100 Jahre Museum Folkwang:Die Parallelaktion

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Das Museum Folkwang in Essen feiert sein hundertjähriges Bestehen mit einer opulenten Schau, die zwei bedeutende Sammlungen impressionistischer Kunst erstmals zusammen präsentiert.

Von Alexander Menden

Alle Paraphernalien des westlichen Gentleman bot Kōjirō Matsukata auf: Im braunen, dreiteiligen Anzug, mit Stehkragen, Schlips und Pfeife posierte er 1916 für seinen Freund, den walisischen Künstler Frank Brangwyn. Die Botschaft ist klar, hier signalisiert jemand seine Vorliebe für westliche Kultur. Bereits 13 Jahre zuvor hatte sich Karl Ernst Osthaus von der Frühmodernistin Ida Gerhardi porträtieren lassen, die wie er aus dem südwestfälischen Hagen stammte. In Frack und seidener Weste steht der Bankierssohn in seinem Arbeitszimmer. Das griechische Väschen vor ihm auf dem Tisch, die Bücher, die kleinen Gemälde, mit denen er sich hier umgibt, sie alle deuten die Hauptinteressen dieses schwerreichen Kunsthistorikers an.

Derzeit hängen beide Porträts nebeneinander im ersten Saal der Ausstellung "Renoir, Monet, Gaugin. Bilder einer fließenden Welt", die den Auftakt der Feierlichkeiten zum hundertjährigen Bestehen des Folkwang-Museums in Essen bildet. Eine angemessen gigantische Schau mit 120 Gemälden, Plastiken, japanischen Drucken sowie eigens in Auftrag gegebenen zeitgenössischen Installationen zu Beginn des Jubiläumsjahres. Und eine angemessene, wenn auch temporäre Nachbarschaft zweier bedeutender, einander über alle kulturellen Grenzen hinweg verblüffend ähnlicher Mäzene.

Beide hatten Geld im Überfluss, beide wollten es in neue Kunst stecken

Im Leben, so könnte man sagen, waren Matsukata und Osthaus wie zwei Schiffe mit ähnlicher Fracht, die auf hoher See aneinander vorbeifuhren. Begegnet sind sich die beiden Sammler nie, gewusst haben sie wohl voneinander. Wie könnte es auch anders sein, wenn man die gleichen hochspezifischen und kostspieligen Interessen pflegt? Matsukata, Jahrgang 1865, war Präsident der Schifffahrtslinie Kawasaki Kisen Kaisha, auf deren Linien der Austausch Japans mit dem Westen vorangetrieben wurde. Die Firma baute zudem selbst Schiffe und Flugzeuge. Osthaus, neun Jahre jünger, feingeistiger Sohn eines Hagener Bankiers und einer Industriellentochter, erbte 1896 Millionen von seinem Großvater, einem Schraubenfabrikanten.

Beide Männer hatten, zumindest zeitweise, Geld im Überfluss. Beide wollten dieses Geld in Kunst stecken, vor allem zeitgenössische, westliche Kunst. Aus Matsukatas Privatsammlung entstand 1959 das National Museum Of Western Art in Tokio. Osthaus sammelte gleich für ein selbstgegründetes Museum, das 1902 in seiner Geburtsstadt Hagen eröffnet wurde. Das Gebäude im Stil der Neo-Renaissance stammte vom Berliner Architekten Carl Gérard, doch mit der Innenausstattung beauftragte Osthaus den Belgier Henry van de Velde. Bis heute, auch ohne die üppige Sammlung, vermittelt das, was von dessen zwischen Jugendstil und Art Nouveau oszillierendem Interieur übrig geblieben ist, einen Eindruck unvergleichlicher ästhetischer Geschlossenheit.

Das Museum Folkwang, das an diesem Wochenende bei einem Festakt mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Jubiläumsfeierlichkeiten einläutete, ist ja erst die zweite Station der Sammlung, die Osthaus mithilfe seines Erbes zusammenzutragen begann. Der Bau am Essener Museumsplatz, 2010 durch David Chipperfield erweitert, heißt zwar (fast) genauso wie das ursprüngliche Haus in Hagen. Doch beim heutigen Osthaus-Museum handelte es sich um das eigentliche Folkwang-Museum. Die Sammlung gelangte erst 1922 an ihren heutigen Standort, nachdem Osthaus im Jahr zuvor mit nur 46 Jahren gestorben war. Damals verkauften die Erben alles, einschließlich der Rechte an der Bezeichnung "Folkwang", an die Stadt Essen und den dortigen Museumsverein.

"Fólkvangar" hieß in der altnordischen Mythologie der Palast der Göttin Freya, deren Privileg es war, dort die Hälfte der in der Schlacht getöteten Helden aufzunehmen (Odin nahm die andere Hälfte mit nach Walhalla). Osthaus sah in Fólkvangar aber vor allem eine Halle für das Volk. Er stand in der Tradition von Museums-Reformern wie Alfred Lichtwark, der eine Entmystifizierung von Kunst und eine möglichst große Reichweite von Museen in die Bevölkerung hinein anstrebte. Das, was heute als "kulturelle Teilhabe" Ziel aller Museumspädagogik ist, war bereits der Kern des Folkwang-Gedankens. Dass es dieses Ziel mit den Arbeiten zeitgenössischer Künstler verfolgte, macht das Hagener Haus zum ersten weltweit, das neben naturkundlichen, antiken und kunstgewerblichen Objekten auch auf Moderne Kunst ausgerichtet war.

Die Jubiläumsausstellung in Essen zeigt nicht nur Arbeiten der drei Künstler im Titel, sondern auch die vieler anderer, ebenso bedeutender, wie Corot, Courbet, van Gogh, Pissarro, Signac. Sie hat in dieser Opulenz das Zeug zum Blockbuster. Zugleich erzählt sie die Geschichte zweier parallel entstandener, aus einem ähnlichen Geist erwachsener Sammlungen, einer japanischen und einer deutschen, und führt sie erstmals an einem Ort zusammen.

Dabei gelingt den Kuratorinnen der Spagat, eine reichhaltige Auswahl komplementärer Arbeiten aus beiden Kollektionen zu präsentieren und den Besuchern zugleich immer auch den komplexen kunst- und sammlungshistorischen Kontext nahezubringen. Die Essener Schau versucht unter anderem, die Auswahl des "Großen Bildersaals" im Hagener Museum teilweise nachzuvollziehen. Zunächst noch durchmischt mit Historien- und Landschaftsgemälden der Düsseldorfer Malerschule, war dieser Raum im Obergeschoss zum Schluss ganz den Franzosen gewidmet. Paul Signacs "Der Hafen von Saint-Tropez" (1901/02) hing dort, wurde 1971 mit anderen Werken getauscht und ist heute in der Sammlung des National Museum of Western Art in Tokio. Nun kehrt es erstmals, zeitweise, nach Deutschland zurück.

Sie besuchten dieselben Galerien und arbeiteten mit denselben Künstlern

Osthaus und Matsukata frequentierten dieselben Galerien und arbeiteten mit denselben Händlern und Künstlern. Während Osthaus allerdings kontinuierlich von 1898 bis zu seinem Tod im Jahre 1921 sammelte, begann Matsukata mit seinen Ankäufen erst 1916, bei einem Besuch in London. Von da an verfolgte er eine geradezu frenetische Akquise-Strategie. Frank Brangwyn, der ihn so westlich porträtiert hatte, vertraute der Sammler als Agent. Van de Velde spielte bei den kuratorischen Entscheidungen von Osthaus eine ähnlich zentrale Rolle, zum Beispiel beim Ankauf von "Die Ernte, Kornfeld mit Schnitter" (1889) im Hagener Folkwang-Gründungsjahr 1902. Es war das erste Gemälde Vincent van Goghs überhaupt, das in eine deutsche Sammlung gelangte.

14 Jahre später besuchten Kōjirō Matsukata und sein walisischer Berater zunächst in London zahlreiche Galerien und erstanden zwischen 1916 und 1918 rund 1000 Kunstwerke vor allem britischer Provenienz. Mit Hilfe von Léonce Bénédite, Direktor des gerade im Entstehen begriffenen Pariser Musée Rodin, begann Matsukata, Rodin-Skulpturen anzukaufen. Den klein- und großformatigen Plastiken, die im Umfeld zu Rodins zentralem Werk "Das Höllentor" entstanden, ist in Essen ein eigener Raum gewidmet. Karl Ernst Osthaus hatte bereits 1903 mit "Das eherne Zeitalter" und "Eva" zwei wichtige Rodin-Skulpturen erworben.

Für Matsukata brach eine Phase an, in der er seinen Fokus auf den französischen Impressionismus richtete. Hier zeigte sich auch seine zeitweise überlegene Kaufkraft: Nicht nur traf er den damals bereits 80-jährigen Claude Monet im Jahr 1921, Osthaus' Todesjahr, gleich zweimal. Er kaufte auch 34 von dessen Gemälden, was Osthaus stets verwehrt geblieben war. Nun sind in Essen unter anderem wunderbare Arbeiten wie das ätherische Winterbild "Schnee in Argenteuil" (1875) und das sommerliche "Auf dem Boot" (1887) zu sehen. Diese Werke fügen sich nahtlos an die beiden erstklassigen Monets, darunter ein später Seerosenteich von 1916, die das Essener Museum erst in den Sechziger- und Siebzigerjahren ankaufen konnte.

Osthaus konnte dafür an seiner Auswahl japanischer Ukiyo-e-Holzschnitte festhalten. Matsukata, der einmal rund 8000 dieser traditionellen "Bilder einer fließenden Welt" (so die Übersetzung des Begriffs) besessen hatte, musste sie, in finanzielle Schwierigkeiten geraten, wieder verkaufen. Sein Wunsch, sie gemeinsam mit den europäischen Impressionisten zu zeigen, ging nie in Erfüllung.

Diese Holzschnitte, heute im Tokioter Nationalmuseum, durften das Land aufgrund ihrer nationalen Bedeutung nicht verlassen. Aber immerhin sind jene aus Osthaus' Sammlung zu sehen - im selben Raum wie Matsukatas Monets. Es ist eine würdige, gleichermaßen qualitätsvolle wie historisch dichte Schau. Und sie entspricht ganz und gar dem Gedanken von Karl Ernst Osthaus, der befand: "Je mehr Menschen an der Kunst teilhaben, desto höher steht die Gemeinschaft. Sozial ist es, diesen Zustand anzustreben."

Renoir, Monet, Gaugin. Bilder einer fließenden Welt. Museum Folkwang, Essen . Bis 15 Mai. Der Katalog kostet 42,80 Euro.

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