Ausstellung im Prado:Nasen frei

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Wie riecht ein Bild? Detail aus der "Allegorie des Geruchs" von Jan Brueghel dem Älteren und Peter Paul Rubens. (Foto: Otero Herranz, Alberto/Madrid, Museo Nacional del Prado)

Der Prado in Madrid feiert das Ende der Maskenpflicht mit einer Duft-Ausstellung. Bei dreistelligen Inzidenzen. Ein Genuss?

Von Karin Janker

Einander ins Gesicht sehen. Endlich wieder anlächeln, ohne die Augen zusammenkneifen zu müssen. Die Lippen knallrot schminken. Die Masken fallen, die Gesichter sind zurück. Das ist wunderbar, aber nichts gegen: endlich wieder riechen.

Unser Geruchssinn hatte es während der Pandemie besonders schwer. Nicht nur, weil ihn die Pandemie bei Erkrankten ausgeknipst hat. Undenkbar, dass sich die Menschen zwei Jahre lang die Augen verbunden oder die Ohren verstopft hätten. Sehen und Hören sind besonders noble Sinne, das glaubte schon Aristoteles. Unsere Nasen hingegen stehen in der Hierarchie der Sinnesorgane so weit unten, dass kaum auffiel, wie wir auf ihre Eindrücke weitgehend verzichtet haben, weil partikelfilternde Vlieslagen sie einhüllten.

Das Ende der Maskenpflicht verspricht da einen wahren Sinnesrausch. Nirgendwo erlebt man diesen eindrücklicher als derzeit im Madrider Prado. Und das, obwohl die Inzidenz in der Stadt bei 203 liegt und China vor den nächsten Lockdowns steht.

Das Museum, das im Besitz aller fünf Sinnesallegorien ist, die Jan Brueghel der Ältere gemeinsam mit Peter Paul Rubens in den Jahren 1617 und 1618 gemalt hat, widmet in diesem Frühjahr der Allegorie des Geruchssinns eine eigene Ausstellung. Es ist eine Ausstellung zum Riechen - und eine Einladung ins neue, maskenlose Zeitalter.

"Die Essenz eines Gemäldes" heißt die Duftsymphonie, die Besucher in einem Raum der Abteilung für flämische Malerei erleben können. Ihre Komposition war komplizierter, als es der beinahe unscheinbare Saal vermuten lässt. Vor dunklem Hintergrund hängen hier die fünf Sinnesallegorien: das Sehen, das Hören, das Schmecken, das Tasten - und am Ende des Saals der Geruchssinn. Fast übersehen könnte man daneben die vier schwarzen Maschinen, die ein wenig aussehen wie HAL 9000, der bösartige Computer aus Kubricks "Odyssee im Weltraum". Kaum zu glauben, dass hier eine Duftorgie zu erleben sein soll. Doch wie so oft unterschätzt man die Komplexität des Geruchssinns.

Für die Forscher ist klar: Brueghel wollte, dass man sein Werk riecht

Monatelang waren Wissenschaftler von Spaniens größtem Forschungsinstitut CSIC damit beschäftigt, rund 80 Spezies zu identifizieren, die Brueghel im Garten der spanischen Infantin Isabella Clara Eugenia in Brüssel angeordnet hat. Der Garten der Regentin war seinerzeit berühmt: Sie sammelte exotische Pflanzen und ließ daraus Parfum herstellen. Die Arbeit der Forscher legt nun nahe, dass Brueghel seine Bildkomposition nicht nur nach optischen, sondern auch nach olfaktorischen Kriterien entwickelt hat. Der Maler wollte, dass man sein Werk riecht.

Für heutige Betrachter eine glatte Überforderung. Die Ausstellungsmacher wissen natürlich um die verkümmerte synästhetische Vorstellungskraft und machen es den Besuchern daher leichter, das Gemälde tatsächlich mit der Nase zu erleben.

Sie pokerten hoch: Beinahe wäre die monatelange Arbeit so gut wie umsonst gewesen. Erst in der vergangenen Woche fiel in Spanien die Maskenpflicht. Nach 699 Tagen konnte man nun den Prado erstmals wieder unmaskiert besuchen. Zumindest theoretisch. Denn viele Spanier mögen sich noch nicht recht von ihrer mascarilla trennen. Dabei ist gerade für diejenigen, die noch skeptisch sind, die Duftausstellung eine sanfte Verlockung: Lasst die Hüllen fallen!

Jan Brueghel der Ältere malte gemeinsam mit Peter Paul Rubens in den Jahren 1617 und 1618 die Allegorie des Geruchs. (Foto: Otero Herranz, Alberto/Madrid, Museo Nacional del Prado)

Die Spanier trugen den Mundnasenschutz fast zwei Jahre lang mit geradezu preußischer Disziplin. Keine heraushängenden Nasen in der U-Bahn, so gut wie keine Stofflappen Marke Eigenbau. Der blaue Chirurgenmundschutz gehörte zur Grundausstattung für jede und jeden, der älter als fünf Jahre alt war. Monatelang galt sogar im Freien eine Maskenpflicht. Und die Spanier hielten sich daran - selbst wenn sie zu früher Morgenstunde im Park zum Joggen unterwegs waren.

Das ist vorbei, so die politische Ansage. Doch in Spanien ist kein Freedom-Day-Pathos zu spüren, eher ist vom "sindrome de cara vacía" die Rede, vom Syndrom des leeren Gesichts, das laut einschlägigen Medienberichten vor allem Spaniens Teenager befalle, die mit der Maske ihre Komplexe, Pickel oder Zahnspangen verdeckten und sich nun nackt und fremden Blicken ausgeliefert fühlen.

70 Prozent der Spanier wollen ihre mascarilla weitertragen

Jenseits aller wissenschaftlich nachweisbaren Schutzwirkung ist die Maske für viele Spanier zu einer Art Talisman geworden. Mit ihr fühlten sie sich vor allem gefeit. Kein Wunder also, dass viele noch nicht bereit sind, sich zu trennen. Über alle Parteigrenzen hinweg glauben 54 Prozent der Spanier, es sei zu früh, die Masken abzunehmen. 70 Prozent wollen sie weitertragen, zumindest beim Einkaufen, im Kino oder im Konzert. In öffentlichen Verkehrsmitteln bleiben sie ohnehin vorgeschrieben.

Im Prado sind an diesem Nachmittag die spanischen Besucher anhand ihrer Masken jedenfalls recht eindeutig von den ausländischen Touristen zu unterscheiden. Erst im Saal mit der Duftausstellung lüpfen auch sie die mascarilla. Es ist einfach zu verführerisch.

Zehn der Duftnoten des üppigen Gemäldes hat Kurator Alejandro Vergara zusammen mit dem spanischen Parfümeur Gregorio Sola ausgewählt. Sola hat aus ihnen Düfte kreiert, nicht alle sind so lieblich wie der des Feigenbaums im Hintergrund oder des Bouquets aus Nelke, Rose und Jasmin, das sich die von Rubens gemalte Venus unter die Nase hält. Die Zibetkatze, die sich vor ihr am Boden zusammenrollt, riecht streng nach wildem Tier. Ihr Geruch stammt von Drüsensäcken zwischen ihren Hinterbeinen. Zu Zeiten Brueghels verwendete man das Sekret als Fixierungsmittel für Parfums.

Dass der Zibet in jüngerer Zeit auch als Wirtstier für das Sars-Virus in die Schlagzeilen geriet, blendet man in diesem Moment besser aus. Ebenso wie die Aerosole, die den Ausstellungsraum mutmaßlich bis unter die Decke füllen. Man ist schließlich für den Sinnesrausch hier. Also nähert man sich einem der vier schwarzen Geräte an der Seitenwand des Saals. Auf dem Bildschirm tippt man auf Narzisse, Rose oder Orangenblüte und nähert die Nase anschließend einem rot leuchtenden Ring, der einem mit leisem Brummen eine kleine Duftwolke in die Nüstern bläst.

"AirParfum" heißt die Technologie dieser Diffusoren, dank der man angeblich einzelne Noten perfekt unterscheiden kann. Die Präsentation der edlen Essenzen fällt damit aber eher schnöde aus.

Dem Dufterlebnis selbst tun weder das mechanische Brummen noch der profane Touchscreen einen Abbruch. Man braucht bloß die Augen zu schließen. Dann erledigt der Duft den Rest. Es ist, als seien die Nebenhöhlen nach langem Schnupfen plötzlich wieder frei. Atmen und riechen, riechen und atmen. Da ist er, der leuchtende Garten, mitten im dunklen Saal.

Dieser Garten verschwindet nicht so schnell wieder

Düfte verfliegen. Doch erstaunlicherweise verschwindet dieser Garten so schnell nicht wieder. Das ist das wirklich Magische an der Ausstellung. Geruch hat eine Eigenschaft, die ihn besonders macht: Er wirkt länger nach als andere Sinneseindrücke. Nicht umsonst gilt der Duft als Sitz der Erinnerungen, nicht umsonst nimmt Proust den Duft des Lindenblütentees und der Madeleine zum Ausgangspunkt einer ganzen Zeitreise, die nichts anderes will, als die Vorherrschaft des Sehsinns zu brechen.

In der Duft-Ausstellung in Madrid steckt damit auch eine Parabel auf unserer Gegenwart. Der Philosoph Byung-Chul Han hat es in einem Essay über die Kunst des Verweilens einmal so ausgedrückt: "Informationen duften nicht. Darin unterscheiden sie sich von der Geschichte." Nach zwei Jahren, in denen das Starren auf Ansteckungszahlen und Infektionskurven das Riechen ersetzt hat, ist es an der Zeit, dass wir uns vom reinen Augenwesen zurückverwandeln. Es wird ein wenig Übung brauchen. Reinschnuppern in diese neue, alte Zeit lässt sich wunderbar im Prado. Aber Frühlingsblumen blühen ja auch anderswo.

The Essence of a Painting. An Olfactory Exhibition, Museo del Prado, Madrid. Bis 3. Juli 2022.

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