Frankfurter Buchmesse:Unpolitische Literatur? Gibt es nicht

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Norwegen ist in diesem Jahr Gastland auf der Frankfurter Buchmesse, entsprechend viele Übersetzungen norwegischer Autoren gibt es. Aber wann ist ein Buch gut? (Foto: dpa)

Mit der Verleihung des Buchpreises setzt sich die Debatte um Identitätspolitik in der Literatur fort. Warum eine Beurteilung nach "rein" ästhetischen Kriterien hilflos wirkt.

Kommentar von Marie Schmidt

Es ist wieder Preissaison für die Literatur. Zwei Nobelpreise gab es schon, die Frankfurter Buchmessenwoche geht mit der Verleihung des Deutschen Buchpreises am Montagabend los. Im rituell dazugehörenden Herumdeuteln an den Entscheidungen sämtlicher Jurys taucht eine Idee immer wieder auf, mal als Wunsch, mal als Vorwurf: dass bei der Bewertung von Literatur politische, womöglich sogar identitätspolitische Kriterien eine Rolle spielen könnten. Nur vor diesem Hintergrund ist etwa der Kommentar des Literaturkritikers Denis Scheck zu verstehen, mit dem Nobelpreis an Peter Handke habe "die politische Korrektheit eine krachende Ohrfeige erhalten".

Zugegeben, die politischen Maßstäbe für die Auswahl von Literatur, die in jüngster Zeit angedeutet werden, gehen in eine bestimmte Richtung. Zum Beispiel hatte der Sekretär der für den Nobelpreis zuständigen Akademie eigentlich versprochen, man werde sich weniger eurozentrisch und weniger männlich orientieren als früher. Dem Ergebnis war allerdings dieses Jahr vom Ersten nichts, vom Zweiten zumindest nicht übertrieben viel anzumerken. Der Jurysprecher des Deutschen Buchpreises sagte zur Shortlist, es gehe in den nominierten Büchern "um familiäre Zusammenhänge, um den Ort in der globalen Welt, von dem aus das eigene Dasein zu begreifen ist. Dass dabei vor allem die Identität des Mannes problematisch geworden ist, beschreiben sie mal aus weiblicher, mal aus männlicher Perspektive." Aus Äußerungen wie diesen speist sich der Verdacht, dass Romane mit postkolonialen Themen, queeren Geschichten oder feministischen Überzeugungen Juroren zur Zeit mehr interessieren als andere.

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Wäre das so verkehrt? Ja, sagen die Ästhetizisten, das seien unsachgemäße Kriterien. Literatur sei Kunst aus Sprache, und nur die dürfe man beurteilen und mit Preisen ehren, nicht die Haltung oder Herkunft der Texte oder gar der Autoren. Unsachgemäß wäre aber in Wahrheit genau eine solche Trennung von sprachlicher Gestalt und ideellem Kontext eines Werks. Übrigens zeigt gerade die aktuelle Buchpreis-Shortlist, dass sie gar nicht nötig ist, dass sich das nicht ausschließt. Ein paar der Bücher, deren inhaltliche Richtung der Jurysprecher zusammengefasst hat, sind zugleich das formal Gekonnteste und erzählerisch Souveränste, was man dieses Jahr in deutscher Sprache lesen kann.

Literaturpreise sind in Zwecke und Machtansprüche eingebettet

Die Vorstellung, dass an Literatur nur die sprachliche Schönheit von Belang sei, ist eine missverstandene Schrumpfversion von Immanuel Kants Idee des "interesselosen Wohlgefallens" als Modus ästhetischer Urteile. Wobei es dem Einzelnen eindeutig zusteht, sich beim Lesen, Musikhören oder Kunstanschauen durch keine Bedenken stören zu lassen.

Sobald es aber um öffentliche oder gar institutionelle Kritik geht, kann von Interesselosigkeit erstens sowieso keine Rede sein; Literaturpreise werden von Akademien, Vereinen, Kultureinrichtungen vergeben und sind in Zwecke, Eitelkeiten und (wenngleich bescheidene) Machtansprüche eingebettet. Und zweitens ist es da dringend geboten, über Bücher nicht nur den Daumen zu heben oder zu senken, sondern sie einordnen zu können in den Kontext ihrer Entstehung, ihrer Ziele und Ideale. An einem Beispiel aus der Literaturgeschichte: Was an der deutschen Klassik so aufregend war, kann man kaum erklären, wenn man sie nicht auch als identitätspolitisches Projekt versteht. Als eine Art des damaligen Bürgertums, sich zu emanzipieren, selbstbewusst zu werden - unter anderem, indem man auf künstlerische Autonomie pochte und zeigte, dass ein Einzelner, der im Walde so vor sich hin geht, unter Umständen ein edleres Geschöpf ist als die ganze Aristokratie.

Es muss nicht jede Literatur in einem aktivistischen Sinn engagiert sein, aber eine ganz unpolitische Literatur gibt es nicht. Dramaturgie, Sprache, Metaphern stehen immer in einem Verhältnis zu ihrer Umwelt: imitierend, idealisierend, verfremdend. Schriftsteller müssen sich dafür nicht rechtfertigen, aber Kritiker und Juroren sollten schon erklären können, welche Botschaft sie da hören und mit Preisen verstärken wollen. Dabei gibt es sicher Konjunkturen verschiedener Interessen. Wenn zum Beispiel zunehmend eine Literatur als die avancierteste beurteilt würde, die mit der generellen Unvertrautheit und Diversität der Welt spielt, könnte man diskutieren, warum das so ist. Sich hartnäckig auf "rein" ästhetische Kriterien herauszureden, wie die Nobelpreisjury in ihrer unzeitgemäßen Entscheidung für Peter Handke, wirkt aber eher hilflos.

Schlechte Kriterien gibt es natürlich auch. Ein Mitglied der Buchpreis-Jury, die Buchhändlerin Petra Hartlieb, hat für Unmut gesorgt mit der Bemerkung über nicht näher genannte Bücher der Auswahl: "Ich kann das nicht lesen, ich kann das nicht verstehen, ich kann das vermutlich nicht verkaufen." Aus Sicht des Buchhandels, dessen Börsenverein den Buchpreis vergibt, ein plausibles Argument. Für ästhetische Belange ist Verkäuflichkeit aber tatsächlich uninteressant.

© SZ vom 14.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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