Lata Mangeshkar ist tot:Glück muss man mit der Welt teilen

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An der Stimme der indischen Sängerin Lata Mangeshkar kommt niemand vorbei, der je einen Bollywood-Film gesehen hat. (Foto: Rajesh Nirgude/dpa)

Sie sang in mehr als 1000 Bollywood-Filmen: Zum Tod des indischen Superstars Lata Mangeshkar.

Von David Pfeifer

Wer in seinem Leben auch nur einen Bollywood-Klassiker gesehen hat, in den vergangenen 60 oder 70 Jahren, kennt vermutlich die Stimme von Lata Mangeshkar. Sie sang schwebend, klar, in hohen Wellen, fast aus einer anderen Sphäre klingend. "Die Nachtigall von Bollywood" wurde sie genannt, weil sie ab den 1940er-Jahren mehreren Generationen indischer Schauspielerinnen ihre Stimme lieh. In Bollywood-Filmen wird meist gesungen und getanzt, der Gesang kommt häufig vom Band. Die Hauptdarstellerinnen sollen hübsch aussehen, müssen aber nicht gut bei Stimme sein, in sehr vielen Fällen war Lata Mangeshkar die wahre Interpretin. Nach den gängigen Maßstäben des indischen Kinos war Mangeshkar nicht hübsch genug, um selber in den Filmen zu spielen, in einigen trat sie trotzdem auf. Sie erinnerte sich später, wie erschrocken sie war, als ein Regisseur sie aufforderte, sich die Augenbrauen zupfen zu lassen, weil sie zu breit seien. "Ich mochte es nie - das Make-up, das Licht. Die Leute kommandieren dich herum, sag diesen Dialog, sag jenen Dialog, ich habe mich so unwohl gefühlt."

Dass sie es trotzdem geschafft hat, für ihre Kunst berühmt zu werden, ist eine große Errungenschaft ihrer langen Karriere und machte sie zum Vorbild. Viele Schauspielerinnen baten ausdrücklich darum, dass Mangeshkar ihnen ihre Stimme lieh. Unter anderem in "Kabhi Khushi Kabhie Gham" einem der größten indischen Blockbuster. In mehr als 1000 Filmen hat sie gesungen, etwa 30 000 Lieder soll sie darüber hinaus für diverse Formen von Tonträgern aufgenommen haben, ganz genau hat es wohl niemand gezählt, ihre Karriere umspannte Schellack und Streaming. Sie war seit den 1960er-Jahren die bekannteste Sängerin des riesigen Landes.

Sie sang für den Premierminister und trat als erste Inderin in der Royal Albert Hall auf

Geboren wurde Lata Mangeshkar am 28. September 1929 in Indore. Eine Ausbildung bekam sie nie, ihr Vater war ebenfalls Sänger und Schauspieler, er produzierte Musiktheater-Stücke. Auch ihre Schwestern sind als Sängerinnen bekannt geworden, "wir stehen uns sehr nahe - wir haben nie miteinander konkurriert", sagte ihre Schwester Asha Bohsle 2015 der BBC in einem Interview, "Es gibt viel Liebe zwischen uns und ich genieße es sehr, mit ihr zu singen." Film-Musik sei zu Hause nicht besonders geschätzt worden, erzählte Lata Mangeshkar in einem Interview, "unsere Familie war von klassischer Musik durchdrungen." Nach dem Tod des Vaters zog die Familie zuerst nach Pune und später nach Bombay, wie Mumbai damals noch hieß, der Hauptstadt der indischen Filmindustrie. Die erlebte gerade ihren großen Boom, als Lata Mangeshkar ankam. Sie war also zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und sie konnte sich durchsetzen, "ich war furchtlos".

Neben der Film-Arbeit gab sie Konzerte und war bald landesweit bekannt. Für Jawaharlal Nehru, den ersten Premierminister des freien Indien sang sie bei einer Veranstaltung ein Lied für die gefallenen Soldaten des Kriegs mit China im Jahr 1962. Nehru weinte. Mangeshkar setzte sich für bessere Bezahlung von Künstlern ein, sang für den Sitar-Star Ravi Shankar, in dessen Studio sie auch auf George Harrison traf. 1979 trat sie in der Royal Albert Hall auf, als erste Inderin. Sie sammelte Autos, hatte neun Hunde, eine Leidenschaft für die Glücksspielautomaten in Las Vegas - und für Cricket. "Ich denke immer: Glück muss man mit der Welt teilen, und Kummer muss man für sich behalten", sagte Mangeshkar.

Die Regierung verhängte zwei Tage Staatstrauer, die Flaggen hängen auf Halbmast

Bis ins hohe Alter sang Lata Mangeshkar, bereits mit allerlei nationalen und internationalen Preisen und Orden ausgezeichnet, unter anderem dem Bharat Rathna, der höchsten zivilen Auszeichnung in Indien und dem Orden der französischen Ehrenlegion. Am 8. Januar diesen Jahres war sie positiv auf Covid-19 getestet worden, zunächst mit milden Symptomen. Ende Januar wurde sie aus der intensivmedizinischen Abteilung des "Breach Candy Hospital" in Mumbai entlassen, nachdem sie eine Lungenentzündung überwunden hatte, aber am 5. Februar war sie wieder dort, nachdem sich ihr Zustand verschlechtert hatte. Am Tag darauf starb sie, die letzten Riten nahm ihr Neffe vor.

Die Sängerin wurde am Sonntag mit allen staatlichen Ehren im Shivaji-Park von Mumbai eingeäschert. Premierminister Narendra Modi nahm an ihrer Beerdigung teil ebenso wie Bollywood-Superstar Shah Rukh Khan. Die Spieler der indischen Cricket-Nationalmannschaft trugen am Sonntag bei ihrem Match schwarze Armbinden. Tausende versammelten sich vor Mangeshkars Haus im Süden Mumbais, wo die Polizei Straßen verbarrikadierte und den Verkehr regelte, während Spitzenpolitiker und Bollywood-Persönlichkeiten herbeiströmten. Die Regierung verhängte zwei Tage Staatstrauer, die Flaggen hängen auf Halbmast. Die Nachtigall singt nun in einer anderen Sphäre, aber ihre Stimme klingt leise schwebend in tausend indischen Filmen und auf 30 000 Tonträgern in Ewigkeit nach.

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