Ein jüdischer Siedler im Westjordanland, so schreibt der Autor weiter, dürfe 15 Tage ohne Anklage festgehalten werden, ein Palästinenser dagegen 180 Tage. Und schließlich: Im Westjordanland gelten Nachkommen jüdischer Siedler bis zu einem Alter von 18 Jahren rechtlich als Kinder, Nachkommen von Palästinensern aber nur bis zwölf Jahren. Die Folge: Palästinensische Jugendliche können schon in sehr frühem Alter strafrechtlich belangt werden.
Eine andere Statistik befasst sich mit dem Leiden palästinensischer Kinder. Zwischen 2000 und 2007 seien 854 Kinder von der israelischen Armee getötet worden. Mit Bezugnahme auf eine UN-Studie schreibt der Autor: 98 Prozent der Kinder lebten in steter Angst vor neuer israelischer Gewalt. In den Jahren 2003 bis 2005 seien bei 180 israelischen Angriffen auf palästinensische Schulen 181 Lehrer und Schüler getötet worden.
Diese erschütternde Innenansicht komplettiert Abdallah Frangi mit einem Panorama palästinensischer "Außenpolitik" - und mit den zahlreichen israelischen Versuchen, nach dem palästinensischen Terror-Attentat gegen israelische Sportler bei den Münchner Olympischen Spielen 1972 Rache zu üben. Frangi wurde 1943 im heute israelischen, damals palästinensischen Beerscheva geboren. Während des ersten Nahostkrieges von 1948 flüchtete er nach Gaza, wo er heute wieder lebt.
Mehr als dreißig Jahre lang war er palästinensischer Vertreter in Deutschland. Der Vertraute Arafats (und heute Ratgeber von Präsident Mahmud Abbas) hat alle Wendungen und Windungen des Konflikts erlebt und wurde selber Opfer eines israelischen Anschlags, als sein Kollege Abu Khalil im Herbst 1972 in Algier einen Brief öffnete, in dem eine Bombe versteckt war. Abu Khalil überlebte, Frangi ebenso.
Viel Text und wenig Substanz
Einen weiteren israelischen Vergeltungsschlag erlebte Frangi im April 1973 in Beirut, als ein nächtens an Land gegangenes israelisches Kommando unter Führung von Ehud Barack Jassir Arafat ermorden wollte, aber lediglich fünf unbeteiligte Palästinenser tötete, weil Arafat nicht in dem von den Israelis vermuteten Haus weilte. Dem widersinnigen Kampf am Boden entsprach - und entspricht bis heute - auf diplomatischem Parkett ein hoffnungsloses Ränkespiel an Vorschlägen und Gegenvorschlägen.
Selbst das ursprünglich als Durchbruch gefeierte Abkommen von Oslo (1993), nach dem der PLO zunächst die Verwaltung einiger vornehmlich von Palästinensern bewohnten Gebiete zufallen sollte, hat keinesfalls den Weg zum Frieden gebahnt. Hans-Jürgen Wischnewski, seinerzeit der kenntnisreiche Nahostvermittler der SPD, sprach, wie Abdallah Frangi berichtet, von "viel Text und wenig Substanz", als er die Vereinbarung von Oslo studierte.
Heute weiß man, dass Wischnewski recht hatte. Das Land, auf dem nach wohlwollender Interpretation der Oslo-Verträge ein palästinensischer Staat entstehen sollte, bauen die Israelis bis heute mit ihren Siedlungen zu. Die Schlussfolgerung, jedenfalls aus palästinensischer Sicht: In ihrem alltäglichen Leben werden die Palästinenser schikaniert, politisch werden sie blockiert. Eine Lösung ist nicht in Sicht.
SAREE MAKDISI: Palästina, Innenansichten einer Belagerung. Aus dem Englischen von Sigrid Langhäuser. Laika-Verlag, Hamburg 2011. 410 Seiten, 21 Euro. ABDALLAH FRANGI: Der Gesandte. Mein Leben für Palästina. Hinter den Kulissen der Nahostpolitik. Heyne Verlag, München 2011. 431 Seiten, 21.99 Euro.