"Merida" im Kino:Feuerkopf vor Nebellandschaft

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Pfeil und Bogen sind doch eh besser: Eine junge Schottin wehrt sich gegen die elterlichen Konventionen, will partout nicht heiraten und erst recht keine folgsame Prinzessin werden. "Merida", eine Unbezähmbare aus dem Hause Pixar, die bislang größte Annäherung des Studios an seinen Eigentümer Disney.

David Steinitz

Diese feuerrote Explosion beeindruckt sogar den größten Bären. Wenn Merida Pfeil und Bogen zückt und ihre gewaltige Haarpracht so schwungvoll in den Nacken wirft, dass sie fast die Balance verliert; wenn die schottische Sonne durch ihre Zotteln bricht, als müsse sie von ihr erst das Leuchten lernen; und wenn sie eine Locke aus der Stirn pustet und zielt - dann funkelt eine Entschlossenheit in ihren Augen, wie sie nur aufmüpfige Teenager haben können.

Die schottische Königstochter Merida in einer Szene des Kinofilms "Merida - Legende der Highlands". (Foto: dpa)

Aber nicht nur das: Die Heldin von "Merida - Legende der Highlands" ist auch die erste weibliche Hauptfigur in der siebzehnjährigen Erfolgsgeschichte der Firma Pixar. Brenda Chapman hat sich diese Protagonistin ausgedacht - die erste Frau, die im männlich dominierten Hollywood bei einem Animationsfilm die Regie übernahm, 1998, bei "Der Prinz von Ägypten" aus den Dreamworks-Studios.

Doch ob Mann oder Frau, das ist in der Pixar-Philosophie Nebensache - hier ist man von der Macht des Kollektivs besessen, auch die Regisseure arbeiten in Teams. Ein Filmimperium mit den Vorteilen eines Familienbetriebs, das ist das Leitbild der Firma: Entgegen alter patriarchaler Hollywood-Tradition oder europäischer Autorenfilmer-Ideale sei jeder Mitarbeiter für den Entstehungsprozess gleich wichtig, sagt der Pixar-Chef John Lasseter immer wieder gern. Erfolg durch Gruppenarbeit - nicht umsonst ziert eine Schreibtischlampe das Firmenlogo.

Inhaltlich vertraut "Merida", im sattgrünen Schottland angesiedelt, auf den altkontinentalen Märchenkosmos mit seinen geheimnisvollen Fabelwesen - die bislang größte Annäherung des Studios an seinen Eigentümer Disney und dessen Erzähltraditionen. In den mittelalterlichen Highlands wehrt die junge Merida sich gegen die elterlichen Konventionen, will partout nicht heiraten und erst recht keine folgsame Prinzessin werden. Mit Pfeil und Bogen weiß sie ohnehin besser umzugehen als die hanswurstigen Ehe-Kandidaten, die ihr von der hartnäckigen Mutter präsentiert werden. Ähnlich wie die Disney-Heldinnen der letzten Jahre, im glitzernden New-Orleans-Musical "Küss den Frosch" oder in der Neuauflage von "Rapunzel", muss sie auf sich allein gestellt ihre Tapferkeit beweisen - "Brave" heißt der Film im Original, dessen wunderbares Schottisch in der deutschen Synchronisation natürlich flöten gegangen ist.

Im Gegensatz zu den ausgelaugten Superhelden, die momentan das Kino bevölkern, ist diese Merida keine maskierte Hülle für eherne Ideale, sondern eine eigenständige, ziemlich kratzbürstige und deshalb grundsympathische Figur.

Darüber hinaus wird klassisches Märchenpersonal aktiviert: Als die Zwangsehe droht, büxt Merida von zu Hause aus, ins Dunkel der Wälder, wo ihr leuchtende kleine Waldgeister den Weg zu einem Hexenhäuschen weisen - doch der bestellte Zauber zur Ruhigstellung der unverständigen Mutter erweist sich als tierisch fieser Fluch. Die Märchensagen, sie sind immer sehr nah dran am Horror der deutschen Romantik, die viele ihrer Wesenselemente hervorgebracht hat - Paradebeispiele des Unheimlichen.

Das passt einwandfrei ins Pixar-Universum, wo die Geschichte nie nur reine Comedy ist, sondern immer auch einen doppelten Boden hat, wenn auch nicht ganz so existentialistisch-bedrohlich wie in "Wall-E" oder "Oben". Der große Pixar-Trick ist, dass das Design der animierten Figuren dieses Pendeln zwischen Comedy und Drama aufgreift, in Figurenentwürfen, die halb realistisch und halb als Karikatur ihrer selbst funktionieren.

Das Animationsmeisterstück im aktuellen Film - neben den wunderbar düsteren Nebellandschaften, den finsteren Zauberwäldern - ist natürlich Meridas unbezähmbare Haarpracht. Haare waren seit den Anfängen des computergenerierten Trickfilms die größte Herausforderung für die Animationskünstler und Programmierer schlechthin. In den Pixar-Computern wurde dafür extra ein "scraggle"-Parameter entwickelt, der die Haare beim wilden Ritt durch den kalten schottischen Wind schön scraggy macht, zottelig.

Für die Männerwahl wird diese glühende Pracht aber gleich einmal von der Mutter gezähmt und die Tochter obendrein in ein Korsett gepresst. Die adoleszente Wut muss in die Höhe getrieben werden. Die brutalen Rituale und Obsessionen von Mutter-Tochter-Beziehungen werden im Pixar-Universum wunderbar parodiert - zum einen, weil die Parodie oft die grausigsten Wahrheiten zutage fördert. Zum anderen, dies ist eine alte Disney-Lehre, weil der Konflikt katalysiert werden muss, mit der klaren Einsicht, dass Eltern vielleicht nicht dumm, die Kinder aber immer schlauer sind.

Brave, USA 2012 - Regie und Buch: Mark Andrews, Brenda Chapman, Steve Purcell. Musik: Patrick Doyle. Deutsche Sprecher: Nora Tschirner, Bernd Rumpf, Tilo Schmitz. Disney, 100 Minuten.

© SZ vom 28.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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