Kurzkritik:Sanfte Rührung

Lesezeit: 1 min

Das Weihnachtsoratorium des Bach-Chors

Von Paul Schäufele, München

Natürlich hat die Philharmonie im Gasteig wenig gemein mit dem schlichten Charme der Leipziger Hauptkirchen, und es würde auch schwerfallen, sich, im roten Sessel sitzend, in eine dürftige Herberge des Westjordanlands zu imaginieren. Es spielt auch keine Rolle, denn Hansjörg Albrechts Perspektive auf Bachs Weihnachtsoratorium sucht Abstand zu allem anheimelnd Rührendem, zu künstlicher Intimität und blendendem Adventsglanz. Sein verlässlich exzellenter Bach-Chor, das immer präzise Bach-Orchester und vier überzeugende Solisten präsentieren die sechs Kantaten vibrierend vor Leben und als komplexes Formenspiel, in dem Weltliches und Geistliches sich bedeutungsvoll mischen.

Programmatisch tönt da der Eingangschor, wenn in der Reprise nicht noch einmal gejauchzt und frohlockt wird - Albrecht greift auf den Text zurück, der der weltlichen "Fassung" der Kantate zugrunde liegt: "Tönet, ihr Pauken!" Einige Nummern des Oratoriums hatte Bach schon für weltliche Kantaten verwendet.

Das Weihnachtsoratorium ist ein hochgradig integratives Werk, hier verbinden sich Tanzsatz und Motettenstil. Mit Präzision und Engagement findet der Bach-Chor die richtige Stillage, verkörpert den Text - "Brich an, o schönes Morgenlicht", das ist ein bedeutender Imperativ, kraftvoll gesungen.

Mit expressiv gespanntem Tenor, als stammten sie aus einem Opernlibretto, interpretiert Daniel Johannsen die Evangelientexte, stellt Anteilnahme her. Denn bei aller Vitalität schafft es dieses Ensemble doch, an den richtigen Stellen die richtige Menge Rührung zu stimulieren, etwa wenn Sarah Ferede "Schlafe, mein Liebster" intoniert, mit schmeichelndem Alt und ausdrucksvollen Verzögerungen, sensibel nachhörend. Robin Johannsens Glas-Sopran und Benjamin Appls herrschaftlicher Bass ergänzen das Solisten-Quartett aufs Schönste. Langer Beifall für eine inspirierte Aufführung, die das heikle Gleichgewicht zwischen Glanz und Innigkeit, Außen und Innen beispielhaft umgesetzt hat.

© SZ vom 24.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: