Literaturfestival Lit.Cologne in Köln:Das permanente innerliche Schunkeln

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Vor zwei Jahren kamen noch über 100 000 Zuschauer, jetzt verlieren sich die Veranstalter im Hygieneabstand bei einer Pressekonferenz. (Foto: Lit.Cologne/Ast)

Im vergangenen Jahr ist Europas größtes Literaturfestival, die Lit.Cologne, komplett ausgefallen. Jetzt kehrt es zurück - zumindest digital.

Von Alexander Menden

Vor zwei Jahren kamen noch über 100 000 Zuschauer, jetzt verlieren sich die Veranstalter im Hygieneabstand bei einer Pressekonferenz. (Foto: Lit.Cologne/Ast)

"Aufschwung" steht in riesigen Lettern auf dem deckenhohen Gemälde, das den Kölner Besprechungsraum des Lit.Cologne-Teams dominiert. Es zeigt einen Turner am Reck, in normalen Zeiten würde man es vielleicht als etwas unsubtile Motivationsbotschaft lesen. Unter den gegebenen Umständen wirkt die Schrift eher wie eine Verheißung. Das dem Publikumszuspruch nach größte Literaturfestival Europas, das an diesem Mittwoch beginnt, findet trotz sinkender Corona-Inzidenzzahlen nur digital statt. Doch das ist ein Fortschritt im Vergleich zu 2020. Da fiel die Lit.Cologne zum ersten Mal seit ihrer Gründung 2001 ganz aus.

"Die einen Autoren haben damals gelassen reagiert und gesagt: Ich komme. Andere sagten: Ich bin von meiner Familie dazu angehalten worden alles abzusagen", erinnert sich Geschäftsführer Rainer Osnowski. Am 10. März, an dem die 20. Ausgabe des Festivals mit der Verleihung des Deutschen Hörbuchpreises beginnen sollte, musste eine Entscheidung fallen. "Es war noch kein Flächenbrand", sagt Osnowski. "Aber die Gefahr war zu groß, dass dann alles im Verlauf des Festivals auseinanderfallen würde. Also sagten wir schweren Herzens ab."

Rainer Osnowski ist keiner von denen, die großartig lamentieren über die Einschränkungen, die Corona mit sich gebracht hat. Er betont gern das Positive. Zum Beispiel, dass Frank Schätzing, Erfolgsautor und Kölner, noch am Tag der Absage in der WDR-Regionalsendung "Aktuelle Stunde" auftrat und jene bat, die bereits Tickets für die restlos ausverkauften Veranstaltungen hatten, sich den Kaufpreis nicht erstatten zu lassen, "sondern die Karten als eine Art Spende und Investition in die Zukunft des Festivals am Kühlschrank hängen zu lassen", wie Rainer Osnowski es formuliert. Rund 38 Prozent wurden tatsächlich einbehalten, teils mit, teils ohne Spendenquittung. "Das war sensationell und zeigte, wieviel die Veranstaltung der Stadt bedeutet", findet der Lit.Cologne-Chef.

Jetzt herrscht in der Büroflucht in der Kölner Südstadt, wo die Vorbereitungen für die 18-tägige Lit.Cologne 2021 in den letzten Zügen liegen, eine Art ruhige Betriebsamkeit. Im Korridor hängt ein hinreißendes Porträtfoto des Dichters und Zeichners Robert Gernhardt, auf dem er einen Gehstock mit Entenkopfknauf in der Hand hält. Dieser scheint mit der anderen Hand zu parlieren, deren Finger ebenfalls zum Entenkopf geformt sind. Legendär noch heute Gernhardts Lit.Cologne-Auftritt im März 2006, drei Monate vor seinem Tod, in dessen Verlauf er und der Kritiker Marcel Reich-Ranicki einander zugleich beharkten und feierten. Das ist genau die Art von Show, für die dieses Festival berühmt ist. Zur Ausgabe 2019 kamen 111 000 Zuschauer. Man kann sich das alles einfach nicht ohne das bodenlos begeisterungsfähige, gleichsam permanent innerlich schunkelnde Kölner Publikum vorstellen.

Dass dieser wichtigste Aspekt des im besten Sinne populären Festivals zwangsläufig wegfällt, sei "schon ein bisschen die zweite Phase der Trauerarbeit", sagt Rainer Osnowski. "Wir investieren wahnsinnig viel Arbeit in die Gestaltung unseres Programms. Ich könnte ja auch bei den Verlagen anrufen und sagen: Was plant ihr denn als Bestseller, gebt die mal her." Natürlich habe man auch Bestsellerautoren, "aber die kommen nur rein, nachdem sie unsere interne Prüfungsphase durchlaufen haben".

Geplant war auch diesmal ein Präsenzprogramm mit mehr als 100 Erwachsenen- und gut 80 Kinderveranstaltungen. Alles war fertig. Aber noch geht es nicht. Daher werden nun insgesamt 54 Veranstaltungen online stattfinden; ein Großteil der übrigen wird, sollte die Pandemielage es zulassen, im Herbst folgen, dann möglichst vor Publikum. Speziell die Kinderveranstaltungen wie die sogenannten "Klassenbuchlesungen", die in Zusammenarbeit mit Schulen stattfinden, sind unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht umsetzbar.

Stattdessen wurde das Theater am Tanzbrunnen, sonst einer der 30 über die ganze Stadt verteilten Veranstaltungsorte, in ein Studio umgewandelt, mit zwei kleinen Sets, die da stehen, wo sonst die Zuschauer sitzen. Mit einem Team von 25 Mitarbeitern wird Produktionsleiterin Rieke Brendel pro Tag jeweils drei Veranstaltungen aufzeichnen oder, im Falle der Abendtermine, live streamen.

Man kann sich das alles nicht recht ohne Publikum vorstellen

Brendel ist bereits seit 16 Jahren dabei. Aber auch für sie sind die Produktionsabläufe mit Regisseur und Kameratechnik für das diesjährige Festival mit einer steilen Lernkurve verbunden. "Der Aufwand ist noch nie so groß gewesen", sagt sie. Doch trotzdem - und trotz der unbestreitbar verminderten Sinnlichkeit digitaler Veranstaltungen im Vergleich zu einem vollen Saal - haben sich aus ihrer Sicht auch Vorteile ergeben: "Bei ausländischen Autoren können wir zum Beispiel statt mit einem Dolmetscher mit Untertitelung arbeiten", sagt Brendel. "Das kommt unseren Bestrebungen zur Barrierefreiheit entgegen, denn zum Beispiel Gehörlose sind oft auf Untertitel angewiesen."

Das Programm ist noch immer eines, das vor Publikum am besten gezündet hätte, aber angesichts der Teilnehmer auch online funktionieren kann: So lesen etwa Katharina Thalbach und Bela B Texte von Autoren wie David Sedaris und Thomas Wolfe, untermalt durch Musik von Chilly Gonzales. Eröffnungsveranstaltung ist ein Gespräch mit einem Beststeller-Schwergewicht, T.C. Boyle, dessen neuer Roman "Sprich mit mir" gerade auf Deutsch erschienen ist. Welche der drei Autorinnen Mithu Sanyal, Lisa Krusche und Anna Brüggemann das "Silberschwein" gewinnt, den mit 2222 Euro dotierten Lit.Cologne-Debütpreis, entscheidet diesmal das Publikum per Onlineabstimmung.

Überhaupt ist die Beteiligungsmöglichkeit ein weiterer positiver Aspekt der diesjährigen Darreichungsform, findet Eva Schuderer, die das Programm mitkuratiert hat. Besonders gefällt ihr, dass die mittlerweile auf so ziemlich jedem Rechner installierte Online-Konferenzfunktion es ermöglichen wird, zu einigen der vorgestellten Bücher einen Buchclub zu veranstalten: "Eine solche Erweiterung in lockerer Atmosphäre ließe sich sonst kaum so kurzfristig bewerkstelligen", sagt Schuderer.

Die Stadt Köln leistet einen wichtigen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit des Festivals

Auch Geschäftsführer Rainer Osnowski glaubt, dass die digitale Ertüchtigung ein wichtiger Teil der Zukunft der Lit.Cologne sein wird. Ein Subventionsprogramm, das die Stadt Köln auf Bestreben von Oberbürgermeisterin Henriette Reker im vergangenen Jahr sehr rasch auflegte, wurde, wie Osnowski betont, nicht zum Ausgleich der finanziellen Verluste durch den Festivalausfall 2020 genutzt. ("Dafür bin ich zu sehr Unternehmer, das kriege ich schon irgendwie hin.") Aber er räumt ein, dass die für die Digitalisierung notwendigen technischen Maßnahmen ohne diese Hilfe nicht zu stemmen gewesen wären. "Das war ein wichtiger Beitrag der Stadt zur Zukunftsfähigkeit des Festivals", so Osnowski.

Klar ist: So, wie der E-Reader das raschelnde Buch aus Papier nie ersetzen wird, so wird auch dieses Festival erst dann wieder ganz es selbst sein, wenn das Publikum erneut dicht an dicht und analog in Köln auflaufen kann. Aber Pragmatismus wird in Köln traditionell groß geschrieben, und es scheint, als werde die Lit.Cologne auch online das Beste draus machen, ganz im Sinne der alten kölschen Weisheit: Et hätt noch immer jot jejange - oder schlicht: Am Ende wird alles gut.

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