Monika Marons Romane sind Modelle der deutschen Wirklichkeit in den Jahren nach der Maueröffnung. Viele ihrer oft polemischen Essays lassen sich als Gradmesser hiesiger und heutiger politischer und gesellschaftlicher Befindlichkeiten hernehmen. Zu ihren poetischen und essayistischen Gegenständen zählen seit einigen Jahren neben der - aus der eigenen DDR-Vergangenheit geschöpften - Wahrnehmung der Verhältnisse in Ostdeutschland zunehmend kritische Einlassungen zur Zuwanderung, zur Genderkultur und zur Integration von Muslimen.
In Marons Erzählungen geht es immer wieder um Figuren, deren Lebensläufe in den Zeiten der DDR beginnen und die mit Schuldverstrickung, Verfolgung und der tiefen Traurigkeit, die aus all diesen Verwerfungen resultiert, kämpfen müssen. Dass sich diese Geschichten über die Schilderung von Einzelschicksalen hinaus auch den Fragen nach gesellschaftlicher Verantwortung aller öffnen, verleiht den Werken Monika Marons eine literarische Brisanz. In ihrem Roman "Zwischenspiel" von 2013 steht der Satz: "Die Sache mit der Schuld ist wie ein Hütchenspiel. Es gewinnt immer, der sie verteilt."
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Die größte Bücherschau der Welt findet in diesem Jahr ohne Publikum statt. Daran, wie es ohne Corona in Frankfurt zugehen könnte, erinnern Bilder von Regina Schmeken.
All diese in der Aufzählung ein bisschen lexikalisch anmutenden Wahrheiten muss man kennen, wenn man verstehen möchte, warum die Entscheidung des S.-Fischer-Verlags, die Zusammenarbeit mit der Autorin Monika Maron zu beenden, von so großem Gewicht ist. Es rumorte schon seit Langem im Verhältnis der Autorin zu ihrem Hausverlag, der seit 38 Jahren Marons Werke verbreitet. Angefangen hat dieses Verhältnis 1981 mit "Flugasche", einem Roman über die Umweltverbrechen in der DDR. Das Buch durfte dort nicht erscheinen, es kam im Westen bei S. Fischer heraus, die Autorin blieb dem Verlag bis heute treu.
Eine Autorin macht sich unbequem und wird vom Verlag aussortiert? Der Verlag sagt klar: "Nein"
Nun wurde das Treueverhältnis, das natürlich in erster Linie ein Geschäftsverhältnis war, einseitig, nämlich vom Verlag, gekündigt. Monika Maron hat selbst in einem Interview mit der Welt am Sonntag zuerst davon berichtet. Was also sind die Gründe für die Kündigung?
Eine Mail-Anfrage der SZ beantwortet Monika Maron wie folgt: "Man hat mir ausrichten lassen, ich sei politisch zu unberechenbar, passe nicht mehr in die Zeit und sei damit ein Risiko für den Verlag." Eine Autorin macht sich unbequem und wird vom Verlag aussortiert? Die direkte Nachfrage bei der Verlagsleiterin von S. Fischer, Siv Bublitz, ergibt dazu "ein klares Nein. Autorinnen und Autoren dürfen und müssen auch provozierend und unberechenbar sein", so schreibt Bublitz.
Es ist evident, dass Monika Maron mit ihren Einlassungen zur Integration und Zuwanderung zu einer auffälligen Autorin geworden ist. "Ja, ich habe Angst vor dem reaktionären, frauenfeindlichen, nach weltlicher Macht strebenden und in unseren Alltag drängenden Islam." So lautet ein Satz aus einem Aufsatz, den Monika Maron vor drei Jahren in der NZZ publiziert hat.
Der Roman "Artur Lanz" wurde von Kritikern als folgerichtige literarische Auswuchtung der rechten Orientierung der Autorin gelesen
Nach und nach ließ Maron ihren gesellschaftspessimistischen Ton dann auch in ihren literarischen Arbeiten anklingen. Im Roman "Munin oder Chaos im Kopf" von 2018 knüpft sie mit den Mitteln der Parabel einen aus Finsternis gewebten Motivteppich mit Figuren, so lautete der doch sehr allgemeine Vorwurf, aus dem Arsenal der Pegidagänger. Die Rede ist von "Millionen junger Männer, die man zuvor ins Land gelassen hatte", einem "südlichen Typen", der eine Frau vergewaltigt. Teile der deutschen Literaturkritik verweigerten der Schriftstellerin Maron den Kredit, den man sonst Schriftstellern gerne zusteht: dass ihr literarisches Schreiben ein Spiel mit Metaphorik und Figurencamouflage ist.
In diesem Jahr erschien "Artur Lanz", nun, wie es aussieht, Marons letzter bei S. Fischer publizierter Roman. Der wurde von Kritikern als folgerichtige literarische Auswuchtung der rechten Orientierung Marons gelesen. Alle im Roman eingesetzten Figuren richteten sich in der Rezeption gegen die Autorin selbst. Die sieht sich in der neuerlichen Situation bestätigt.
Der SZ schreibt sie: "Eigentlich hat mich der Verlag vor eine Situation gestellt, wie ich sie in ,Artur Lanz' beschreibe: Halte ich zu einem Freund, auch wenn ich meine, dass er einen Fehler gemacht hat und verteidige ich sein Recht, seine Meinung zu äußern oder nicht." Konkreter, auf den Rauswurf abzielend: "Bis vor zwei Jahren habe ich S. Fischer als einen sehr toleranten Verlag erfahren, dem es ein Anliegen war, das Meinungsspektrum seiner Autoren und damit auch der Gesellschaft abzubilden. Da hat sich offensichtlich etwas verändert."
"Wenn es Kontroverses oder Provozierendes gibt, dann wird diskutiert oder auch gestritten", heißt es vom Verlag
Hat es sich so verändert, dass die Äußerungen einer Autorin zum Anlass einer Kündigung werden? Verlagschefin Siv Bublitz setzt als Antwort "noch einmal ein klares Nein. Wir haben sehr unterschiedliche Positionen im Verlagsprogramm zu politischen und gesellschaftlichen (und vielen weiteren) Fragen. Ein gutes Verlagsprogramm braucht diese Vielfalt. Wenn es Kontroverses oder Provozierendes gibt, dann wird diskutiert oder auch gestritten. Doch das kann nie ein Grund sein, sich von einer Autorin zu trennen."
Wo ist bitte dann der Grund für den Bruch zwischen S. Fischer und seiner Autorin zu finden?
Im März dieses Jahres hat Monika Maron einen Essayband im Buchhaus Loschwitz veröffentlicht. Der kleine Dresdner Verlag gilt vielen Kritikern als eine Art verfeinerte Astgabel der treudeutschen Eiche Schnellroda, wo der rechtsextreme Verleger Götz Kubitschek seinen Antaios-Verlag betreibt. Die Buchhändlerin Susanne Dagen, zu deren Leseabenden sich bis vor ein paar Jahren viele wichtige Schriftsteller einladen ließen, gilt inzwischen als pegidafiziert und hat sich in ein selbsternanntes "Exil" zurückgezogen - und so heißt auch die Schriftenreihe "Exil", in der Marons Essayband erschienen ist.
Natürlich sei ihr das von S. Fischer vorgeworfen worden, schreibt Maron. "Wobei meine Erklärungen zu der Angelegenheit auf wenig Verständnis trafen." In der Causa Susanne Dagen scheiden sich inzwischen die Geister der Literaturszene. Es gibt etliche, die sich scheuen, dem Dunstkreis der Buchhandlung zugerechnet zu werden. Andere wiederum, darunter auch Monika Maron, fühlen sich Dagen weiterhin verbunden
In der Ankündigung für das Frühjahrsprogramm bei S. Fischer findet sich nun doch ein Band mit Essays von Maron
Monika Maron schreibt: "Susanne Dagen ist eine Buchhändlerin und Freundin, die sich seit mehr als zwanzig Jahren für mein Werk engagiert. Vor einem Jahr hat sie mich gefragt, ob ich in ihrer Edition ein Bändchen mit Essays veröffentlichen würde. Zuvor hatte der Fischerverlag meine Bitte, zu meinem 80. Geburtstag ein Band mit Essays zu veröffentlichen, abgeschlagen. Ich sah also keinen Grund, Susanne Dagens Angebot abzulehnen."
Sieht man bei S. Fischer darin einen hinreichenden Grund, weitere Angebote der Autorin Monika Maron abzulehnen? Die Stellungnahme der Verlegerin: "Ein klares Ja. Besonders problematisch ist für uns das Umfeld des Antaios Verlages, mit dem das Buchhaus Loschwitz kooperiert. Zu dessen Programm gehören zahlreiche Bücher, die völkisch-rassistische Positionen vertreten. Mit völkischen und rassistischen Diskursen will der S. Fischer Verlag nicht assoziiert werden, auch nicht mittelbar. Die Diktatur des Nationalsozialismus hat die Geschichte und Tradition unseres Hauses geprägt. Dieses Geschichtsbewusstsein leitet uns in unserer verlegerischen Arbeit bis heute." Hat der Verlag seine Autorin mit den Bedenken bekannt gemacht? Bublitz: "Leider scheiterte das Gespräch mit Frau Maron über dieses Thema auf ganzer Linie: Sie empfand unsere Fragen als Zumutung und verbat sich jede Einmischung in ihre Publikationspläne. Wir entschieden dann, keinen Vertrag für ein neues Buch anzubieten."
In der Ankündigung für das Frühjahrsprogramm bei S. Fischer findet sich nun doch ein Band mit Essays von Monika Maron, sein Titel: "Was ist eigentlich los?" Gute Frage. Siv Bublitz schreibt: "Zu ihrem 80. Geburtstag hatten sich Autorin und Agentur einen Essayband gewünscht. Wir sind diesem Wunsch gern gefolgt: Der Band ist bereits in unserer Vorschau angekündigt, die Auswahl der Texte traf Frau Maron mit ihrem Lektor."
Der letzte Band bei Fischer zeigt also noch einmal die Polemikerin Maron, oder? Die Autorin schreibt: "Nach Vermittlung des Agenten hat sich der Verlag bereit erklärt, doch einen Essayband mit alten, schon bei Fischer veröffentlichten Texten zu machen. Allerdings, wie sich später herausstellte, war das offenbar nur ein Manöver, das mich glauben machen sollte, sie würden auch einen nächsten Buchvertrag mit mir machen. Die Verlagsleitung hat dann aber ein ganz und gar unpolitisches Manuskript von mir ungelesen abgelehnt mit der Botschaft: dieses nicht und auch kein anderes. Der Essayband wird nicht bei S. Fischer erscheinen."
Eine traurige, ja tragische Geschichte also. Monika Maron besitzt, wie manche Intellektuelle, die in beiden deutschen Staaten gelebt und Karriere gemacht haben, eine unerschütterliche Treue zur eigenen Überzeugung. Das ist nicht zynisch gemeint, sondern es bezeichnet eine Charaktereigenart, die sich von der Diskurswendigkeit vieler ihrer Kolleginnen und Kollegen unterscheidet. In einer Zeit, da Verlage bei kritisch aufgenommenen Büchern postwendend Erklärungen ihres politischen Harmoniebestrebens abgeben, tritt eine Sturköpfige und Polemikerin wie Monika Maron auf ein Minenfeld.
Andererseits wird ein Verlag wie S. Fischer, dessen Schicksal im Dritten Reich in den erschütternden Tagebüchern des damaligen Lektors Oskar Loerke und in denen des wichtigsten Hausautors Thomas Mann dokumentiert ist, schwerlich anders entscheiden können.
"Ich bin traurig und fassungslos", schreibt Monika Maron, eine der ganz großen deutschsprachigen Schriftstellerinnen: "dass ich mich in einer Situation befinde, in der ich vor vierzig Jahren mit ,Flugasche' schon einmal war. Nur war ich damals eben vierzig Jahre jünger."