Literaturkritik:Was vom Skandal übrig blieb

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Stritt wider Moral und Obrigkeit: Oskar Panizza um 1895. (Foto: Gemeinfrei)

Ein Lesebuch und eine Biografie sollen an Oskar Panizza erinnern

Von Yvonne Poppek, München

Der Anfang ist erschütternd, auch mehr als 120 Jahre nach dem Skandal. Oskar Panizza lässt in der ersten Szene seiner "Himmels-Tragödie" mit dem Titel "Das Liebeskonzil" drei Engel in Gottes Thronsaal plaudern. Warum denn das Dritte so jung schon im Himmel sei? Das erzählt dann vom großen, alten Mann, der es erdrückte und in es eindringen wollte. Und die Mutter? "Die stand an der Thürspalte und sagte immer fort: 'Sei nur brav Lilli, sei nur brav Lilli!'". Kurz darauf schleppt sich Gottvater, gebeugt und greis zum Thron, lässt sich stöhnend nieder und erleichtert sich schließlich in einen Spucknapf. Das Tableau der Tragödie ist also ausgebreitet: Angesichts all dessen kann die Welt mitsamt ihrer Religion nur grauenhaft sein.

Ja, bei Panizza steht es schlecht um den Glauben. Um das zu demonstrieren, machte der am 12. November 1853 in Bad Kissingen geborene Autor in seinem Drama weder Halt vor Gott, noch vor Maria, dem Teufel oder Christus. Im November 1894 war seine Himmels-Tragödie in der Schweiz erschienen, kein deutscher Verleger hatte es gewagt, den Text zu veröffentlichen. Im Januar 1895 erhob die Münchner Staatsanwaltschaft Anklage wegen eines "Vergehens wider die Religion". Im August schließlich tritt der verurteilte Panizza in Amberg eine einjährige Haftstrafe an. Sein "Liebeskonzil" hatte einen der größten Literaturskandale seiner Zeit ausgelöst. Heute findet der Autor der Münchner Moderne vergleichsweise wenig Beachtung.

Der Allitera-Verlag mit seiner Edition Monacensia unternimmt den Versuch, daran etwas zu ändern. Zu diesem Zweck veröffentlichte er Michael Bauers Panizza-Biografie, die der Autor ursprünglich als Dissertation verfasst und in anderer Form 1984 bei Hanser publiziert hatte. Zudem gibt der Verlag ein Panizza-Lesebuch heraus mit Tagebucheinträgen, Briefen und literarischen Stücken. Die Biografie beginnt Bauer mit dem Skandal um das "Liebeskonzil", also mitten im Leben des Schriftstellers. Doch das ist für Bauer eher ein dramaturgischer Kniff, um in Folge seine These zu belegen, dass Panizza zwar wahnhaft veranlagt war, dass er aber dennoch später Opfer von Justiz, Psychiatrie, Familie und Intrige wurde und ihm schließlich sein Wahn zum Exil wurde. Gerichtlich entmündigt verbrachte Panizza die letzten Jahre seines Lebens von 1904 bis 1921 in psychiatrischen Einrichtungen. Bauer schildert kenntnisreich und anhand vieler Belege die Kindheit Oskar Panizzas. Seine Eltern waren Hoteliers, der Vater katholisch, die Mutter evangelisch. Die Konfession der fünf Kinder war immer Thema und als der Vater schließlich starb - Oskar Panizza war zwei Jahre alt - setzte die Mutter sogar gegen einen königlichen Richtspruch die protestantische Erziehung durch. Oskar Panizza sollte überdies Pfarrer werden.

Mit dieser Erziehung, so deutet es Bauer, war ein entscheidender Impuls für die Entwicklung Panizzas gegeben. Sowohl seine antisemitische Erzählung "Der operirte Jud'" als auch seine spätere Abkehr vom Glauben betrachtet Bauer vor dem Hintergrund der frömmlerischen, pietistischen Einflussnahme in der Kindheit. Panizza widersetzte sich später der Idee, Geistlicher zu werden und studierte in München Medizin, ging dann der Tätigkeit eines "Irrenarztes" nach, um sich schließlich ganz dem Schreiben zu widmen. Es folgte der Skandal, Haftstrafe, dann Exil in Zürich und Paris, ein weiterer Prozess wegen einer Schrift, schließlich die Psychiatrie.

Bauer erzählt diese bewegte Geschichte Panizzas nicht chronologisch, sondern thematisch geordnet, befasst sich etwa mit seinem Wahn, seinem Frauenbild oder seiner Erziehung. Dabei arbeitet er klar heraus, was für ein kreativer Denker und Erneuerer der Schriftsteller war, blendet die spätere völkische Vereinnahmung jedoch nicht aus, der er aber einiges entgegenzusetzen weiß. Alles in allem entsteht das Bild eines sehr Modernen, das durch die Texte im Lesebuch nur bestätigt wird. Und auch durch Ergänzungen wie diese: 1965 wurde "Das Liebeskonzil" erstmals öffentlich aufgeführt in einem ausgebauten Fahrradkeller an der Ludwig-Maximilians-Universität. Es kam zum Eklat, die Werbung für das Stück wurde gestoppt, das Ensemble erhielt Hausverbot. Panizzas "Himmels-Tragödie", sie wirkte nach wie vor erschütternd.

Oskar Panizza. Eine Biografie , 336 Seiten; Oskar Panizza. Ein Lesebuch , 304 Seiten, Allitera-Verlag

© SZ vom 02.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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