Social-Media-Überwachung:Wenn Künstliche Intelligenz über Jobchancen entscheidet

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Gar nicht sozial, Medien auch nicht. Auf Facebook und Co. verfallen die Sitten. (Foto: AFP)
  • Künstliche Intelligenz entscheidet immer häufiger über die Jobchancen von Bewerbern.
  • In den USA durchleuchten mittlerweile Unternehmen wie Predictim die Social-Media-Kanäle von Bewerbern für Babysitter-Stellen.

Von Michael Moorstedt

Aus China gibt es einen neuen Durchbruch in Sachen öffentlicher Überwachung zu vermelden. Nicht mehr nur an Gesichtszügen oder Retina lassen sich Menschen angeblich eindeutig identifizieren, sondern auch an ihrer Körperform und ihrem Gangbild. Das sei sogar viel einfacher als mit herkömmlicher Technik, teilt der Hersteller mit.

Die Ausweitung der Überwachung schreitet voran. Und zwar nicht nur in immer mehr öffentlichen Räumen im Namen der Inneren Sicherheit, sondern auch zu vermeintlich banaleren Zwecken. Das Schweizer Online-Magazin Republik berichtet etwa, dass immer mehr Unternehmen bei der Mitarbeiterwahl auf Stimmanalyse setzen. KI-Algorithmen können anhand von Sprechgeschwindigkeit oder Timbre angeblich genauestens auf den Charakter eines Menschen schließen.

Künstliche Intelligenz als Menschenkenner?

Auch in den USA reicht es bei der Bewerbung längst nicht mehr aus, einen lückenlosen Lebenslauf vorzuweisen und dann die Konkurrenz im Assessment Center wegzubeißen. Stattdessen wird die Online-Präsenz des potenziellen Arbeitnehmers unter die Lupe genommen. Nun darf man sich das nicht so vorstellen, dass sich hier ein grimmiger Personaler durch die Instagram-Beiträge der Bewerber klickt. Stattdessen wird auch hier eine Künstliche Intelligenz eingesetzt. Das Start-up Fama behauptet, bereits für mehr als hundert Unternehmen die Social-Media-Aktivitäten von Bewerbern zu durchleuchten.

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Der Technologietransfer geht aber noch weiter. Auch Privatpersonen können daran teilhaben. Eine weitere junge Firma namens Predictim bietet besorgten Bürgern jedenfalls an, anhand von Social-Media-Konten ihrer Dienstleister herauszufinden, ob die Putzfrau oder der Babysitter auch vertrauenswürdig ist. Dafür scannt eine Software die Einträge auf Twitter oder Facebook und vergibt dann in vier Kategorien wie Drogenkonsum oder allgemeiner Gesinnung Noten von eins bis fünf. Für 25 US-Dollar pro Analyse kann man so die Wohnung und das Kind guten Gewissens in fremde Hände geben.

Voodoo entscheidet über Jobchancen

Das ist nicht nur deshalb bedenklich, weil die hier eingesetzte Technologie ungefähr so verlässlich wie Voodoo ist. Sprachanalyse ist für KI-Software immer noch wahnsinnig herausfordernd. Computer verstehen einfach keinen Kontext, ganz zu schweigen von feineren Stilmitteln wie Ironie oder Metaphern. Ebenso fragwürdig ist das Weltbild. Fähigkeiten wie Intuition oder Menschenkenntnis sind obsolet, die Software sagt, was oder wer gut oder schlecht ist. Nach eigenen Angaben hat Predictim bereits mehrere hundert Scans vorgenommen, etwa jeder zehnte Bewerber wurde als "riskant" oder gar "sehr riskant" eingestuft. "Peace of Mind for Families" lautet der Firmen-Slogan, familiärer Seelenfrieden durch das KI-Gütesiegel also, herzlichen Dank.

© SZ vom 12.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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