Ausstellung Georgia O'Keeffe:Eine Legende

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Die Faszination, die bis heute von Georgia O'Keeffes Naturbildern ausgeht, wie "Orientalische Mohnblumen (Oriental Poppies)" (1927), ist ungebrochen. (Foto: Georgia O'Keeffe Museum/2021, ProLitteris, Zürich, VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

In Basel ist eine große Retrospektive von Georgia O'Keeffe zu sehen, deren Kunst Blumen sprechen lässt.

Von Kito Nedo

Es beginnt mit dem Bild eines ratternden Frühzugs. "Train at Night in the Desert" lautet der Titel eines kleinformatigen Aquarells aus dem Jahr 1916, welches die große Georgia O'Keeffe-Schau in Riehen bei Basel eröffnet. Die Papierarbeit gehört heute zur Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) und zeigt eine voluminöse, sich in zarten Farbschattierungen ausdehnende Dampfwolke, die in den Nachthimmel emporquillt. Darunter ist ein frontaler, kreisrunder Lichtfleck zu sehen, der das Blatt in eine obere und eine untere Hälfte teilt. Der Scheinwerfer-Kreis lässt die dahinter schnaufende und Dampf produzierende Lokomotive nur erahnen. In abstrakten Andeutungen ist auch der Schienenstrang gehalten, welcher auf der linken Seite in einer perspektivischen Verkürzung aus dem Bild hinausführt.

Das Aquarell aus dem Frühwerk O'Keeffes markiert den Beginn einer außergewöhnlichen Karriere. Denn Georgia O'Keeffe (1887-1986), die sich mit ihrer Kunst dem, wie sie es nannte, "Great American Thing", also der "großen amerikanischen Sache" verschrieben hatte, erlangte im Laufe ihres fast hundertjährigen Künstlerinnenlebens schließlich selbst Legenden-Status. 1946 war sie etwa die erste Künstlerin, die mit einer Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) geehrt wurde. Schwer zu sagen, wann ihre mystischen Bilder, die um die Erhabenheit der Natur und der Landschaft kreisen, schließlich Teil des Mainstreams wurden. Die Faszination, die von der "Mutter des amerikanischen Modernismus" und ihrem Werk ausgeht, ist bis heute ungebrochen.

Ihre erste Einzelausstellung richtete der Fotograf Alfred Stieglitz der Malerin Georgia O'Keeffe aus. Hier "Abstraction Alexius" (1928). (Foto: Georgia O'Keeffe Museum/2021, ProLitteris, Zürich, VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Ihre erste Einzelausstellung hatte O'Keeffe im Frühjahr 1917 in der Galerie "291", welche der Fotograf Alfred Stieglitz (1864-1946) auf der New Yorker Fifth Avenue betrieb. Im darauffolgenden Jahr begannen beide auch eine Liebesbeziehung und heirateten schließlich 1924. Zweifellos half die Verbindung zum 23 Jahre älteren Stieglitz, dem überaus einflussreichen New Yorker Kunstwelt-Impresario, der jungen Malerin O'Keeffe, ihre eigene Karriere aufzubauen. Als Galerist kümmerte sich Stieglitz etwa um die Platzierung der Gemälde in wichtigen US-Sammlungen. Doch O'Keeffe gelang es auch in einem kräftezehrenden Balanceakt, sich jenseits von Stieglitz und seinem Kreis als eigenständige Künstlerin zu behaupten.

Ende der Fünfziger ließ sich O'Keeffe einen Atombunker ausschachten

Mit ihren berühmten Blütenbildern schrieb sich O'Keeffe in die Kunstgeschichte ein. Ihnen ist in der Fondation ein ganzer thematischer Saal gewidmet. Doch die von Theodora Vischer kuratierte und mit zahlreichen Leihgaben aus Übersee bestückte Schau ist deutlich vom Bemühen getragen, das ganze Bilder-Universum von O'Keeffes auszubreiten. Da sind etwa Stadtansichten von New York, wo die Malerin ab 1925 mit Stieglitz zeitweise auf der 28. Etage des Shelton-Hotels an der Lexington Avenue im Manhattan lebte und arbeitete, von Flugreisen inspirierte Landschaften aus der Vogelperspektive aus dem Spätwerk oder die surrealistisch wirkenden, lichtdurchfluteten Steppen- und Gebirgsansichten aus New Mexico. Dorthin zog es die Malerin ab 1929 immer öfter, bis sie 1949 ganz dorthin übersiedelt. O'Keeffe tauchte einerseits in die Natur ein, studierte aber auch die Kultur der indigenen Bevölkerung und die Kolonialgeschichte der Gegend. Die vermeintliche Abgeschiedenheit war nicht nur für sie attraktiv. Im "Los Alamos Laboratory" ließ die US-Regierung in derselben Gegend Anfang der Vierziger die erste Atombombe entwickeln. Ende der Fünfziger, als der Kalte Krieg auf seinen Höhepunkt zusteuert, ließ sich O'Keeffe auf ihrem Landgut selbst einen Atombunker ausschachten.

Georgia O'Keeffe. (Foto: Bettmann Archive/Getty Images)

Hunderte Portrait-Fotografien fertigte Stieglitz von seiner Partnerin O'Keeffe im Laufe ihrer Beziehung an. Damit steht er jedoch lediglich am Anfang eines kontinuierlichen Prozesses, in dem die Künstlerin im Sinne einer modernen Medienfigur mit Hilfe der Fotografie bis zuletzt aktiv ihr öffentliches Bild prägte. O'Keeffe pflegte Freundschaften mit einer ganzen Reihe von Fotografinnen und Fotografen ihrer Zeit, etwa Ansel Adams, Todd Webb oder Laura Gilpin. Sie ließ sich auch von Richard Avedon, Cecil Beaton, Annie Leibovitz, Irving Penn oder Andy Warhol portraitieren.

Ob George Lucas, der Erfinder der Jedi-Roben, sich von O'Keeffes Look inspirieren ließ?

Die Ausstellung trägt dieser besonderen Beziehung zur Kamera mit einem eigenen thematischen Kapitel Rechnung. Bis ins hohe Alter empfing O'Keeffe Fotografen auf ihrer sagenhaft abgelegenen, 1940 erworbenen "Ghost Ranch" oder ihrem Lehmziegelhaus in Abiquiú in der Nähe von Los Alamos in New Mexico. Auf den Gesimsen ihrer Ateliers bildeten die Schädel-, Gesteins-, Muschel- und Knochensammlungen nicht nur die Studienobjekte für ihre Kunst, sondern auch das Bild-Futter für die beliebten Homestories. Exemplarisch für ihre kunstvolle Selbst-Inszenierung steht eine Aufnahme von Todd Webb aus dem Jahr 1965. Die damals 77-Jährige steht im Gegenlicht in Abiquiú und blickt direkt und entschlossen in Webbs Kamera, angetan mit einer minimalistischen schwarzen Robe und einem auffälligen Gürtel. Ob George Lucas, der Erfinder der Jedi-Roben, sich eventuell von O'Keeffes Alters-Look inspirieren ließ?

Das Werk von O'Keeffe wurde früh auch Ziel sexualisierender Lesarten, die heute schwer nachzuvollziehen sind. Sie sagen vermutlich wesentlich mehr über die puritanischen Prägungen des amerikanischen Publikums in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus, als über die Bilder oder die Intentionen der Künstlerin selbst. So schrieb etwa der Kritiker Lewis Mumford 1924 über eine O'Keeffe-Ausstellung, sie sei "ein einziger langer und lauter Ausbruch von Sex, Sex in der Jugend, Sex in der Adoleszenz, Sex im reiferen Alter".

Eine Blume löse ja bei jedem unterschiedliche Assoziationen aus, entgegnete die Künstlerin 1926 auf derartige, von ihr abgelehnte Interpretationen ihres Werkes in einem eigenen Text für einen Ausstellungskatalog. "Man streckt die Hand aus, um sie zu berühren, oder beugt sich vor, um an ihr zu riechen, oder vielleicht berührt man sie auch mit den Lippen, ohne sich etwas dabei zu denken, oder man überreicht sie jemandem, um Freude zu bereiten. Aber man nimmt sich nur selten die Zeit, eine Blume wirklich zu sehen. Ich habe das gemalt, was mir jede einzelne Blume bedeutet, und ich habe sie so groß gemalt, damit andere sehen können, was ich sehe." So ist es: O'Keeffes berühmte Großformate sind die Bilder für die brummelnde Hummel in uns. Die Natur ist nah. Es lohnt sich, genau hinzusehen.

Georgia O'Keeffe, bis 22. Mai in der Fondation Beyeler Riehen/Basel. Der Katalog kostet 58 Euro.

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