Musikgeschichte:Auf dem braunen Hügel

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Festspiel-Chefin Winifred Wagner und ihr Idol Adolf Hitler. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Das Rahmenprogramm der Bayreuther Festspiele fragt noch einmal: Wie viel Hitler steckt in Wagner?

Von Helmut Mauró

Es ist eine unanständige Frage, denn sie vertauscht künstlerischen Grund und politische Folgen. Die Frage lautet, nach wie vor, was und wie viel Wagner mit Hitler zu tun hat. Thomas Mann hat sie mit der überspitzten Bemerkung beantwortet, es sei viel Hitler in Wagner. Mann wollte der Musik nicht abschwören, aber deren üblen Beigeschmack loswerden. Er hat den Königsweg eröffnet, auf dem man sich Wagner nähern kann, sich einerseits für das Werk begeisternd, andererseits ebenso vehement mit der Künstlerfigur Richard Wagner streitend, diesem "schnupfenden Gnom aus Sachsen mit dem Bombentalent und dem schäbigen Charakter". Diese bürgermoralische Haltung gibt die Linie vor. Man darf die Musik bewundern, muss aber einen gehörigen Teil des Künstlers dahinter verurteilen. Kann sein, dass man der Wirkung der Wagner-Musik nicht entkommt, aber den chauvinistischen Inhalten kann man sich verschließen.

Jahrzehnte nach Hartmut Zelinskys fundamentaler Kritik "Richard Wagner - ein deutsches Thema 1876-1976" und dem Bayreuther Symposion "Richard Wagner und die Juden" von 1998 ist die Frage der Bayreuther Verquickung mit dem nationalsozialistischen Machtapparat und der NS-Ideologie virulent wie lange nicht. Nach dem Tod Wolfgang Wagners hat dessen Tochter Katharina als neue Festspielchefin die Aufarbeitung vorangetrieben. Sie öffnete private Dokumentsammlungen für die Forschung, und seit 2017 gibt es den "Diskurs Bayreuth" als Festspiel-Rahmenprogramm mit Vorträgen, Diskussionen und Konzerten. 2018 wurde die Oper "der verschwundene hochzeiter" von Klaus Lang uraufgeführt. Dass die Vorträge und Gespräche von und mit Musikwissenschaftlern, Literaturwissenschaftlern, Intendanten, Komponisten und Historikern, wie Silke Leopold, Elisabeth Bronfen, Klaus Zehelein, Dieter Schnebel nun in Buchform vorliegen, zeigt, wie ernst man den prinzipiell offenen Fall Wagner nimmt.

Man hat verstanden, dass es in dieser Sache keinen Abschluss geben kann, schon gar keinen, der befriedigende Erklärungen böte oder in anderer Weise befriedete. Es geht nun darum, den Diskurs aufrechtzuerhalten und zum Bestandteil der Festspiele werden zu lassen. Dass dies nicht sogleich in jedem Detail aufs brillanteste gelang, war zu erwarten. In einem langfristigen offenen Prozess von Rede und Gegenrede ist dies aber hinzunehmen. Schwieriger als die nach der Verstrickung und ideologischen Gefolgschaft etwa Winifred Wagners, aber auch brennender, bleibt die Frage, inwieweit der Ideologe Wagner den Künstler Wagner im Griff hatte. Wie also nicht nur aus seinen Schriften, sondern aus dem Werk selber die Hydra des Nationalchauvinismus und Rassismus züngelt. Hier ist eine historische Einordnung, die nicht gleich Relativierung und Entschuldigung ist, hilfreich und vonnöten.

Hans Rudolf Vaget hat dies in seinem wichtigen Beitrag zum Thema, der auch die unübersichtlich gewordene Literatur zusammenfasst, in seinem Buch "Wehvolles Erbe. Richard Wagner in Deutschland. Hitler, Knappertsbusch, Mann" vom letzten Jahr ausführlich erledigt und dabei insbesondere Hans Knappertsbusch schwer belastet. Die Dokumentation "Sündenfall der Künste?" ist weniger wissenschaftlich, findet auf einem anderen Niveau statt, einem publikumsfreundlicheren, möglicherweise breitenwirksameren. Dass der Aufarbeitung von Wagners politischen Statements und deren tatsächlichen oder vermeintlichen Auswirkungen auf Hitler-Deutschland nicht mit gut gemeintem Aktionismus Genüge getan werden kann, ist wohl jedem der Beteiligten klar. Man kann sich dessen beim Lesen der Dokumentation aber nicht immer ganz sicher sein.

Der Musikkritiker Gerhard R. Koch zum Beispiel erstaunt mit der klischeehaften Beschreibung des Publikums: "Vom Meister war zu erwarten, dass er erhabene Meisterwerke schuf, so wie Frauen auch heute noch für manche zum Kinderkriegen da sind. Reflexion habe er zu meiden, sie könnte spontaner Kreativität schaden." Dabei haben Musiker seit jeher ihr Schaffen reflektiert, theoretisch dokumentiert und visionär weiterentwickelt. Auch Wagner fehlte es nicht an künstlerischer Selbstreflexion, doch die ging nicht tief genug, würde als aktuelle Deutungshilfe nicht hinreichen. Bedenklicher allerdings ist der Versuch, Nachfahren Wagners, etwa Hans Pfitzner oder Alexander Skrjabin, als Weltuntergangs-Paranoiker ablenkend vor Wagner zu stellen. Selbst Karlheinz Stockhausen, der jeden Bezug zu Wagner für sich und sein Werk stets ablehnte, wird hierbei ins Feld geführt.

Wäre es so eindeutig, spräche auch das Kapitol in Washington die Sprache des Faschismus

Dem Filmregisseur Hans-Jürgen Syberberg bescheinigt Koch, in der ungeheuerlichen entlarvenden Interview-Dokumentation Winifred Wagners gleichwohl deren Charme erlegen und zum "glühenden Ruhm-Redner" geworden zu sein. Dies ist nur schwer nachvollziehbar. Des Weiteren werden Hermann Nitsch, Robert Wilson, Rudolf Noelte, der DDR-Monumentalmaler Werner Tübke genannt. Kochs Resümee: "Wagners ästhetische Visionen wie ideologische Fatalitäten wirken fort." Ganz so, als wäre auch hier eine bestimmte Ästhetik einer konkreten Ideologie gleichzusetzen, wie man das in der Bildenden Kunst und Architektur einigermaßen erfolgreich, wenn auch nur oberflächlich ästhetisch fundiert, versucht hat. So wechselseitig unmittelbar sind die Zusammenhänge zwischen Megalomanie und Diktatur nicht, sonst spräche auch das Kapitol in Washington die Sprache des Faschismus.

Allerdings hilft der behauptete Zusammenhang von äußerlicher Erscheinung und innerem Gedankengut, von ästhetischen Merkmalen auf unsichtbare ideologische Gehalte zu schließen. Koch nimmt hier eine eigentümliche Umschuldung vor, womit er aber erst eine tatsächliche oder vermeintliche Schuld Wagners am Holocaust festschreibt. Aussagen wie die des Erziehungswissenschaftlers Micha Brumlik machen ebenfalls misstrauisch: Die "Sachverhalte, von denen Wagners Werk handelt", seien "noch lange nicht zu einem Abschluss gekommen". Stattdessen dauerten sie "in bedrängendster Weise" an und kämen bei Wagner "in unübertroffener Weise zum Ausdruck". Das klingt zu unbeholfen pauschal.

Andererseits grenzt Brumlik den Diskursraum klar und vernünftig ab. Weder beruhe die Hitlersche Wagner-Idolatrie auf einem Missverständnis, noch sei Wagner der Prophet Hitlers und letzterer der Vollstrecker Wagnerscher Überzeugungen. Es bleibt eine Gratwanderung, zwischen Wagner, seinen Werken und deren Wirkung zu differenzieren, legitime Zusammenhänge herauszustellen und sich mit wohlfeilen Assoziationen zurückzuhalten. Wenn die Sachverhalte Wagners nicht zur Ruhe kommen, liegt das auch daran, dass man die nächstliegenden Werkaussagen in ihrer drastischen Direktheit und politischen Gültigkeit bis heute nicht wahrhaben will - ausgenommen George Bernard Shaw und Frank Castorf mit deren klarer Kapitalismuskritik des "Rheingold". Stattdessen erhebt man das Suchen nach neuen verborgenen Sinn-Schätzen zur nahezu erotischen bildungsbürgerlichen Übung. Der Bayreuther Festspiel-Begleitdiskurs, das ist eine Gefahr bei dieser Aktion guten Willens, bewirtschaftet womöglich das gleiche Feld.

Katharina Wagner et al. (Hrsg.): Sündenfall der Künste? Richard Wagner, der Nationalsozialismus und die Folgen. Bärenreiter Verlag, Kassel 2018. 221 Seiten, 38,95 Euro.

© SZ vom 31.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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