baby, come on / Be my butterfly"), und bollert der nicht etwas arg stumpf dahin? Er erweist sich dann aber als das, was die Amerikaner einen "Grower" nennen, ein Stück, das nach ein paar Runden immer besser wird (um ehrlich zu sein, es wird sogar richtig super. Geduld!).

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Auch andere Songs des Albums, zum Beispiel "Keep On Reaching", haben etwas stramm Insistierendes, die Bassdrum treibt die Musiker voran wie eine Galeerentrommel. "It's A Beautiful World" erinnert an die Achtziger, an A-Ha (hoffentlich übersetzt niemand Noel Gallagher diesen Artikel). Die Blondie-Kopie "She Tought Me How To Fly" ist als Song eher durchschnittlich - dafür lohnt es sich, auf YouTube die Live-Version aus Jools Hollands TV-Show anzusehen: Da spielt eine Musikerin mit, deren einzige Aufgabe es ist, eine Schere rhythmisch auf- und zuzuklappen. Ja, eine Schere.

Noel Gallagher hat noch Lust auf Neues, und das steht ihm gut

Tempo und Druck bleiben durchgehend hoch, Noel Gallagher wagt mit diesem Album einen beherzten Schritt: Auf Balladen verzichtet er völlig, weit und breit kein "Don't Look Back In Anger". Dafür mit "Black & White Sunshine" gleich noch mal einer von diesen Arme-hoch-Schlachtruf-Refrains, die er so gut kann. Sein Trick: Der Refrain besteht zwar nur aus einem Ton, auf dem reitet er aber so gekonnt herum, dass man beim Mitsummen glaubt, man hätte es mit einer Melodie zu tun.

Den Abschluss bildet "The Man Who Built The Moon": Das könnte fast eine Ballade werden, aber dann haut unten ein Schlagzeug rum wie die Müllabfuhr im Hinterhof, und oben drüber erinnert eine schräge Synthie-Melodie an das Star-Trek-Theremin. Chöre steigen auf, Bläser dröhnen, alles verstapft sich in einem unerwarteten Lumpensammler-Marsch Richtung Horizont. Ein Klanggemälde, bei dem Soundtrack-Spezialist David Holmes zum ersten Mal richtig an die Töpfe darf. Gallagher hat in einem Interview gesagt, er würde gern eines Tages einen Bond-Titelsong schreiben - das hier ist die Bewerbung.

Nur acht Songs, dazu drei kleine Instrumentals, nun ja, "Who Built The Moon?" ist kein ganz großer Wurf. Die Melodien sind weniger zwingend als beim Vorgänger "Chasing Yesterday", manches wirkt etwas bemüht. Aber Noel Gallagher hat noch Lust auf Neues, und das steht ihm gut. Einige dieser Songs hat er schon vor großem Publikum gespielt, teilweise im Vorprogramm der Welttournee von U2. Dass er ausgerechnet mit Bono und Konsorten auf Reise geht, dafür ist er von seinem Bruder natürlich umgehend öffentlich beschimpft worden. Aber er will eben das ganz große Publikum. Er will hören, wie 80 000 Menschen seine Lieder bejubeln. Auf Instagram zeigte er vor Kurzem ein kleines Video von einem Konzert, Tausende singen da "Holy Mountain". Im Kommentar machte sich Gallagher darüber lustig, "dass die Parka-Affen damit nichts anfangen können". Damit meint er die alten Oasis-Fans, die noch heute Parkas tragen und davon träumen, es sei für immer 1996. Aber sein Spott klingt dann doch ein bisschen weniger souverän, als er sich das einbildet. Denn natürlich richtet sich der Kommentar auch an den größten Parka-Affen von allen - seinen Bruder Liam. Dabei könnte er sich das sparen. Er hat ihn doch längst abgehängt.

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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