Abgesagte Lesung:"Niemand will mehr miteinander sprechen"

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"Buchhandlungen sollten Orte für Debatten sein", sagt Michael Lemling, Geschäftsführer der Buchhandlung Lehmkuhl. (Foto: Matthias Kneppeck/oh)

Die Autorin Margarete Stokowski sagt eine Lesung in der Münchner Buchhandlung Lehmkuhl ab - weil dort Bücher eines rechten Verlags verkauft werden. Ein Anruf bei Geschäftsführer Michael Lemling.

Interview von Felix Stephan

Die Kolumnistin und Buchautorin Margarete Stokowski hat eine Lesung in der renommierten Münchner Buchhandlung Lehmkuhl abgesagt, weil dort Bücher des rechten Antaios-Verlags verkauft werden. Daraufhin erklärte der Lehmkuhl-Geschäftsführer Michael Lemling: "Wer sich gegen Rechts engagiert, sollte wissen, was Rechte denken und lesen, wie sie argumentieren." Ein Anruf in der Buchhandlung.

Herr Lemling , Ihre Stellungnahme liest sich wie ein Essay. Worum geht es Ihnen?

Michael Lemling: Wir beobachten, dass die Debatten, die wir auf den Buchmessen erlebt haben, jetzt in den Buchhandlungen ankommen, sobald man politische Veranstaltungen macht. Kürzlich hat die Berliner Buchhandlung "Montag" den stellvertretenden Politikchef vom Focus, Alexander Wendt, eingeladen, weil er ein Buch über Drogen geschrieben hat. Dann haben sie festgestellt, dass er die "Charta 2017" und die "Erklärung 2018" unterschrieben hatte, und ihn blitzschnell wieder ausgeladen. Bei uns ist es jetzt andersherum, aber im Grunde ähnlich: Niemand will mehr miteinander sprechen.

Würden Sie eine Lesung mit Margarete Stokowski schon als politische Veranstaltung begreifen?

Bis vor Kurzem haben bei uns eigentlich ausschließlich Autoren und Autorinnen gelesen, die Romane geschrieben haben. Seit letztem Jahr sind wir umgeschwenkt, auch weil sich die Debatten allesamt in unserem Programm niederschlagen. Wir haben Diskussionen veranstaltet über die Rechten, über Flüchtlinge und im Falle von Margarete Stokowski wäre es eben um Feminismus gegangen.

Hat sich die Rolle der Buchhandlungen verändert?

Buchhandlungen sollten Orte für Debatten sein, die Bücher sind ja eh schon da. Bei uns ging es damit los, dass wir uns in die Kampagne für Deniz Yücel eingeschaltet haben, Plakate aufgehängt, seine Bücher präsentiert. Wir können und müssen aber mehr tun. Die Meinungsfreiheit ist international immer stärker bedroht, Journalisten, Autoren und auch Buchhändler landen im Gefängnis, die Debatten sind hysterisch und vergiftet.

Was halten Sie von der Normalisierungsthese, nach der rechte Positionen wieder salonfähig werden, wenn sie in einer Buchhandlung wie Ihrer vorkommen?

Das Argument kenne ich schon von vor 30 Jahren. Aber erstens sind wir bei Lehmkuhl nicht in der Position, gesellschaftliche Gruppen auf- oder abzuwerten. Und zweitens glaube ich, dass wir dringend wissen müssen, wie diese Leute denken und argumentieren, sonst ist die Debatte so hilflos, wie wir es gerade erleben. Das ist mir auch deshalb so wichtig, weil die Rechten heute nicht mehr so dumpf sind vor 30 Jahren. Götz Kubitschek und seine Autoren fordern einen richtig heraus. Die haben Gramsci, Carl Schmitt und Ernst Jünger gelesen, sie diskutieren Marx von rechts und schreiben Artikel auf einem Niveau, bei dem man erst mal ins Schleudern kommt. Das Wort vom Rechtsintellektuellen ist da schon richtig. Die haben auch eine Lesebegeisterung, die manchen Linken heute abgeht. So kommen wir nicht weiter. Deshalb finde ich, dass wir sie genau studieren sollten.

© SZ vom 06.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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