Palästinenser:Schmuggel mit Spermien

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Tara Abboud spielt in "Amira" die zentrale Rolle. (Foto: PATRICK BAZ/El Gouna Film Festival)

Mohamed Diab hat mit "Amira" einen Film gedreht, der die arabische Welt in Aufruhr versetzt.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Der Protest ist laut und druckvoll: "Dieser Film ist eine Beleidigung", schimpft der palästinensische Kulturminister Atef Abu Saif. Er beschmutze die Ehre der palästinensischen Häftlinge in den israelischen Gefängnissen, urteilen diverse Aktivistengruppen im Westjordanland. Und aus dem Gazastreifen poltert die Hamas, dass dieser Streifen allein den "zionistischen Besatzern" diene.

Mit seinem neuesten Film "Amira", der im September bei den Filmfestspielen in Venedig Premiere hatte, hat sich der ägyptische Filmemacher Mohamed Diab also eine Menge Ärger eingehandelt. Ein Wunder ist das nicht, denn es geht um: Spermaschmuggel - und das ist in den Palästinensergebieten tatsächlich ein hochheiliges und obendrein höchst politisiertes Thema.

Der Plot dieser jordanisch-ägyptisch-palästinensischen Koproduktion ist schnell erzählt: Titelheldin ist die 17-jährige Palästinenserin Amira, die im Westjordanland im Glauben aufwächst, die Tochter eines als Helden verehrten palästinensischen Gefangenen zu sein. Gezeugt dank künstlicher Befruchtung mit den Samen, die aus einer israelischen Haftanstalt herausgeschmuggelt wurden. Als die Mutter und der zu lebenslanger Haft verurteilte Vater beschließen, auf gleichem Weg noch ein zweites Kind zu zeugen, stellt sich die Unfruchtbarkeit des Mannes heraus. Als Amiras wirklicher Vater wird schließlich ein israelischer Gefängniswärter ermittelt.

Der ägyptische Filemacher Mohamed Diab hat mit seinem Film "Amira" die arabische Welt gegen sich aufgebracht. (Foto: Degun-Paoli/Starface/imago)

Im aufgeheizten nahöstlichen Konfliktklima ist das natürlich alles andere als eine abgedrehte Verwechslungskomödie. Es ist ein Drama, und das beileibe nicht nur für die Protagonisten dieser fiktionalen Geschichte.

Zweifel an der Sperma-Saga sind in den Palästinensergebieten nicht erlaubt

Im wirklichen Leben nämlich wird der Spermaschmuggel aus dem Gefängnis von der palästinensischen Propaganda gern als Heldensaga inszeniert. Den Gefangenen ist kein direkter Kontakt mit Besuchern erlaubt, ihre Frauen sehen sie höchstens durch Glasscheiben. Wenn dann trotzdem mit Finesse Babys geboren werden, darf das schon als Sieg über die Besatzer gefeiert werden. "Botschafter der Freiheit" werden solche Kinder genannt.

Mehr als hundert Babys sollen nach palästinensischen Angaben in den vergangenen zehn Jahren im Westjordanland und im Gazastreifen auf diesem Weg auf die Welt gekommen sein. Von israelischer Seite wird das angezweifelt. Schließlich wäre ein solcher Schmuggel eine Schlappe, die auf allzu laxe Kontrollen hinwiese. Doch palästinensische Ärzte schwören Stein und Bein, dass die Spermien nach geheimnisvollem Transport in ihren Kliniken aufbereitet, zwischenzeitlich eingefroren und schließlich zur In-vitro-Fertilisation genutzt werden. Für Frauen von Gefangenen gibt es die künstliche Befruchtung sogar kostenlos.

Zweifel an der Sperma-Saga sind in den Palästinensergebieten nicht erlaubt und werden hochoffiziell als "Fake News" verdammt. Der Film "Amira" mit all seinen Wendungen verstößt also grob gegen den gesellschaftlichen Grundkonsens - doch beabsichtigt war das offenbar nicht. Filmemacher Diab jedenfalls fühlt sich missverstanden und versichert, er habe doch nur den Blick auf die schwierige Situation der Gefangenen und ihrer Familien richten wollen.

Den Aufruhr aber kann er damit nicht mehr eindämmen. In Jordanien hat die Königliche Filmkommission die bereits angekündigte Einreichung von "Amira" für die Oscars 2022 in der Kategorie "Bester ausländischer Film" zurückgezogen. Der palästinensische Kulturminister fordert einen kompletten Boykott des Films.

Zu Wort gemeldet haben sich auch schon Betroffene wie die Palästinenserin Sana Daka, Ehefrau eines Häftlings und Mutter eines auf den Spermaschmuggel zurückgeführten Kindes. Sie zeigte sich bitter verletzt von diesem Film und bot an, statt "Amira" doch besser ihre Geschichte in die Kinos zu bringen. "Aber unglücklicherweise", sagte sie in einem Radiointerview, "will niemand für eine Story bezahlen, die allein die Wahrheit erzählt."

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