Malerei:Kraftfelder

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2016 malte Peter Krauskopf "Gestrichen Kadmium Dunkel, B 010216". (Foto: Jörg Schaller, VG Bild-kunst, Bonn 2018)

Schaben, kratzen, übermalen: Das Kunsthaus Kaufbeuren zeigt die abstrakten Arbeiten von Peter Krauskopf

Von Sabine Reithmaier

An Selbstkritik mangelt es Peter Krauskopf nicht. Daher wandert er im Kunsthaus Kaufbeuren durch seine Ausstellung und analysiert präzise, welches Werk er nicht mehr aufhängen würde. Oder einen anderen Ort, einen anderen Kontext suchen würde. Zum Glück fehlt es ihm aber auch nicht an Selbstbewusstsein. Er weiß genau, wie gut sich die Inszenierung seiner abstrakten Farblandschaften an den Betonwänden des Kunsthauses macht. Die Gemälde mit ihren Furchen und Kanten bilden ein richtiges Kraftfeld.

Krauskopfs Arbeiten entstehen durch Übermalung. Er trägt auf die Leinwand mehrere, verschieden flüssige Farbschichten auf, zieht sie mit der Spachtel wieder ab, legt tiefere Schichten wieder frei und erzielt reizvolle Farbverläufe. Manchmal verschliert er sie, ein anderes Mal schabt er sie ab, der vielschichtige Untergrund schimmert durch.

Zum Pinsel greift er nur selten, viel öfter dagegen zur Rakel, einem Schab- und Kratzinstrument. Wenn er allerdings beginnt, mit ihr zu arbeiten, hat er eigentlich schon alles festgelegt: die Farben, die Richtung - ob vertikale oder horizontale Streifen oder übereinander gelegt als Gitter, ob gleichmäßig oder gezackt -, und auch über den Druck, den er mit dem Gerät auf die Leinwand ausübt, hat er längst nachgedacht. Das Rakeln laufe fast automatisch ab, sagt Krauskopf. Meist könne er gar nicht sehen, was er mache, letzthin habe er sich einen Spiegel gebaut, um zu sehen, wie das Bild entsteht.

Das würde bei manch anderem kokett klingen, bei Krauskopf nicht. Er hat seine Bilder längst im Kopf, sie sind vor seinem inneren Auge entstanden, die Hand arbeitet fast selbständig. Der Zufall spielt natürlich eine Rolle, das Fließen der Farbe schert sich nicht unbedingt um Planungen. Aber dass die "Fehlerhaftigkeit" (Krauskopf) in einem Bild zu erkennen ist, mindert nichts an dessen Kraft.

Krauskopf bleibt vor "Grünstein" stehen. Dunkelblau-graue Farbverläufe auf einer mal tiefschwarz, dann wieder schwarzgrau schimmernden Leinwand. An Kratzstellen blitzt leuchtendes Blau auf. Quelle für dieses Bild war ein Urlaubserlebnis am Königssee. Krauskopf stand um fünf Uhr auf, er musste aufs Klo. Draußen lag der See im milchigen Herbstnebel, die Landschaft halbverschwommen in der dunstigen Dämmerung, tiefschwarz der Felsen des Grünsteins, eines Gipfels im Watzmann-Massiv. Plötzlich dachte er an Pegida-Demonstrationen im Osten - Krauskopf ist gebürtiger Leipziger - , an Arnold Böcklins Gemälde "Die Toteninsel", das Hitler so schätzte, an die allgegenwärtige Dumpfheit - "das ist der Ursprung dieses Bildes". Nicht das Gesehene ist ihm wichtig, zur Quelle wird die Erinnerung.

Krauskopf hat ein ganzes Museum im Kopf. Das innere Sammeln von Bildern begann schon in der Wohnung seiner Tante Suse, die inmitten von Gemälden lebte. Als Kind war er hingerissen von Schiffen, Klippen und sich überschlagenden Wellen. Krauskopf, Jahrgang 1966, studierte in den Neunzigerjahren bei Arno Rink in Leipzig, genau zu der Zeit, als Neo Rauch dort als Assistent für Rink arbeitete. Aber im Gegensatz zu seinen Studienkollegen konnte er mit der Gegenständlichkeit nichts anfangen. "Ich habe immer abstrakt gemalt." Und in einem Fischschwarm mitzuschwimmen, in dem sich jeder am Nachbarn orientiere, sei seine Sache nicht.

In jüngster Zeit hat er begonnen, auf die gerakelten Bilder noch ein Gitter zu legen, die Farben drückt er direkt aus der Tube. Sieht aus wie Zahnpasta, sorgt aber dafür, dass die Bilder den Betrachter noch mehr in die Tiefe ziehen.

Im Obergeschoß des Kunsthauses hängen 25 Papierarbeiten. Sie werden als Konvolut zum ersten Mal ausgestellt. Krauskopf konnte sich nur schwer durchringen, sie zu zeigen. "Weil sie schön sind." Schön ist nicht unbedingt eine Kategorie, mit der er sich messen lassen will. Die kleinformatigen Studien entstehen nahezu täglich. Er streicht nämlich die Rakel, mit der er an seinen Gemälden arbeitet, am Papier ab. "Das ist so eine Art visuelles Tagebuch", sagt er.

Aus dem Vorgang des Abstreifens ergibt sich der Bildaufbau: Rechts eine scharfe Kante, links ein ausgefranster Rand, auf allen vier Seiten sichtbar das weiße Papier, auf dem das Farbfeld ruht. "Aus den Abstrichen von verschiedenen Tagen entsteht dann manchmal so etwas Landschaftliches", sagt Krauskopf. Tatsächlich denkt man an holländische Malerei des 17. Jahrhunderts und ist verblüfft über die Räumlichkeit der kleinen Formate. Krauskopf hat einigen sogar konkrete Titel gegeben. "Seestück" heißt eines, "Schnee" ein anderes, vielleicht strahlen da im Kopfmuseum gespeicherte Bilder durch.

Peter Krauskopf: Drift, bis 19. August, Kunsthaus Kaufbeuren

© SZ vom 13.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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