Münchner Kammerspiele:Rosenheim Cops in Buenos Aires

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Die Münchner Kammerspielen servieren mit der argentinischen Koproduktion "Los Años" leider nur freundliches Vorabendtheater.

Von Christiane Lutz

Die Zukunft war früher auch besser, sagt der berühmte Philosoph Karl Valentin. An diesem Abend in den Münchner Kammerspielen ist dann auch gar nichts gut, die dort erzählte Zukunft auf der rechten Bühnenseite hat sich gegenüber der Vergangenheit auf der linken Bühnenseite nicht im Geringsten verbessert. Die Menschen essen in dieser Zukunft nur noch Fleisch ("Seit man rausgefunden hat, wie schädlich Gemüse ist"), und die Bürger gehen auf die Jagd, weil die Rehe nach jahrzehntelanger Öko-Regierung die Städte bevölkern. Dokumentarfilmer Manuel ist noch genauso getrieben und genauso abwesend im Leben der Menschen, die ihn lieben, damals wie heute.

"Los Años", also "Die Jahre", heißt die zweite Premiere der Spielzeit der Kammerspiele, es ist eine Koproduktion mit der Ruhrtriennale, dem HAU in Berlin, dem Künstlerhaus Mousonturm und dem Complejo Teatral de Buenos Aires, mitfinanziert vom Goethe Institut. Text und Regie kommen von dem renommierten argentinischen Künstler Mariano Pensotti, ein Projekt der von ihm gegründeten "Grupo Marea". Was erstmal eindrucksvoll klingt, ist im Ergebnis allerdings irritierend einfältig. So einfältig, dass man sich während der gesamten Vorstellung kritisch befragt, wo man gerade eine Metaebene übersieht. Und zugleich wartet, ob nicht gleich der Aha-Moment einschlägt, der die Inszenierung zu etwas mehr als einer netten, gut gemachten Vorabendsendung erhebt. Allein: Der kommt nicht.

Pensotti erzählt die Geschichte von Manuel (Paco Gorriz), aus der Perspektive von dessen Tochter Teodora (Bárbara Masso). Der als Gegenwart benannte Zeitpunkt ist hier das Jahr 2050, von dort aus wird zurückgeblickt auf die Vergangenheit, das Jahr 2020. Die Bühne (Mariana Tirantte) ist ein schickes, zweistöckiges, zweigeteiltes Haus, mit fast identisch eingerichteten Zimmern links und rechts, auf einer Seite ist 2020, auf der anderen 30 Jahre später.

Manuel interessiert sich mehr für das fremde Kind als für sein eigenes

Manuel, das erfährt man 2050, hat einen sehr erfolgreichen Dokumentarfilm gedreht, der ihn bis heute verfolgt. In den Straßen von Buenos Aires trifft er 2020 einen elternlosen Jungen, Raúl, er filmt ihn, wird zu einer Art Vaterfigur für ihn. Obwohl Manuel eine real schwangere Frau hat, scheint er sich mehr für die fiktive Vaterschaft zu Raúl zu interessieren. "Mir kommen die Tränen, wenn ich ein schönes Gemälde sehe, jedoch nicht, wenn ich meine Kinder sehe. Das heißt nicht, dass ich sie nicht liebe, es bedeutet nur, dass der Sinn, den sie schenken, kein Leben ausfüllen kann", zitiert er "diesen Norweger", der sein ganzes Leben aufschreibt, Karl Ove Knausgård, eigentlich aber, das wird klar, zitiert er sich.

So besessen er 2020 von dem Jungen ist, 2050 hat Manuel den Kontakt zu seinem Protagonisten Raúl verloren, was sein Interesse an dem Jungen nachträglich unglaubwürdig macht. Wie konnte das passieren, wo Raúl doch seinen Erfolg als Regisseur begründet und er sich verantwortlich für ihn gefühlt hat? Für einen neuen Film will er Raúl nun wiederfinden.

Die Inszenierung verwässert alles Interessante in heiterem Geplapper

Flink wechselt die Geschichte zwischen den Jahren, 2050-Manuel hat zwar eine neue Frau, macht aber die gleichen Witze wie 2020-Manuel, ein paar Dinge scheint er aus Trendgründen ("Gemüse!") anders zu sehen als früher. Möglich, dass Mariano Pensotti hier das Gefangensein im eigenen Ich zeigen will, die Schwierigkeit, sich selbst und seinen Dämonen zu entkommen. Die Verliebtheit in die Fiktion, die oft besser ist als die Realität. Als sich der echte Raúl nicht finden lässt, soll ihn einfach der Freund der Tochter spielen. Manuel will sich sein eigenes Happy End schaffen. Nur bleibt die Inszenierung zu vage, geht diesem psychologischen Pfad nicht nach, Manuels Besessenheit von dem Jungen vermittelt sich nur als heiter-harmloses Spiel. Am Ende ist nicht klar, was mit Raúl passiert ist, und das findet auch niemand weiter tragisch.

Möglich auch, dass Pensotti die Geschichte der Emanzipation einer Tochter von ihrem immer abwesenden Vater erzählen wollte, wo er Teodora schon zu einer auktorialen Erzählerin macht, die stets zum Publikum spricht. Doch auch diese Idee ist höchstens angerissen und verwässert im naturalistischen Geplapper bei der immergleichen, durchaus freundlichen Temperatur des Abends. Pianist Diego Vainer liefert den ebenso freundlichen wie egalen Soundtrack zum Spiel. Knappe zwei Stunden gleitet "Los Años" als Füße-hoch-jetzt-ist-Feierabend-Theater dahin, ohne jegliche Forderung, Dringlichkeit, sogar ohne jegliche Überraschung. Erwartbar wie die "Rosenheim Cops" am frühen Abend. Wobei, selbst da wummst es hin und wieder.

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