Theater:Parole Widerstand

Lesezeit: 3 min

Textlieferantinnen auf ausgemergelten Hungerleichen: "Mutter Courage" am Gorki. (Foto: Ute Langkafel)

Oliver Frljićs "Mutter Courage"-Inszenierung am immer wieder erstaunlichen Berliner Maxim-Gorki-Theater verfolgt konsequent zweieinhalb Ideen.

Von Peter Laudenbach

Immerhin der Kampfgeist und die Freude an energischen Parolen sind ungebrochen. Beim Schlussapplaus von Oliver Frljićs "Mutter Courage"-Inszenierung am Berliner Maxim-Gorki-Theater entrollen die Schauspielerinnen ein Transparent und rufen "Jin Jiyan Azadi!" - Frauen, Leben, Freiheit. Es ist die Parole, mit der in Iran wütende und verzweifelte Demonstrantinnen nach dem Tod einer jungen Frau in Polizeihaft, Mahsa Amini, gegen das Mullah-Regime auf die Straße gehen. Auf einer Berliner Theaterbühne ist das eine Geste der Solidarität und gleichzeitig etwas wohlfeiler Gratismut zur Verzierung einer bestenfalls halbgelungenen Inszenierung. Kurz befürchtet man, dass die Schauspielerinnen auch noch den alten Demo-Hit anstimmen und "Hoch! Die! Internationale! Solidarität!" skandieren. Zur Parolen-Rhetorik gehört immer auch der Mut zu etwas Dumpfheit.

Das beschreibt exakt die Lage des Theaters im neunten Jahr der Intendanz Shermin Langhoffs, deren Vertrag neulich bis 2026 verlängert wurde. Zum selbstauferlegten Auftrag oder, weniger charmant gesagt: zum sorgsam gepflegten Label gehört neben dem Theater immer auch der Beitrag zum internationalen Freiheits- und Klassenkampf, gerne brachial und unter Verzicht auf unnötige Subtilitäten. Das passt insofern zu Oliver Frljićs Inszenierung des Brecht-Stücks, als dass auch sie eher plakativ gerät. Es ist nicht die allerbeste Arbeit dieses durchaus wichtigen kroatischen Regisseurs, der von dieser Spielzeit an als künstlerischer Co-Direktor und Oberspielleiter zum Gorki-Leitungsteam stößt. Frljić, ein freundlicher, kluger Mann, könnte die ideale Ergänzung der kampf- und krampferprobten Intendantin sein, die sich ob ihres gelegentlich barschen Auftretens in der vergangenen Spielzeit unfair hochgejazzten Machtmissbrauchsvorwürfen ausgesetzt sah.

Die derzeitigen Kriege sind durch die Lebensgeschichten der Gorki-Künstler im Theater präsent

Redet man mit Langhoff über die Lage an ihrem Theater, erzählt sie lauter tolle, berührende, Mut machende Dinge aus dem Gorki-Innenleben - zum Beispiel von einer jungen kurdischen Künstlerin, Artist in Residence am Gorki, die den Tod Mahsa Aminis in der Haft der iranischen Sittenpolizei mit einer unmissverständlichen Kunstaktion beantwortet hat. Sie hat sich ihre Haare abgeschnitten, ihr Menstruationsblut aufbewahrt und alles zusammen mit Henna an das Tor der iranischen Botschaft geschmiert: Nehmt das, Mullah-Mörder. Je länger man Langhoff dabei zuhört, wie die derzeitigen Kriege und Gewaltregime in Syrien, in der Türkei, im Nahen Osten, im postsowjetischen Raum einfach durch die Lebensgeschichten der Gorki-Künstler im Theater präsent sind, desto besser versteht man die Dringlichkeit und den oft ziemlich umwerfenden Lebensmut, mit dem hier Theater gemacht wird. Am Tag nach dem Interview kommt eine freundliche Mail der Intendantin: Sie möchte keinen einzigen Satz des langen Interviews zur Veröffentlichung freigeben. Auch dieses etwas mühsame Kontrollbedürfnis gehört vielleicht zur Gorki-Wahrheit. Das ist ein wenig kleinlich, aber es ändert natürlich nichts daran, dass man gar nicht anders kann, als immer wieder mit Bewunderung und Zuneigung auf dieses erstaunliche und sehr besondere Theater zu blicken.

Aber wie das mit der Theaterliebe so ist - manchmal wird sie auf harte Proben gestellt. Frljić kaut in seiner "Mutter Courage"-Inszenierung auf genau zweieinhalb einigermaßen banalen Ideen herum: Der Krieg kennt keine Einzelschicksale, also nehmen sich alle sechs Schauspielerinnen abwechselnd der Courage-Figur an. Mindestens die Hälfte der Opfer des Krieges sind Frauen, also besetzt Frljić seine Inszenierung ausschließlich mit Schauspielerinnen, unter denen besonders Abak Safaei-Rad und Çiğdem Teke herausragen. Der Krieg produziert keine Wahrheiten, auch nicht in Form von Brecht-Parabel-Merksätzen, er produziert nur jede Menge Leichen. Also wird aus Mutter Courages ikonografischem Marketenderin-Wagen eine Prozession der Särge, auf denen ausgemergelte Hungerleichen liegen. Diese Puppen des Grauens stapeln sich später zu Leichenbergen am Bühnenrand und auf der Drehbühne, sie baumeln wie ein Regenfall des Todes vom Bühnenhimmel.

Die Särge werden zu einem Steg zusammengeschoben, ein Catwalk für eine Modenschau der Kriegskrüppel. Der Musiker Daniel Regenberg mischt dazu die Aufnahme von Helene Weigels Stimme als Courage aus der berühmten Brecht-Inszenierung des Stücks mit einer apokalyptischen Elektro-Sound-Collage, die direkt aus der Hölle kommt. Es sind die eindrucksvollsten Szenen des kurzen Abends, der Rest ist Deklamations- und Parolentheater der gröberen Sorte, in dem nur Textlieferanten, aber keine Figuren, oder gar Charaktere, sichtbar werden, von so etwas Altmodischem wie innerer Anteilnahme oder einem Erschrecken angesichts des Krieges mal ganz zu schweigen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKrise des Theaters
:Ein Stück aus dem Tollhaus

Kammerspiele, Volksbühne und Co.: Wie Theater sich angesichts halbleerer Häuser in Egoshooter-Phrasen flüchten.

Von Peter Laudenbach

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: