Kurzkritik:Schwere Fragen

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Fatih Çevikkollu spielt sein neues Solo-Programm

Von Thomas Becker, München

Man weiß nicht, was in der Pause passiert ist. In der Lach- und Schießgesellschaft gehen die Künstler von der Bühne ab, durch ein Treppenhaus, rüber in die Garderobe neben dem Büro des "Ladens". Irgendwo auf diesen paar Metern muss Fatih Çevikkollu seinen Biss verloren haben, seine Eindringlichkeit, mit der er die Zuschauer in Halbzeit eins gefesselt und zuweilen auch in die Bredouille gebracht hat. So manches Mal war es totenstill, als Çevikkollu eine dieser fiesen, da so entlarvenden Fragen stellte: "92 Rassisten sitzen da im Bundestag. Distanzierst du dich? Warum nicht?" Er lässt die Stille tönen, die Betroffenheit wirken. Wenn er das Auditorium an einen solchen Knackpunkt gelenkt hat, fragt er rhetorisch: "Wie ist die Stimmung?" Die Antwort: Schweigen. Seine Diagnose: "Verunsicherung."

So geht das eine gute Stunde lang. "Fatihmorgana" hat der Kölner türkischer Abstammung sein sechstes Solo-Programm getauft und als Einladung zum Perspektivwechsel eingeführt. Sein Mantra: Nichts ist, wie es scheint! Seine These: Wir stecken in einer Zeitenwende, im Epochenwandel vom Industrie- zum Informationszeitalter, in dem es nur noch zwei Arten von Menschen gibt, digitale Eingeborene (alle unter 30) und digitale Migranten (der Rest). Letztere flüchten sich in Vergangenes ("Als die Telefone noch fest waren, waren wir noch frei") und suchen das Wlan-Kabel. Die Jungen dagegen haben Nacken - wegen des ewigen Blicks aufs Display.

Schön auch die Spitzen gegen die Politik: AfD steht für ausgrenzend, fremdenfeindlich, dumm. Und FDP? Wer die wegen Christian Lindner wählt, der wähle auch die Piraten wegen Johnny Depp. Was Merkel über AKK sagt? "Und ihr dachtet, ich sei scheiße ..." Eine Partei bleibt verschont: "Witze über die SPD ist wie Kinderschubsen: Macht man nicht." Alles schön und gut - aber nach der Pause irgendwie weg. Versuppt. Zu oft Fishing for Gesinnungsapplaus. Längliche Versuchsanordnungen, deren Auflösung müde verpufft. Komisch. Und schade.

© SZ vom 19.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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