Kurzkritik:Vieles top, manches Flop

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Johanna Schneider zeigt Stimmkraft in der Unterfahrt

Von Oliver Hochkeppel, München

Ohne in das sehr subjektive Städte-Ranking einzusteigen, braucht man normalerweise einen guten Grund, um von München nach Essen zu ziehen. Die aus Bamberg stammende Jazzsängerin Johanna Schneider, die das bei ihrem Auftritt in der Unterfahrt selbst ansprach, hatte allerdings einen: War sie doch so von der Kollegin Romy Camerun angetan, die an der dortigen Folkwang-Schule unterrichtet, dass sie nach dem Basisstudium an der Münchner Musikhochschule dorthin ging. Kein Fehler, wie man immer wieder feststellen kann, wenn sie in die alte Heimat zurückkehrt, traditionell vor dem Jahreswechsel in der Unterfahrt.

Zumal ihre angestammte Band immer noch ein Münchner Trio ist: Mit Tizian Jost am Klavier, Bassist Andreas Kurz am Bass und Bastian Jütte am Schlagzeug begleitet sie eine hiesige All-Star-Besetzung. Vor allem Jost hatte wieder einen Sahneabend erwischt, bei Schneiders passend zur Nachweihnachtszeit mit allerlei Love-Songs interessant bestücktem Programm. Bei Lenny Welchs Blues "Since I Fell For You" fiel ihm Monk ein, was das schlichte Stück mit überraschender Harmonik auflud. Bei "I Wish You Love" ließ er sich von Garner inspirieren. Zusammen mit dem sonoren Bass von Kurz und dem kräftigen, mitunter in den Jazzrock lappenden Schlagzeug von Jütte ergab das eine zündende Straight-Ahead-Mischung, wie man sie nicht mehr oft hört.

Was man auch von Schneiders Gesang sagen kann, der stark auf der Tradition fußt, aber zugleich den individuellen Ausdruck hoch hält. So hat sie eine eigene Art des Scattens kultiviert, das fast wie Wortgesang klingt. Wer sie aus anderen Zusammenhängen, etwa im Duett kennt, mag finden, dass sie mit diesem "ihrem" Trio mitunter zu viel will. Wenn sie da voll aus sich herausgeht, kann es wundervoll werden wie beim dramatisch aufgeladenen und mit großen Intervallen gesungenen "You Must Believe In Spring", es kann aber auch in die Hose gehen wie beim übermäßig ambitionierten, schlecht intonierten "My-Fair-Lady"-Standard "On The Street Where You Live". Trotzdem unterstrich das sehr breit und unterhaltsam aufgestellte Repertoire von James Taylors poppiger Songwriter-Nummer "Don't Let Me Be Lonely Tonight" bis zu Schneiders vertrackten Eigenkompositionen "Pridetime" oder "Circus Infinitus" die Kraft und Wandelbarkeit ihrer Stimme.

© SZ vom 30.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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