München:Walzertakt und Trommelwirbel

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Der erste Abend von "Klassik am Odeonsplatz"

Von Barbara Doll, München

Vor Beginn huscht Martin Grubinger noch schnell in FC-Bayern-Trainingsjacke auf die Feldherrnhalle und checkt seine Schlaginstrumente. Den meisten Besuchern am ersten Abend von "Klassik am Odeonsplatz" gefällt die offensichtliche München-Identifikation des österreichischen Multi-Percussionisten. Grubinger springt beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks für den Pianisten Lang Lang ein, der wegen einer Verletzung absagen musste, und obwohl er nicht Klavier spielt, ist Grubinger der richtige Ersatz: Wie bei Lang Lang geht's bei ihm um Virtuosität, um halsbrecherische Artistik.

Allein die Stückauswahl - Rachmaninows erstes Klavierkonzert - hätte sich hinsichtlich thematischer Substanz und, nunja, Eingängigkeit besser für den Freiluft-Anlass geeignet. Grubinger und das BR-Symphonieorchester unter Manfred Honeck spielen vier Sätze aus drei verschiedenen Schlagzeugkonzerten. "Summer", der erste Satz aus Tan Duns Konzert "The Tears of Nature", kulminiert in einem unaufhaltsamen, archaischen Ostinato mit Pauken und japanischen Trommeln und erinnert tatsächlich an ein Erdbeben. Nach dem etwas blassen zweiten Satz aus John Coriglianos "Conjurer" zeigt Grubinger in den beiden Sätzen aus Bruno Hartls Schlagzeugkonzert, was für ein Irrsinnsvirtuose er ist: Die Rhythmen sind schier unspielbar, er muss zwischen Marimbaphon und diversen anderen Schlaginstrumenten hin und her fetzen, Holz- und Blechbläser dialogisieren freudig mit dem Solisten, der auf dem Bühnenareal der Feldherrnhalle wie ein besessener Animateur von Orchester und Publikum wirkt.

All das ist lustig anzuschauen - vor allem auf der Leinwand-Vergrößerung - und kurzweilig anzuhören. Trotzdem: Richtig kuschlig wird es erst in der zweiten Hälfte, als langsam der Nachthimmel über dem Odeonsplatz aufzieht, die Feldherrnhalle in tropischem Sonnenuntergangsrot erstrahlt und das BR-Symphonieorchester den Walzer "Hereinspaziert!" von Carl Michael Ziehrer spielt. Unter dem lässigen und souveränen Dirigat von Manfred Honeck blühen die Musiker walzerselig auf - mit butterweichen Bögen und wienerischem Charme. Die "Rusalka"-Fantasie aus Dvořáks gleichnamiger Oper, bearbeitet von Manfred Honeck und Tomáš Ille, und Schostakowitschs Suite für Varieté-Orchester krönen diesen sehr stimmigen zweiten Teil. In der herrlich skurrilen Zugabe, Leroy Andersons "Typewriter", tippt Grubinger im Takt mit dem Orchester auf einer alten Schreibmaschine. Freilich verschluckt die Odeonsplatz-Akustik das allzu Feingliedrige - doch die Atmosphäre an Münchens italienischstem Platz ist trotz der kühlen Temperaturen einmalig. Und wann sonst darf man im Konzert Brezen essen und Bier trinken?

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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