Musical:Dunkler Glanz

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Verliebt in Berlin: Der Autor Clifford Bradshow (Ryan Saunders) trifft die Sängerin Sally Bowles (Helen Reuben). (Foto: oh)

Regisseur Tom Littler hat sich für seine "Cabaret"-Inszenierung, die nun im Deutschen Theater zu sehen ist, das Musical-Script neu erarbeitet

Von Michael Zirnstein

Das Leben ist enttäuschend? Vergiss es! Lass deine Sorgen draußen. Hier drin ist das Leben wunderschön." Mit diesen Worten empfängt der Master of Ceremony, genannt Emcee, die Gäste im Kit Kat Klub. "Willkommen! Bienvenue! Welcome!" Es ist die Ansage aller Ansagen, schillernd, lüstern, multilingual schwänzelnd zwischen Marktgeschrei und Gesang, zwischen Männlein und Weiblein - da startet eine Nacht, in der alles möglich ist. So lockte Joel Grey als schriller Conferencier im Broadway-Musical 1966 die Leute ins "Cabaret", so rief er 1972 im Hollywood-Film, und so wickelte sein Nachfolger Greg Castiglioni die Gäste des Deutschen Theaters in der Ballsaison 2019 ein.

Seit das Singspielhaus an der Schwanthalerstraße wieder eine eigene Tanznacht veranstaltet, den "Ball total", unterhält es die herausgeputzten Gäste mit einem Ausblick auf die kommende Musical-Saison. Bei der "Medicus"-Vorschau im Vorjahr wähnte man sich da kurz in einem Kostümfest aus der Klamottenkiste, und so kam es später ja auch in der (viel zu) langen Bühnenversion. Bei "Cabaret" aber ging der Plan auf. Ist doch so eine Ballnacht immer noch der Versuch, jene glanz- und sündenvollen Feten der Jazz-Ära nachzuerleben. Noch dazu aktuell, wo viele von der Fernsehserie "Babylon Berlin" berauscht sind. Und wie fein das im Deutschen Theater ineinanderfloss, weil Castiglioni nicht nur den Emcee spielte, sondern in dessen Rolle auch einige Ball-Ansagen übernahm, und weil die Schauspielertruppe auf dem Parkett inmitten der Gäste die Lieder nicht mit ihrer Fünf-Mann-Theatercombo, sondern mit dem Hugo-Strasser-Ball-Orchester groß ertönen ließ.

Eine "spaßige Herausforderung" sei die Ball-Einlage, fand Tom Littler, der Regisseur der "Cabaret"-Inszenierung vom "English Theatre Frankfurt", das bereits "Tommy" und "The Hound of the Baskervilles" vom eigenen mittelgroßen Haus aus nach München brachte. Die Stücke werden dort immer von Englisch-Muttersprachlern gespielt, gesungen und inszeniert; das Produktionsteam hingegen stammt aus Deutschland. "Ein perfektes ,Fuck You!' für den Brexit", sagt Tom Littler, der mit seinem Mittelscheitel und seinem schelmischen Grinsen an den ewig jungen Michael J. Fox erinnert. "Wir schmeißen unsere Ideen zusammen."

Genau aus so einem multikulturellen Brodeln köchelte der legendäre Berliner Untergrund der Weimarer Republik auf. Das Aufatmen nach dem Krieg, die sexuelle Freizügigkeit und der billige Wechselkurs der gebeutelten Mark lockten Künstler, Wissenschaftler und Lebemenschen ins Abenteuer Berlin. Wie auch den 25-jährigen Briten Christoph Isherwood, der Englisch unterrichtete, seine Homosexualität feierte und in Tagebücher schrieb, was 1945 im Buch "The Berlin Story" erschien. Unter anderem eine Geschichte über eine zweitklassige Bar-Sängerin mit Bubikopf und grünen Fingernägeln namens Sally Bowles, so wie sie spätestens Liza Minnelli 1972 weltberühmt machen sollte.

Littler hat den Film gesehen, vor Jahren, als Vorbereitung für sein Musical hat er ihn nicht mehr angeschaut; von "Babylon Berlin" hat er nur gehört; ihm reichten das Musical-Skript von Harold Prince und die Notenblätter des Songwriter-Super-Duos John Kander und Fred Ebb. Die Originaltexte sind für Littler "phänomal" und - obwohl oft versucht - "schwer zu übersetzen". Darum reden die Deutschen in Berlin eben Englisch mit all den "Witzen, den Späßen, den Reimen und der unterschwelligen Sexyness, die nur so funktionieren". Bei einem Musical, das so bekannte Vorlagen hat und das jedes Jahr auf einem anderen Sommerfestival inszeniert wird, habe er allein das Ur-Material neu erarbeitet. "Sonst kopiert man entweder, oder man überreagiert: Nein, das darfst du nicht machen, oder: Das haben die anderen doch schon so gemacht." Littler, der im Londoner Westend das Jermyn Street Theatre betreibt, hat den Stoff reduziert auf einen Haufen nicht näher bestimmte Passagiere an einem verlassenen Bahnhof. Während sie an einem Waggon warten, beginnt der Emcee, die Leute zu unterhalten. Er beginnt seine Geschichte zu erzählen, alle spielen mit, Gegenstände wie Aktentaschen und eine Schubkarre werden zu Requisiten, um das glamouröse Berliner Nachtleben nachzustellen, man jongliert mit Geldbündeln, tanzt lasziv in Strapsen und vergisst die Gleise. Eine große Metapher auf die dunkle Hintergrundstrahlung der Weimarer Ära - die düstere zweite Hälfte, die im Film vergessene Liebesgeschichte des alten jüdischen Paares Herr Schulz und Fräulein Schneider und der ominöse Bahnwaggon zeigen, worum es eigentlich geht: Während das Volk sich vom Nachkriegselend feiernd ablenkt, greift Hitler nach der Macht und stellt die Weichen für den Holocaust. "Wir mussten das Stück nicht aktualisieren", sagt Littler, die Parallelen zur erstarkten Rechten in der Gegenwart seien "schmerzhaft offensichtlich". Im Grund sei das Stück aber eine Feier des Lebens, so Tom Littler, das erwarte das Publikum auch. Und das Publikum verlangt auch nach den Hits: "Money, Money", "Mein Herr" oder "Maybe This Time". Dass die im Original-Musical gar nicht auftauchen, sondern von Kander & Ebb für den Film geschrieben wurden, sei "kein Problem", erklärt der Regisseur: "Die Urheberrechte lassen einem bei ,Cabaret' viel Freiheit."

Das Publikum bekommt, was es will. Und das ist vor allem eine starke Sally Bowles. Die junge Helen Reuben hat schon in Frankfurt und beim Ball die Minnelli vergessen lassen, erinnert eher an die seelenvolle Judy Dench vom Westend. Wenn sie "Mein Herr" singt, dann nicht wie üblich als Amüsiernummer im Club, sondern in der Garderobe, nachdem sie gefeuert wurde. Sie singt das für sich, wie sie sich die Rache an den groben Männern ausmalt, und nicht, um irgendwelche Leute zu unterhalten. Manchmal ist es gut, sich von den Vorbildern zu lösen.

Cabaret ; Premiere am Samstag, 16. März, 19.30 Uhr, Deutsches Theater, Schwanthalerstr. 13, bis 30. März

© SZ vom 15.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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