Netz-Depeschen:Deine Freunde werden dich vermissen

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Wenn User ihren Account löschen wollen, greift Facebook zu perfiden Mitteln, um seinen untreuen Jüngern ins Gewissen zu reden.

Michael Moorstedt

Wenn der Mensch nicht mehr weiter weiß, wendet er sich an eine höhere Macht. Heutzutage heißt sie meist Google. Und da dessen Nutzer im Zwiegespräch mit der Maschine neben Stichwörtern längst auch ganze Fragen oder Sätze in das Internet-Suchformular eingeben, lässt sich mit Hilfe der so genannten Hot Trends ein recht detailgetreues Bild der Sorgen und Nöte der digitalen Weltgemeinde zeichnen. Je mehr Menschen nach einem Begriff oder eine Antwort auf ein Problem suchen, desto höher werden der Begriff oder die Frage platziert. Folgt man dieser Liste, hieß eines der größten Anliegen der vergangenen Woche: "Wie lösche ich meinen Facebook-Zugang?"

Für viele ein Alltagsgeschäft: Der Blick in den Facebook-Account. (Foto: Foto: dpa)

Ein Mindestmaß an Privatsphäre

Zu viel Schlechtes war in den letzten Tagen über das soziale Netzwerk zu hören, zu viel die Rede von Sicherheitslücken, gehackten Nutzerkonten oder plötzlich im Internet aufgetauchten Chat-Logs. Auch die erst vergangenen Monat eingeführte sogenannte Open-Graph-API, die das gesamte Netz zu einem Appendix des Unternehmens reduziert, sorgte für wenig Begeisterung und viele Bedenken. Facebook habe sein Spiel überreizt, heißt es selbst in den Blogs von notorischen Online-Optimisten wie Danah Boyd oder Peter Rojas.

Auf einschlägigen Seiten kursieren derweil Bedienungsanleitungen, die erklären, wie man die per Default verordnete Entblößung rückgängig machen kann. Um so wenigstens ein Mindestmaß an Privatsphäre zu sichern. Von dort sind es nur wenige Klicks hin zu den Blogs der Facebook-Aussteiger, die über ihren Entzug schreiben. Von anfänglicher Leere und Kälte ist da die Rede. Und dass man trotzdem froh sei, diesen Schritt endlich getan zu haben. Die Berichte lesen sich, als seien die Autoren gerade einer schlimmen Sekte oder Droge entkommen. Facebook greift zu durchaus perfiden Mitteln, um den untreuen Jüngern ein letztes Mal ins Gewissen zu reden. "Deine Freunde werden dich vermissen", heißt es ziemlich dramatisch in einem Dialogfeld, kurz bevor der Zugang abgeschaltet wird. Eine größere Bevormundung durch eine Datenbank gab es nie.

Suche nach Alternativen

Mit dem Exodus der Early-Adopter ist ihr Bedürfnis nach einer digitalen Schnittstelle für das Selbst jedoch nicht verschwunden. Anstatt der permanenten Selbstrepräsentation im Web zu entsagen, begibt man sich auf die Suche nach Alternativen. Projekte wie das Mozilla-nahe Appleseed oder Onesocialweb arbeiten bereits an Netzwerken, die weniger Wert auf Datensammlungen als auf Dezentralisierung legen. Das Projekt, das in der vergangenen Woche jedoch die meiste Aufmerksamkeit erregt hat, trägt den bezeichnenden Namen Diaspora. Vier New Yorker Informatik-Studenten wollen den Internet-Nutzern die Kontrolle über ihre Biografien zurückzugeben. Ihr Ansatz basiert nicht auf zentralen Serverfarmen, sondern auf einer Peer-to-Peer-Technologie, ähnlich wie der des Filesharing-Protokolls Bittorrent.

Verschlüsselung sei ihr höchstes Gebot, sagen die Entwickler in einem Amateur-Video auf der Crowdfunding-Seite kickstarter.com. 10 000 Dollar wollten sie so sammeln, um sich ganz der Entwicklung des Wunder-Codes widmen zu können. Innerhalb von wenigen Tagen kam eine sechsstellige Summe zusammen. Die Rückeroberung der eigenen Daten scheint dem notorisch knausrigen Web-Publikum wirklich ein Anliegen zu sein.

© SZ vom 17.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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