München:Streiterin für die Zeitgenossen

Lesezeit: 3 min

Bettina Wagner-Bergelt verlässt das Bayerische Staatsballett

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Es ließ sich von vorn herein nicht gut an. Er: Sie will dauernd mit mir reden. Dazu habe ich keine Zeit. Sie: Er redet nicht mit mir. Nein, das hier ist keine Szene beim Paartherapeuten, sondern es geht um grundsätzliche Unvereinbarkeiten auf einer Chefetage, nämlich der des Bayerischen Staatsballetts. Es war schnell klar, dass Ballettchef Igor Zelensky und seine offizielle Stellvertreterin Bettina Wagner-Bergelt nicht die gleiche Sprache sprechen. Und damit ist nicht Russisch und Deutsch gemeint. Nun hat man sich endgültig getrennt. Wagner-Bergelt bewahrt Stillschweigen darüber, unter welchen Konditionen sie ihren Posten nach 27 Jahren am Haus geräumt hat. Sie war ja längst schon unkündbar. Diese arbeitsrechtliche Klausel greift nach 15 Jahren. Zelensky ist sie grundsätzlich ein Dorn im Auge, da sie ihn gelegentlich einbremst.

Gemeinhin werden bei freiwilligem Ausscheiden Abfindungen ausgehandelt. Wie das im Falle Wagner-Bergelt gehandhabt wurde, darüber kann man nun spekulieren. Was nichts daran ändert, dass derlei Trennungen mit erheblichen, meist einseitigen Blessuren verbunden sind. Zelensky war immerhin fair genug, Bettina Wagner-Bergelt zu konzedieren, dass sie eigentlich ein eigenes Haus verdient habe. Das hat man ihr bisher offenbar nicht angetragen. Man wird ihr vermutlich eher als Projektkuratorin wiederbegegnen, und das nicht zwingend im Bereich Tanz. 2019 steht das hundertjährige Bauhaus-Jubiläum an. Man kann sich vorstellen, dass sie da eventuell mitmischen könnte. Denn die Moderne, das ist ja ihr Feld.

Bettina Wagner-Bergelt lässt hinter sich, was sie mit Kenntnis und Leidenschaft aufgebaut und betrieben hat, engagiert von Konstanze Vernon, die sie im Januar 1990 ans noch junge Staatsballett holte. Ihre Aufgabe: der kontinuierliche Aufbau eines zeitgenössischen Repertoires an einer weitgehend klassisch orientierten Kompanie, was sie in der Ära Ivan Liška zu deutschlandweit einzigartiger Blüte brachte. Sie hat neue Wege beschritten, das sogenannte Campus-Projekt gegründet, Tanz an die Schulen gebracht. Durch "Anna tanzt!" und später "Heinrich tanzt!" (benannt nach den jeweiligen Gymnasien) gewann sie - eine herkulische Tat - eigentlich rein sportaffine Jungen für den Tanz.

"Heinrich tanzt!" wird es nicht mehr geben, auch wenn das Campus-Projekt nach wie vor gelistet ist in der Vorschau des Bayerischen Staatsballetts auf die Spielzeit 2017/ 18. Bei aufmerksamer Lektüre derselben wird man nicht nur Bettina Wagner-Bergelts Namen vermissen. Susanne Ullmann, zuständig für Presse und dann Marketing im Staatsballett, trifft man künftig im Theater am Gärtnerplatz wieder. Verwaltungsdirektor Timo Niebsch ist ans Kultusministerium zurückgekehrt. Des weiteren ist seit längerem bekannt, dass 18 Tänzerinnen und Tänzer zum Ende der Spielzeit die Kompanie verlassen haben, deren Stellen bereits neu besetzt sind.

Damit ist Zelenskys drakonisches Revirement ein Jahr nach seinem Amtsantritt wohl abgeschlossen. Das Fazit: ein für die ersten beiden Spielzeiten streng klassisch orientiertes Repertoire, das eine optimale Platzausnutzung garantiert. Eine in denkbar kürzester Zeit, mit eiserner Knute, so heißt es, hochtrainierte Kompanie, die mit Traditionsballettkompanien nicht nur in den GUS-Staaten konkurrieren kann. Andererseits hat Zelensky die Dramaturgenetage leer gefegt, was ihn möglicherweise nicht sonderlich anficht, weil er dem urdeutschen Phänomen Dramaturg zuvor weder in Russland noch in New York oder London begegnet war. Aber wer wird sie nun konzipieren und schreiben, die qualifizierten Programmhefte? Wer richtungsweisende Programmpolitik betreiben, wie Bettina Wagner-Bergelt es tat?

Die feinen Manieren, die der Ballettchef nach außen hin an den Tag legt, gelten nicht für den internen Umgang, sagt man hinter vorgehaltener Hand. Zelensky selbst macht keinen Hehl daraus, dass er niemanden neben sich duldet. Großgeworden in einem autoritären System alter russischer Schule und erbarmungslosen Konkurrenzdenkens, ist er, auf die 50 zusteuernd, zum Autokraten reinsten Wassers, allerdings mit nur scheinbar unerschütterlichem Selbstbewusstsein, gereift.

Das verträgt sich nicht mit Menschen, die im System seines Vorgängers Ivan Liška Eigenverantwortung im Team leben konnten. Wagner-Bergelt war tragende Säule dieses Teams. Im Dreiergespann mit Liška und dem aufs klassische Ballett spezialisierten Wolfgang Oberender kultivierte sie, oft temperamentvoll, Streitkultur, getragen von gegenseitigem Respekt, auf höchster Ebene mit bemerkenswerter künstlerischer Ausbeute. Der Name Bettina Wagner-Bergelt stand dafür. Sie geht - und ist kein bisschen traurig. Viele andere schon.

© SZ vom 28.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: