Neuer Direktor des MoMA P.S.1:Neulich mit Lady Gaga

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Kaum jemand ist einflussreicher in der zeitgenössischen Kunstszene als Klaus Biesenbach - am liebsten aber spricht er über seine prominenten Freunde.

Jörg Häntzschel

Klaus Biesenbach hat am Vorabend ein Essen für seinen alten Freund, den Videokünstler Doug Aitken, gegeben. Am Morgen frühstückte er mit dem ehemaligen Dior-Designer und Fotografen Hedi Slimane. Am Nachmittag ist er mit Tilda Swinton verabredet. Er will "Tilda" die von ihm kuratierte Ausstellung von "Marina" im Museum of Modern Art zeigen, Marina Abramovic, die Performance-Künstlerin. Abends treffe er sich dann mit dem Kurator Hans-Ulrich Obrist. "Aber dazwischen können wir uns gerne unterhalten - klar." Einen Moment lang sitzen wir uns im Café des P.S.1 sogar gegenüber, als könne endlich das seit Monaten immer wieder verschobene Gespräch beginnen. Doch dann treibt es ihn weiter. Er will dem Reporter das Haus zeigen. Und der Kaffee? "Nehmen wir ihn einfach mit!"

Klaus Biesenbach ist zum neuen Direktor der New Yorker Kunsthalle P.S.1 berufen worden. (Foto: ag.dpa)

Ein neuer Höhepunkt

Im Museum of Modern Art, wo der 43-Jährige eine neue Medien- und Performance Abteilung aufgebaut hat, trägt er den schönen Titel "Chief Curator at Large". Neben der Abramovic-Schau, die schon 600 000 Menschen gesehen haben, ist dort zur Zeit eine ebenfalls von ihm kuratierte und nicht weniger erfolgreiche Retrospektive des südafrikanischen Künstlers William Kentridge zu sehen. Nun ist er zusätzlich Direktor des MoMA P.S.1 geworden, der zweiten, jüngeren Filiale des Museums. Damit hat sein rasanter Aufstieg einen neuen Höhepunkt erreicht. Außer Obrist ist weltweit niemand so einflussreich in der zeitgenössischen Kunstszene.

Vor 20 Jahren war Biesenbach, der aus einem Dorf bei Köln stammt und in München Medizin studierte, schon einmal in New York. Dann fiel in Berlin die Mauer. Er witterte die Gelegenheit und stieg wieder ins Flugzeug. In der Auguststraße im damals noch brachliegenden Mitte gründete er 1991 die "Kunstwerke" und zündete damit den Boom, der Berlin heute zur wichtigsten Kunststadt neben New York gemacht hat.

Das P.S.1 ist eine Generation älter. 1976 zog die Kunstaktivistin Alanna Heiss, die in der Downtown-Szene Furore gemacht hatte, in das leerstehende Gebäude der ehemaligen Public School 1, in Long Island City in Queens, einer Arbeiter- und Industriegegend direkt gegenüber von Manhattan. Und steuerte ihr P.S.1 dann weitab von den Hipness-Vierteln mehr als drei Jahrzehnte lang erstaunlich sicher durch das hysterische Auf und Ab von New Yorks Kunstkonjunkturen.

Die Lässigkeit des Nachwende-Ostens

Kaum hatte Biesenbach sich mit den Kunstwerken einen Namen gemacht, holte sich Heiss, die aussieht wie eine glückliche Allgäuer Biobäuerin, den spröden, jungen Deutschen mit dem Reibeisenakzent als ihren Vize nach New York. Jahrelang flog er hin und her, brachte Weltläufigkeit nach Berlin und die Lässigkeit des Nachwende-Ostens ins steifere, etabliertere New York. Als Heiss dann vor zwei Jahren in Pension ging, fiel niemandem ein anderer Nachfolger ein.

"Schau mal, ein kleiner Urwald!" Biesenbach zeigt in eine Ecke gleich hinter dem Foyer, wo sich ein Dickicht aus acht Meter hohen Palmen erhebt wie in einem botanischen Garten. "Die hat David Brooks in Florida organisiert", sagt er, zufrieden lachend über die irren Dinge, die er hier möglich macht. Und in gespielter Derbheit: "Jetzt machen wir die tot." Im Unterholz rühren mexikanische Arbeiter Beton an, der von oben auf die kleine Oase gekippt werden soll, bis er diese unter sich begräbt.

Die Installation ist Teil von "Greater New York", der dritten Ausgabe einer alle fünf Jahre stattfinden Schau mit neuer Kunst aus der Stadt. Am Donnerstag wird sie eröffnet, doch am Sonntag sind viele der Werke noch nicht fertig, geschweige denn installiert. Biesenbach genießt das Chaos und scheint unbesorgt. In den Klassenzimmern, wo die Künstler mit ihren Ideen ringen, verteilt er Ermutigung: "Sieht toll aus!","Allmählich wird's!" Mit seiner steifen Haltung, seinem schweren Körper und seinem schwarzen Nadelstreifenanzug wirkt "Herr Zeitgeist" (New York Magazine) immer wie beim Staatsempfang. Dabei scheint er hier ebenso zu Hause wie in der Welt der von ihm umgarnten und ihn umgarnenden Jo Carole Lauders, Diana Picassos und Miuccia Pradas.

Keine Einzelheit ist ihm zu banal: "Klappt das jetzt mit HD?", fragt er Deville Cohen, der ihm einen Clip aus seinem Video vorführt, in dem ein Gummiherz zersägt wird. - "Viele Leute wissen nicht, wie nah man als Kurator am Objekt ist." Oft erinnert er eher an einen Regisseur denn an einen Kurator. Nichts liebt er mehr, als das Publikum mit einem neuen Effekt zu verblüffen.

Die Freiheit für Experimente, die ihm Ausstellungen wie "Greater New York" lassen, genießt er ebenso wie die Carte Blanche seines neuen MoMA-Titels. Damit habe er das erreicht, was er immer angestrebt habe: die Emanzipation vom traditionellen Spartenraster der Museumswelt. "Für mich macht es keinen Unterschied, ob jemand Architektur, Fotografie, Performance oder Mode macht. Was mich interessiert, ist das Neue." Er nennt es - angemessen vage - "contemporary practice". Ob es das RAF-Revival als ästhetisches Phänomen ist, dem er unter großem Protestgetöse in den Kunstwerken nachging, oder Kunst aus Mexiko City. Vieles davon sprengt die musealen Darstellungskonventionen. Er projizierte Doug Aitkens "Sleepwalkers" auf die Außenwände des MoMA. Er lässt junge Architekten jedes Jahr ein neues Setting für die sommerlichen Partys im Innenhof des P.S.1 bauen, mal Holzdünen, mal eine Science-Fiction-Farm. Und mit der Retrospektive von Marina Abramovic hat er die Performance-Kunst erstmals in einer Ausstellung erlebbar gemacht.

Ganz mühelos, so gibt er in einem seltenen Moment der Offenheit zu, ist die permanenten Jagd nach der Gegenwart auch für ihn nicht: "Als Organisation, die Neues macht, muss man immer darum kämpfen, alles ganz früh zu erfahren. Deshalb mache ich jeden Monat mindestens 20 Atelierbesuche, treffe mich ständig mit Kuratoren oder Filmemachern." Ganz zu schweigen von den Beratern, die er für alle Bereiche um sich schart.

Permanente Jagd nach Gegenwart

Von der Disziplin, die das erfordert, bekommt man in seinem Büro eine Ahnung, einem gleißend hellen und völlig leeren Raum mit grandiosem Blick auf Manhattan. Biesenbach sitzt an einem minimalistischen Holztisch, auf dem nichts steht als ein Laptop. Korrespondenz, Post-its, Bücher, Zeitschriften, Fotos? "Nein. Regel ist, dass das jeden Morgen geleert wird. Wenn etwas bleibt, ist es falsch. Entweder es kommt in die Bibliothek oder ins Archiv oder es geht an die Person, die damit arbeitet." Seine Wohnung im 18. Stock eines Fünfziger-Jahre-Hochhauses in Chinatown sieht ebenso aus: Bett, Stuhl, Fernseher, Kühlschrank: Mehr ist dort nicht. Kein Stück Papier, keine Kaffeetasse, kein Buch. Im Sommer schläft er auf der Terrasse, im Geheul des Verkehrs, der sich über die Williamsburg Bridge wälzt. Doch sein eigentliches Zuhause ist diese private Transithalle, in der der Passagier B. sich mit "Versuchen zu lesen", mit E-Mailschreiben und alten Popvideos auf YouTube die Zeit bis zur Ankunft des nächsten Tags vertreibt, ohnehin nicht. Sondern das Netz aus Bekanntschaften, an dem er pausenlos und mit unglaublicher Versiertheit knüpft. "Wenn man versucht, Performance, Fotografie, Musik und alles andere zusammenzubringen, dann sollte man die Leute schon kennen, die in diesen Bereichen etwas verändern."

Er ist mit der U-Bahn unterwegs zum MoMA und zu den nächsten Einträgen in seinem Terminkalender. Er will in der William-Kentridge-Ausstellung vorbeischauen. Er will sehen, wie es Marina geht. Er hofft, Tilda zu finden. Und lässt den Reporter mit seinem fast kindlich wirkenden Bedürfnis nach Akklamation nur zu gerne zum Zeugen dieses Reigens werden. Doch außer den vielen Namenlosen, die sich bei ihm für seine Ausstellungen bedanken, sichtet er in der Menge um Abramovics Dauerperformance zum Begrüßen nur den Architekten Hans Hollein und dessen Frau. "Ach, Max Vater!"

Soziale Trophäen

Also nützt er die Gelegenheit, eine weitere soziale Trophäe aus dem Regal zu holen. "Neulich ... das war lustig", hebt er an, "habe ich Lady Gaga durch die Ausstellung geführt." Und tut dann so, als sei nicht seine Freundschaft mit Lady Gaga die Sensation, sondern ihre hufartigen Alexander-McQueen-Heels, mit denen sie ums Haar einer Performerin auf die nackten Füße getreten wäre. Sein soziales Kapital um solche Nuggets zu mehren: daran arbeitet Biesenbach Tag und Nacht. Er ist immer guter Laune. Er lobt nur und kritisiert nie. Er ist immer im Zentrum des Geschehens zu finden, aber eigentlich schon auf dem Weg zum nächsten, noch bedeutenderen Ereignis. Und wenn die Kommunikation ihre pure Äußerlichkeit verliert, wenn das Wasser, in dem er schwimmt, träger zu fließen droht, winkt er irgendeinen Neuen herbei, um die Verstopfung aufzulösen. "Das Vorstellen ist ja eine Art Metapher für das, was ich tue. Jetzt habe ich zum Beispiel Marina sehr vielen Leuten vorgestellt." Alles hundertmal leichter, als sich selbst vorzustellen.

In der Menge taucht das Künstlerpaar Allora & Calzadilla auf, das er schon länger erwartet hat. "This is Jennifer. This is Guillermo." Biesenbach habe gerade eine ganz wichtige Arbeit von den beiden angekauft, erklärt er, und wolle ihnen nun das MoMA-Atrium zeigen, in der er es aufführen will. "Mail mir, wenn Du noch Fragen hast. Super. Ciao."

© SZ vom 25.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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