Museum für die Zwanziger Jahre in Berlin:Hommage an die Lebensgier

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Mit Plattencovern wie diesem will Frank Thomsen an goldene Zeiten in Berlin erinnern - vor allem an schwungvolle Musik und gewitzte Texte von damals. (Foto: Kakadu e.V.)

Filmstars, Wirtschaftsbosse und Unterwelt trafen sich einst im "Kakadu" am Kudamm. Nach dem Vorbild der legendären Bar plant ein Düsseldorfer in Berlin ein Zwanziger-Jahre-Museum - inklusive Fünf-Uhr-Tanztee.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Es muss eine wilde Zeit gewesen sein: Frauen schnitten sich die alten Zöpfe ab, rauchten extralange Zigaretten, tanzten Charleston, bis auch ihre Absätze rauchten, und trugen kürzere Kleider als je zuvor, außerdem natürlich Bubikopf. Frank Thomsen hat viele Bilder von damals im Kopf, die passenden Illustrationen dazu sammelt er aus alten Notenbüchern, vergrößert sie und verkauft sie auf dem Berliner Weihnachtsmarkt.

Auf diesen Plakaten mit Schönheiten in überdimensionierten Champagnergläsern kann man erkennen, woher etwa eine Dita von Teese ihre Inspiration bezieht: aus den Roaring Twenties, den Goldenen Zwanzigern, und ihrer rauschenden Lebenslust. Der Unterschied zu heute: Es war frivol, aber weniger offensiv. Diese feine, aber bedeutsame Differenz will Thomsen, Unternehmer aus Düsseldorf, den Berlinern wieder nahebringen - in einem Zwanziger-Jahre-Museum.

Die Goldenen Zwanziger, ein Tanz auf dem Vulkan

Die Zwanziger, sie waren wirtschaftlich nicht so golden, wie es oft heißt. Gerade in Berlin ging es den meisten Menschen finanziell nicht besonders gut. Doch die Vitalität der Stadt war ungebrochen: Es war ein Tanz auf dem Vulkan, zwischen den beiden Weltkriegen, und mittendrin die Weltwirtschaftskrise. Niemand wusste, ob er das alles überleben würde - aber die Lebensgier war umso größer. In dieser Zeit erblühten Kunst, Musik, Literatur und Architektur. Daran will Thomsen, 70 Jahre alt, erinnern.

Er besitzt 5000 Schellackplatten aus dieser Zeit, schart Sammler um sich, die auf der ganzen Welt nach der Musik der Zwanziger Jahre suchen. Feinsinnig und witzig sei die gewesen, schwärmt Thomsen. Evergreens wie "Ausgerechnet Bananen" und "Veronika, der Lenz ist da" sind auch heute noch ein Begriff - doch viel Liedgut ging verloren, wurde von den Nazis verboten oder zerstört. "Viele der Komponisten waren Juden, die plötzlich fliehen mussten", sagt Thomsen. Auch ihr Andenken will er erhalten.

Zum Beispiel das von Friedrich Hollaender, der die Berliner Kulturszene damals prägte. Mit Kurt Tucholsky und Joachim Ringelnatz eröffnete er ein Kabarett, mit dem Tingel-Tangel-Theater schuf er seine eigene Bühne und für den Film "Der blaue Engel" schrieb er Marlene Dietrich das Lied "Von Kopf bis Fuß" auf den Leib. 1933 musste der jüdische Hollaender Deutschland verlassen. Nur zwei Jahre, nachdem er sich noch öffentlich über Antisemitismus lustig gemacht hatte, unter anderem mit dem Kabarettsong "An allem sind die Juden schuld".

Thomsen hat Werke von ihnen allen gesammelt, von den Berliner Kleinkunstakteuren wie auch von internationalen Stars, die am Berliner Broadway gastierten oder groß wurden. Wie die Österreicherin Greta Keller, die die große Dietrich erst zu ihrer rauen Flüsterstimme inspiriert haben soll.

Was Thomsen plant, ist weniger ein klassisches Museum als eine Art Erlebnis-Café. Schon der Name seines Vereins, "Kakadu e. V.", erinnert an eine Bar, die in den Zwanziger Jahren eine große Nummer war: das Kakadu am Kudamm. Dort traf sich eine vogelwilde Mischung aus Künstlern, Filmstars, Wirtschaftsbossen und Unterwelt; Heinrich Mann soll hier seine zweite Frau kennengelernt haben. Thomsen hat Bilder von damals und die alten Architekturpläne, er würde seine Begegnungsstätte nach diesen Plänen gestalten.

Alte Grammophone sollen die Musik der Zeit erlebbar machen, auch ein Tanztee gehört zu Thomsens Traum. "Diesen Fünf-Uhr-Tee gab es damals in jedem größeren Hotel", erzählt er, aber davon wüsste man heute kaum noch etwas.

Berlin swingt: Original-Illustration aus den 20er Jahren. Thomsen sagt: "Ich habe kistenweise traumhaft schöne Motive." (Foto: Kakadu e.V.)

Revival des Tanztees

Ein paar Berliner Nachtclubs erinnern heute an die Zwanziger Jahre. Es gibt Bücher und Stadtführungen zum Thema, in Museen werden verschiedene Kulturleistungen aus dieser Zeit gewürdigt. Doch das passiert alles nur ausschnittweise. Ein Museum der Zwanziger Jahre hat hier noch niemand eröffnet.

Derzeit sucht Thomsen noch nach dem nötigen Finanzier und einem passenden Gastronom für sein Projekt. Demnächst ist der ehemalige Textilproduzent, der wegen seines Ansinnens im Deutschlandradio schon als "swingender Salonlöwe" bezeichnet wurde, wieder auf dem nostalgischen Weihnachtsmarkt in Berlin. Auf dem Schlossplatz verkauft er seine auf CD überspielten alten Schellack-Träume. Ganz ohne Knistern und Knacken übrigens - so viel Nostalgie müsse dann doch nicht sein.

Hoffnung könnte Thomsen geben, dass er sich in einer Sache irrt: Das legendäre Luxushotel Adlon bittet inzwischen wieder zum Tanztee. Wo einst Josephine Baker und Anna Pawlowa verkehrten, soll der Berliner wieder das Glittern goldener Zeiten spüren. Das könnte angesichts der sozialen Schwierigkeiten Berlins auch wieder einem Tanz auf dem Vulkan ähneln.

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